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Z)er ^aclörutyer" Johann fletec f>cbel
In Briefen, vor allem an Freunde im Mark-
gräflerland, deutet der in die markgräflich baden-
durlachische Metropole verpflanzte Professor,
spätere Direktor des Lyceums, Kirchenrat und
nachmaliger Prälat der Evangelischen Landeskirche
, der „Oberländer", nicht selten an, daß
es ihm einigermaßen schwer wurde, in Karlsruhe
Wurzel zu schlagen. In einem knapp geschürzten
Lebenslauf von der Hand des Dichters
liest man, er sei „unversehens in die Residenz
berufen worden, aber zu keinem Pfarramt",
sondern vorwiegend zum Schuldienst, dem er
sich freilich mit aller Hingabe gewidmet habe.
Nicht einmal ganz 10 000 Einwohner zählte
Karlsruhe, als Johann Peter Hebel kurz vor
Weihnachten 1791 hier sein Amt antrat. Neben
Kaufleuten, hauptsächlich solchen kleinen Stils,
und Handwerkern spielten der Hof, seine
Schranzen und Beamten, eine entscheidende
Rolle. Daß unter der klugen, aufgeschlossenen
Regierung Karl Friedrichs die Residenz eine bemerkenswerte
kulturelle Note gewonnen hatte,
die ebenso verständig wie liebevoll gepflegt
wurde, ist bekannt. Der junge Professor aus
dem Oberland mußte freilich fürs erste mit dem
Gulden rechnen, ja, mit dem Kreuzer; er sah
sich auf eine recht schmale Daseinsgrundlage
verwiesen. Auch ging lange, lange das Heimweh
nach der alemannischen Welt droben im Schick-
salsbogen des Rheins mächtig mit Hebel um.
Ein Krüglein „Wein aus dem Oberland", den
freundliche Landsleute spendeten oder den der
Dichter wohlfeil selbst eintun konnte, mußte
den die Markgrafschaft mit der Seele Suchenden
oft genug trösten.
Aus der nie ganz gestillten Sehnsucht Johann
Peter Hebels nach dem Hauch von Leben und
Weben daheim entstanden in Karlsruhe die
unvergänglich schönen und liebenswerten „Alemannischen
Lieder für Freunde ländlicher Natur
und Sitten". Der verdienstvolle Hebel-Forscher
Dr. Wilhelm Zentner, Träger des Hebelpredses,
bezeichnet 1801 für die poetische Inspiration
Hebels als das „glückhafteste Jahr". Die „Alemannischen
Gedichte" sind in die Weltliteratur
eingegangen. Verse wie die um „Die Vergänglichkeit
" (Gespräch auf der Straße von Basel,
zwischen Steinen und Brombach, in der Nacht)
zählen zu den edelsten Schöpfungen der Lyrik
aller Zungen. Es geziemt sich durchaus, wenn
von Hebels Liederpoesie die Rede ist, dessen
eingedenk zu sein, daß sie in Karlsruhe seinem
Herzen entströmte.
Die Residenz ist aber auch die Heimat des
„Rheinischen Hausfreundes". Schwingt in der
behaglichen Erzählerkunst Johann Peter Hebels,
die seinen Kalenderbeiträgen einen so wundervollen
, goldenschimmernden Hintergrund sichert,
nicht doch vor allem auch das menschliche Wohlbehagen
mit, das Karlsruhe dem Dichter mehr
und mehr angedeihen zu lassen verstanden hat?
Johann Peter Hebel, der zeitlebens gern
wanderte, durchstreifte auch das Vorland, die
näheren und weiteren Reviere um die Landeshauptstadt
. Er wußte, wo man in Beiertheim,
in Knielingen und anderwärts mit einem guten
Tropfen rechnen konnte. Häufig nahm er an
pflanzenkundlichen Exkursionen des Botanikers
und Arztes Carl Christian Gmelin, des „Kräutermanns
von Badenweiler" teil, der Hebels auch
in seiner vierbändigen „Flora Badensis" gedenkt.
Zu den besonderen Liebhabereien Hebels
gehörte vor allem das Dichten von Charaden.
Im ehemaligen Cafe Drechsler etablierte sich
eine Art von Rätselbörse, die der in sie eng
verstrickte' Dichter in seinen plauderfrohen
Episteln humorvoll schildert.
Das Hoftheater der Residenz sah in Hebel
einen eifrigen Besucher und Freund. Schwärmerisch
verehrte er die zu ihrer Zeit viel
bewunderte und gepriesene Henriette Hendel-
Schütz, die den Kirchenrat an einem ihrer berühmten
deklamatorischen Abende in übermütiger
Apostrophierung als alemannischen Dichter
feierte.
Indessen war Johann Peter Hebel doch wohl
mehr ein Einzelgänger denn ein Gesellschafter
um jeden Preis. Immerhin, er besuchte gern die
Feste des Museums, wobei er dann und wann
zur Erheiterung der Gäste ein paar Gesangsstrophen
beisteuerte. So ist ein „Lied für die
Gesellschaft des Museum bei ihren freundschaftlichen
Mahlen" erhalten geblieben.
Mehrfach hat der Dichter seine Behausung
gewechselt, teils weil es ihm beliebte, teils weil
widrige Umstände ihn dazu nötigten. Gelegentlich
äußerte er, ihm wäre eine einzige Stube
genug, wenn man bei ihm als einer Standesperson
nicht eine größere Wohnung voraussetzte.
Erst in späteren Jahren ließ sich der Hagestolz,
der Johann Peter geblieben ist, von einer eigenen
Haushälterin betreuen. Er ist der schlichte,
allem Gepränge und allem Getue abholde Oberländer
geblieben, als der er in die Landeshauptstadt
gekommen war.
Der Tod suchte Johann Peter Hebel nicht in
der Residenz auf, sondern während einer Prüfungsreise
des Herrn Prälaten am 22. September
1826 in Schwetzingen, wo er auch beigesetzt
wurde. Die Kunde von seinem Hinscheiden
versetzte die Landeshauptstadt in tiefe Trauer.
Empfand man doch wohl, daß mit dem Dichter
Karlsruhe ein Geist entrissen worden war, wie
es kaum einen zweiten beherbergt hatte, eine
Seele voll edler Innigkeit, ein Dichter klassischer
Prägung.
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