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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1961-09/0008
stalt „etwas von dem Klang eines sansculloti-
schen Jakobiners", „flackernde Erinnerungen"
an die Tage der jungen Revolution im Rheinland
, an „Freiheitsbaum und Marseillaise". Die
altehrwürdigen Räume der Straßburger Domini-
kanerkirche, in der einst Calvin gepredigt hatte,
ihre kostbaren, aus den aufgehobenen elsassischen
Klöstern hier zusammengetragenen Sammlungen
von alten Handschriften und Pergamenten
standen ihm offen. *)

Görres, der alles Altertümliche, alle alten
Quellen, Überlieferungen und Sagen „mit Demut
und Gläubigkeit" liebte und an ihnen hing,

Kloster.Murbach Fotc: Geiger

konnte hier aus einem wahren, nie zuvor gekannten
Uberfluß schöpfen. „Sonst bin ich fortdauernd
sehr fleißig in der hiesigen Bibliothek",
schreibt er einige Monate nach seiner Ankunft
in Straßburg am 20. Januar 1820, „und habe
schon ein tüchtiges Loch hineingefressen, daß
sich alle verwundern über die Gefräßigkeit. Da
die hiesige Bibliothek eine merkwürdige Sammlung
spanischer Chroniken enthält, so habe ich
ihnen zur Liebe spanisch aus ihnen heraus gelernt
und lese es jetzt mit ziemlicher Geläufigkeit
. Auch ein wenig isländisch für die nordischen
Sagen habe ich getrieben". Aus den Büchern
und Manuskripten trägt er alles Erreich-

*) Bei der Belagerung Straßburgs 1870 wurden über eine
Viertelmillion Bande, darunter 9000 seltene Wiegendrucke
und ungedruckte Chroniken, ein Raub der Klammen.

bare für ein geplantes Werk über die Sagen des
Mittelalters zusammen. „Ich werde in den Sammlungen
noch den Winter fortfahren", schreibt er
am 19. September 1820 an einen Freund in Heidelberg
. Am Pfingstmontag 1822 notiert er: „Was
der törichte Mensch nicht alles in das kleine Leben
zusammendrängen will! Da ist die hiesige
Bibliothek, 80 000 Bände und mehr stark, wovon
mich freilich das meiste jetzt nichts angeht, aber
der Rest welch ein Meer. Ich schwimme und
schwimme und komm immer nicht ans Ende,
und je mehr ich dieser Hydra die Köpfe abhaue,
umso mehr wachsen ihr nach... Das sind die
Peinen und Nöte und die Übel des historischen
Studiums, nicht zu reden von dem Trümmerhaufen
, Verwittertem und Fragmentarischem in
allem, was man anfaßt. Wäre das nun noch alles;
wie man sich aber hinsetzt zum Werke und in
die Vergangenheit hinab will, kömmt die Gegenwart
und guckt zu allen Fenstern hinein und
klopft an alle Scheiben, poltert und lärmt und
ruft".

Die Wiener Regierung hatte eigens einen
Polizisten zu seiner Überwachung nach Straßburg
entsandt. Noch am 26. November 1819 hatte
Kaiser Franz in einer allerhöchsten Entschließung
von Fürst Metternich Auskunft verlangt,
ob die Entsendung des Polizisten Dominik Rother
schon erfolgt sei, und in den letzten Novembertagen
erbat der gefürchtete Polizeipräsident
Graf Sedlnithky mit Metternichs Zustimmung in
einer Audienz die Erlaubnis des Kaisers zu Rothers
Entsendung. Diesem Polizisten gelang es
bald, Görres' Vertrauen zu erschleichen. Seinen
Berichten an Metternich und Hardenberg verdanken
wir die wesentlichsten Kenntnisse über
Görres' Leben in Straßburg. Wir sehen Görres
und einen Freund Steingaß schon am frühen
Morgen aufstehen und den Tag mit Zeitschriftenlesen
beginnen. Im Kaffeehaus „ä la Moresse"
frühstücken die Freunde, zu denen sich nun auch
Rother gesellt, und durchblättern die aufliegenden
französischen Tageszeitungen. Am späten
Vormittag widmet sich Görres ganz seinen wissenschaftlichen
Arbeiten und exzerpiert „alte
Scharteken und Chroniken in Schweinsleder und
Pergament". Um halb eins gehen Görres und
sein Freund Steingaß in das Preußische Kasino,
wo sie die übrigen Zeitungen studieren. Im
„Raben" treffen sie sich mit Rother zum Mittagessen
. Bibliotheksbesuche oder gemeinsame Spaziergänge
füllen die Nachmittage aus. Der Abend
ist wiederum dem Studium vorbehalten. „Inzwischen
konversieren sie etwa ein halbes Stündchen
und trinken Tee.. " Alle acht Tage lief ein
ausführlicher Bericht Rothers nach Wien, wo er
Kaiser Franz zur persönlichen Einsichtnahme
vorgelegt wurde.

Und doch bringen die Jahre des Exils Görres
„Ruhe und Selbstbesinnung". „Wir leben ruhig
und still mitten im Getümmel der volkreichen
Stadt unser Leben so fort, und es läßt sich in
der grünen Umgebung, in diesem nicht genug
zu preisenden Frühling wohl aushalten". Seine
Briefe aus den Straßburger Jahren spiegeln die
Bedeutung, die die Jahre der Verbannung für

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