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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1961-08/0018
Kopf trug er gewöhnlich sehr aufrecht, und sein
ziemlich kleines, mit scharfen Seitenwinkeln geschnittenes
Auge trug in dem offenen Blick geradeaus
ein so glückliches Gepräge inneren Friedens,
tiefen Gemüts und lebendigen Geistes, daß schon
sein erster Anblick ihm die Herzen gewann. Ein
nahendes Donnerwetter verkündete das weitere öffnen
der Augen und ein zuckendes Herabziehen der
Brauen ... Frohsinn erwachte in aller Herzen, wenn
sein Auge von innerem Behagen eigentümlich erglänzte
, die Mundwinkel lächelnd zuckten, die Lippen
seltsam sich spitzten; denn da war gewiß eine
Hausfreundschalkheit oder ein blühender poetischer
Gedanke oder eine jener kurzen, prägnanten und
überraschenden Ideen im Anzüge, welche sich der
Seele für das ganze Leben einprägten ..

Diese literarischen Zeugnisse von Hebels Erscheinung
und Wesen im Ohr, wird man auch
einen Vergleich der Freiburger Zeichnung mit
den eingangs genannten authentischen Hebel-
Porträts anstellen können. Hierbei gewinnt das
Freiburger Bildnis durch seine zweifellos mindestens
gleichstehende künstlerische Qualität wie
auch durch seine eigentümliche Aussage noch an
Wert: In der 1808 entstandenen Relief plastik des
L. Ohmacht bemerkte J. Dieffenbacher wohl mit
Recht das „spezifisch Alemannische" an Hebels
Profil und damit das Persönliche zurückgedrängt
bzw. im Sinne des Empire klassizistisch veredelt;
das Porträt scheint ihm „etwas Gezwungenes und
Feierliches" zu haben"). Die Großzügigkeit des
wohl um 1810 gefertigten Becker'sehen Pastell-
bildndsses, das gewiß das „lebensnähere Bild des
liebenswürdig heiter in die Welt blickenden
Menschen" darstellt, wie W. Altwegg richtig
urteilt30), darf nicht darüber hinwegtäuschen,
daß auch dieses Porträt klassizistisch idealisiert
und zwar in Richtung auf das Genialisch-Überlegene
. An Iwanows Zeichnung endlich — als
Entstehungszeit sind ebenfalls die Jahre um 1810
anzunehmen — lobte K. Obser die „kräftige
Durcharbeitung des Schädels", der „so den echten
Alemannentyp" zeige81), bemängelte aber gleichzeitig
den „tiefen Ernst", das „etwas Finstere"
des volleren Gesichts, das „zu den Schilderungen
der Zeitgenossen nicht recht passen" wolle3t).

Jeder Künstler sieht mit seinen Augen und
sieht in dem Objekt seiner Kunst, was ihm daraus
als Verwandtes oder Besonderes entgegentritt
. Der feinfühlige, psychisch überstark mobilisierte
Friedrich Müller — er ist nur 33jährig
gemütskrank gestorben — war vorzüglich den
leiseren, zarteren Impulsen aufgeschlossen, die
ihm aus Hebels Antlitz entgegendrangen. Er
sah Hebel gerade in seinen weicheren, menschlichen
Zügen genauer als die anderen Porträti-
sten, und sah ihn näher und unmittelbarer, mehr
den geistigen Komponenten seines Wesens nach.
Schon der Schädelumriß ist auf der Freiburger
Zeichnung gerundeter, das Kantige darin zu
gefälligerer Form verschliffen, wie auch das aus
diesem Gesicht austretende Wesen nicht ausschließlich
alemannischer Eckigkeit und Zurückhaltung
zugehört, sondern auch die andere, weichere
Seite alemannischen Wesens zum Sprechen
kommen läßt und auch — Hebel war, was zu oft
vergessen wird, zur Hälfte fränkischer Abstammung
! — fränkische Aufgeschlossenheit, Weltoffenheit
und Freundlichkeit enthält. Es ist nicht

bloß Schalkhaftigkeit oder Gutmütigkeit, was
dieses Gesicht überglänzt, sondern eine tiefer
liegende, vom Künstler tief erspürte gütige
Menschlichkeit, ein urbanes Aufgeschlossensein,
ist Freundlichkeit und Umgänglichkeit, die sich
verbinden mit einer gewissen, christlich und
sozial - herkunftsmäßig bestimmten Bescheidung
und Demut; ein leiser Zug von Leiden schlägt
sich als hintergründiger Ernst nieder und bildet
das Substrat gemessener Heiterkeit.

