Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1962-01/0010
Spankerens Wohnung zu kennen, weshalb das,
was von ihr berichtet wird, der Obergärtner und
der Ostpreuße verbreitet haben müssen; denn
geheimnisvoll, wie der Freiherr eingezogen war
und gelebt hatte, verschwand er mit seinem
Hausrat und dem Diener wieder, nachdem geschehen
war, was ihn veranlaßte, seine Freundschaft
zu den Vögeln anderswo fortzusetzen.

Jedermann wußte demnach, daß Paul von
Spankeren nichts mit der Zeit gemein hatte, die
—• das wiederholen zu dürfen — in ihre Stuben
Möbelarchitekturen setzte und durch sie Seele
und Geist bedrückte und den Geldsack unnötig
belastete.

Doch niemand spräche heute mehr von ihm,
wenn ihn seine schon angedeutete Liebe zu den
Vögeln des Parkes für Neuenahr nicht unsterblich
gemacht hätte, und es darf behauptet werden
, kein anderer Park Europas habe zehn Jahre
hindurch täglich zweimal einen Mann wie ihn
erlebt.

Jeden Morgen erschien Herr Paul von Spankeren
um zehn, jeden Nachmittag um fünf Uhr
im Park, und ging seinen Weg. Er war schlank
und hager, hatte ein bartloses, verhaltenes Gesicht
ausgeprägten Adels, einen graublauen Blick
und trug stets zu hell gestreifter Hose den Gehrock
aus schwarzem Tuch und Lackschuhe, an
den Händen braune Glacees, auf dem Kopfe
aber einen runden, tief eingedellten Pastorenhut.

Sobald er die Rotbuche hinter sich hatte, die
noch heute nicht allzuweit fort vom Eingange
steht, geschah das Wunder: flogen ihm, der sehr
langsam, geradezu feierlich steif ging und meist
in einem Buche las, von den vier Windrichten
die Vögel zu und umkreisten ihn und seinen
Hut, wie wenn sie ihn erwartet hätten. Sie setzten
sich auf seine Schultern, manche auf den
Buchrand oder seine Arme, und ob sie zwitscherten
und zwatscherten, schimpften und drohten
oder sangen — die Meisen, Finken und Rotkehlchen
, auch die Spatzen —: ihn kümmerte
es nicht.

Überfülle ^abecöcufc

Überfülle ist eine Strafe Gottes, — eine viel härtere
Strafe als Mangel und Not.

Mangel, Not und Armut lassen oft wieder die, richtige
Sicht und Wertung der Dinge finden, schenken Einsicht
in Recht und Maß.

Überfülle: unterbrechungslos, zu reichliche Ernten, führen
nur zu Überdruß, Ekel, zur falschen Schau und
Wertung der Dinge.

Sättigung nach Not empfinden wir als Gnade, schenkt
Gluck und Zufriedenheit.

Aber Überfülle führt nur zu Überdruß und innerster
Unzufriedenheit, zu Mißmut den Dingen gegenüber —
aus Übersättigung.

Überdruß aus Übersättigung ist die härtere Strafe Gottes
der menschlichen Undankbarkeit gegenüber, weil diese
Strafe allein in seelischen Bezirken sich auswirkt, — in
den Bezirken der Einsicht und Sicht verhängnisvoll
wirkt.

(Aus dem Buch .Von der Freundschaft" von Peter Max Boppel
Waldemar Hoffmann Verlag, Berlin, 1960)

Gewiß unterschied er ihre Stimmen und
lächelte heimlich, wenn einmal der Gassenlärm
der Spatzen überhand nahm; sonst aber gab er
kein Zeichen: er las und ging, und die Vögel
begleiteten ihn dergestalt, daß die Kurgäste, die
ihm entgegenkamen, ehrfürchtig zurücktraten,
gebannt, als ob eine Erscheinung vorüberwolle.

Sie sahen, wie die Vögel dem Schreitenden
in die breitrunde Mulde des Hutes hüpften, sich
über ihr ein Gezänk erhob, das dem von erregten
Parlamenten der Hauptstädte Europas glich,
daß die Sieger sich eine Weile in der Huttiefe
niederließen, das Spiel immerfort wechselte und
der Mann im Gehrock las, wie wenn ihm aus
dem Gedruckten die Stimme des Ewigen entgegenkäme
.

Ein Scharfäugiger wollte wissen, meist habe
er ein Buch vor sich hergetragen, auf dessen
lederner Titelseite in goldenen Buchstaben die
Worte gestanden hätten: „Der Cherubinische
Wandersmann".

Nur wenige erkannten, da der Herr von Spankeren
eigentlich um das Geheimnis aller Revolutionen
wußte und er sich, falls das Gezänk der
oft mehr als fünfzig Geflügelten über ihm toste,
sagte: es sei letzlich der Kampf der Entrechteten
um den gefüllteren Trog!

Er bettete, bevor er seine Wohnung verließ,
in die Mulde einen umgedrehten Dosendeckel,
den er randvoll mit Kömem gefüllt hatte, und
dieser Deckel im Hut veranlaßte ihn, so langsam
und würdevoll zu gehen, daß der Zuschauer
glauben konnte, eine unsichtbare Hand zelebriere
diese Gestalt über die Straßen Neuenahrs und
durch den Park.

Ausdrücklich sei betont, nicht eine der mancherlei
Prozessionen des Ahrtales habe ein andächtigeres
Staunen geweckt, wie der Vorübergang
des Herrn Spankeren, den man seines
Hutes und der von ihm Betreuten wegen den
„Vogelpastor" nannte.

An s<±limmen Wettertagen setzte er aus,
sonst aber blieb er sich treu, Jahr um Jahr, in
Frühlingen, Sommern, Herbsten und Wintern.
Übrigens erzählen die Neuenahrer heute noch,
er müsse ein Dutzend Gehröcke gehabt haben;
denn die Vögel hätten, übersättigt von seinen
Körnern, mit dem ihnen gemäßen Dreck auf
das schwarze Tuch keine Rücksicht genommen.
Jedenfalls müsse der Diener ein Meister des
Reinigens gewesen sein; denn die Chemikalien
der bekannten weißgelben Kleckser lassen sich
nur schwer entfernen!

Paul von Spankeren wäre wahrscheinlich bis
zum Ende seiner Tage in diesem Ort geblieben,
wenn nicht an einem sonnigen Spätjunimorgen
sich das für ihn Unausdenkbare zugetragen und
ihn bei seinem Vogelgange jemand angesprochen
hätte.

Da dieser jemand ein Amerikaner, ein steinreicher
Fabrikherr aus New York war — ein
Mister Bowers, der glaubte, was ihm gefalle, sei
käuflich —, erlitt die stille Welt des Vogelpastors
einen Stoß, der ihn zwang, Bad Neuenahr
vierundzwanzig Stunden später mit unbekanntem
Ziele zu verlassen.

8


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1962-01/0010