So gesehen, ist das wiederaufgetauchte Freiburger
Hebel-Porträt gerade durch seine Besonderheit
geeignet, unsere Vorstellung von Hebels
Erscheinung und Wesen zu bereichern. Es tut
dies umsomehr, als es Züge daraus bildhaft vorführt
, die zwar literarisch belegt, aber in den
anderen authentischen Porträts vielleicht nicht
oder nicht so deutlich oder nicht in dieser allseitigen
Abrundung zum Vorschein kommen.
Wenn von der Bildniskunst als Höchstleistung
gefordert wird, daß sie gleichzeitig körperliches
Außen und seelisches Innen mit größter Genauigkeit
erfasse und zur Bildeinheit verbinde, so
scheint einer solchen Forderung nach allem, was
wir von Hebel wissen, und nach allen anderen
Bildern, die wir von ihm besitzen, in der Zeichnung
des Christian Friedrich Müller auf eine
seltene und beglückende Weise entsprochen.

Anmerkungen:

1) In Briefe von J. P Hebel Eine Nachlese Ges., erl. u herausgegeben
von K. Obser. Mit 5 Abb. und einem Anhang über Bildnisse Hebels
aus seiner Zeit Karlsruhe 1926. S. 143—156.

2) Reproduktion z B. bei Obser a.a.O. Taf Ii vgl. ebd S. 147.

3) Reproduktion z. B bei Obser a. a. O. Taf. 2 — vgl ebd. S. 148 f —
oder in: W. Altwegg, Joh. P Hebel. Mit 15 Bildern und drei Hand-
schriftenproben Frauenfeld 1935, Taf 1.

4) Reproduktion z. B. bei Obser a a. O. Taf. 3 — vgl ebd. S 149 f. —
oder bei Altwegg a a O Taf bei S 96.

5) Die Veröffentlichung des Bildnisses erfolgt an dieser Stelle zum ersten
Mal und mit frdl. Genehmigung der Universitätsbibliothek Freiburg
Unsere Reproduktion hat annähernd Originalgröße.

6) z B. bei Obser a. a. O. Taf. 5 — vgl. ebd. S. 152 f. — oder bei Altwegg
a a O. Taf bei S. 80.

7) Neues allgemeines Künstler-Lexicon oder Nachrichten von dem Leben
und den Werken der Maler, Bildhauer etc. Bearb. von G K Nagler.
Bd IX, München 1840, S. 548—551.

8) Vgl. Obser a a. O. S. 153.

9) J.P.Hebel, Briefe (Gesamtausgabe). Bd. 1- Briefe d Jahre 1784 bis
1809, Bd 2. Briefe d. Jahre 1810—1826. Hrsg. u erl von W. Zentner
2 Aufl. Karlsruhe 1957; vgl Brief Nr. 382, S. 581 f.

10) vgl. Obser a. a. O. S. 154 f.

11) ebd. S. 154 f.

12) ebd. S. 153

13) Morgenblatt für gebildete Stande, 21 (1827) Nr. 63 v 14. 3., S 251.
Stuttgart 1827,- der Beitrag fuhrt den Titel. Erinnerungen an Hebel

14) J.P.Hebels Werke. Bd. 1—5. Karlsruhe 1843; dort Bd. 1, S. CV bis
CXXVI- Zu Hebels Ehrengedächtniß vom Adjuncten des rheinland
Hausfreundes, darin S. CXXV unser Zitat.

15) Briefl. Mitteilung von Hrn. Dr H. Geissler, Graph. Sammlungen der
Staatsgalerie Stuttgart, v. 5. 5. 1961.

16) ebd.

17) ebd.

18) ebd.

19) In Form einer Filmaufnahme von der Niedersachsischen Staats- und
Universitätsbibliothek m Gottingen, wo sich ein Druck des Stiches
befindet (vgl. Obser a. a. O S. 153), dem Verf. freundlicherweise
zur Kenntnis gebracht.

20) Reproduziert in* Das 19 Jahrhundert in Bildnissen. Hrsg. von K
Werkmeister. Bd 1—5. Berlin 1898—1901, Br. 1 Nr. 98.

21) In- Neuer Nekrolog der Deutschen. 4. Jahrg. 1826. 2. Theil. Ilmenau
1828, S 520—546, dort S. 537 Der Beitrag war zuvor erschienen unter
dem Titel .J P. Hebel* in der Allgemeinen Zeitung f. d. Jahr 1827,
Stuttgart 1827, Beilagen zu den Nummern 14 (v 14. 1 ; S. 53—54),
15 (v. 15. Li S. 57—58), 16 (v. 16. 1 ; S. 61—62) und 17 (v. 17. i ,
S. 65—66).

22) In Bd 1 (S. III bis LXXXIII unter dem Titel .Hebels Lebensbeschreibung
") von J P Hebels sämtliche Werke. Bd. 1—8 Neue Ausgabe,
Karlsruhe 1838 Vgl. Bd. 1 S. LXXX

23) ebd. S. LXXIX.

24) a. a. O. (s. oben Anm 14) S XCIX f

25) ebd. S. XCVIII f.

26) a. a O. S. CIX.

27) ebd. S CXXV f.

28) zitiert nach Obser a. a O S 146 f

29) J. Dieffenbacher, Hebel - Illustratoren, in Scfaauinsland 37 (1910),
S 1—62; vgl. S. 3.

30) a a O S 99

31) a a O S 149

32) ebd.

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