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gehende Fortschrittsbestrebungen bestanden, die
in Mißachtung eines ehrwürdigen, von den
Vätern übernommenen Erbes alte Baudenkmäler
zugunsten des Verkehrs und der Neuerungssucht
zerstören wollten und zerstörten. Auch in Lörrach
des Jahres 1862 gab es ein Bauwerk, das
etlichen ein Dorn im Auge war. Hören wir, was
genannter Festbericht als Anhang zu sagen weiß:
Der einzige zudringliche Bittsteller, der Seiner
Königlichen Hoheit in Lörrach zwischen der Stadt
und dem Bahnhofe in den Weg trat und welchem
wir daher zu seinem eigenen wohlverdienten Schaden
die allerhöchste Gewährung der Petition wünschen
, war ein alter, den Fortschritten der Zeit
grollender Hüter der Stadt. Seine Bittschrift lautet
wörtlich:
Mein hoher, gütger Herr,
Ich steh hier in der Quer,
Bin nicht am rechten Ort,
Man wünscht mich täglich fort;
Es wird auch allgemein bedauert,
Daß ich so fest hier angemauert.
Mög meine Bitte, gnädiger Fürst, Euch nicht
verletzen,
Geruhen Sie, mich gnädigst zu versetzen.
Wie man vernimmt, haben der gütige Landesfürst
bei Besichtigung dieser originellen Bittschrift herzlich
gelacht und sich dieselbe notieren lassen. Unserem
genialen Mitbürger F. dürften durch Entfernung
des die Stadt verunstaltenden und in ihrer Ausdehnung
hindernden Thurmes besondere Verdienste
erwachsen.
Es handelt sich zweifellos um den Ende des
17. Jahrhunderts erbauten Gefängnisturm in der
nach ihm benannten Turmstraße, einen Torturm
von wuchtiger Erscheinung. Der „geniale" Lörracher
Bürger F. hatte mit seiner Denkmal-
stürmerei tatsächlich auch Erfolg, auch wenn es
noch fünf Jahre ging: Im Jahre 1867 wurde der
Gefängnisturm abgebrochen und Lörrach damit
um ein markantes Bauwerk ärmer gemacht, das
man heute vielleicht gern wieder in der traditionsbewußten
Stadt sehen würde.
Zurück zur Wiesentalbahn! Selbstverständlich
erschienen in jenen Tagen der Eröffnung wieder
und wieder die Fahrpläne in den Zeitungen, sowohl
die der Wiesentalbahn wie auch der „Post-
curse", die aus nicht an die Bahn angeschlossenen
Ortschaften eine Art Zubringerdienst bildeten
. Die Fahrpläne waren nicht nur in einer
Beilage zum Verkündigungsblatt abgedruckt —
dort fanden sie sich nur vor, soweit sie die
Amtsbezirke des Oberlands betrafen —, sondern
sie waren auch auf einem den Verkündigungsblättern
beigelegten Faltblatt aus stärkerem
Papier zu sehen; dort konnte man auch, wollte
man über die Wiesentalgegend hinausreisen,
neben den Kursen der Wiesentalbahn finden die
Kurse der „Großherzoglich Badischen Eisenbahn"
mit Angaben, die die Rheintalstrecke bis nach
Frankfurt hinauf betrafen, und desgleichen die
Zeiten der „Schweizerischen Centraibahn" mit
der Strecke Basel—Zürich. Dies auf der Vorderseite
des Faltblatts. Auf der Rückseite konnte
man ablesen, wie hoch der „Personen - Tarif"
betrug, wenn jemand von Lörrach oder Schopfheim
oder von einem der Orte der Wiesentalbahn
aus bis zu einer anderen badischen Station
fahren wollte. Der Tarif sah drei Wagenklassen
mit entsprechend gestaffeltem Preis vor, desgleichen
recht beachtliche Ermäßigungen für
Hin- und Rückfahrt. Auch gab es neben den
„Gewöhnlichen Personenzügen" bereits Schnellzüge
. Neben diesem Tarif waren abgedruckt die
Zeiten der Fernverbindungen der „Französischen
Eisenbahn" bis nach Paris hinein. Der untere
Teil der Faltblattrückseite • verzeichnete die
„Postomnibus-Verbindungen" — so der Titel —,
durch welche die noch abseits liegenden Ortschaften
an das Eisenbahnnetz angeschlossen
waren. Todtnau - Freiburg, Schopfheim - Todtnau,
Schopfheim - Brennet, Schliengen - Kandern, Badenweiler
-Müllheim, Heitersheim-Sulzburg waren
die gefahrenen Linien. Einige Beispiele:
Wollte man von Todtnau nach Karlsruhe in die
Residenz fahren, hatte man zwei Möglichkeiten:
1. Mit dem Postomnibus Todtnau ab 5 Uhr morgens
, Freiburg an 9.50 vormittags, Freiburg ab
10.18 mit dem Schnellzug, Karlsruhe an 1.25. —
2. Todtnau ab 4 Uhr morgens mit dem Postomnibus
, Schopfheim an 7.05, Schopfheim ab 7.35 mit
der Wiesentalbahn, Basel an 8.24, Basel ab mit
dem Schnellzug der Großh. badischen Eisenbahn
8.45, Karlsruhe an 1.25. Die Wiesentalbahn
brauchte für die Fahrt von Basel nach Schopfheim
bei normalen Halten ca. 66—72 Minuten
mit dem Personenzug, während ein Abendschnellzug
für die gleiche Strecke auch 65 Minuten
benötigte. Die umgekehrte Strecke, von
Schopfheim das Wiesental abwärts bis Basel,
fuhr der Schnellzug — es gab nur einen, am
Morgen — in 49 Minuten, während der Personenzug
durchweg 61 Minuten brauchte; nur am
Abend brachte es auch der Personenzug auf eine
Fahrzeit von nur 45 Minuten.
Ein Blick auf die Fahrpreise: Von Lörrach
bis Karlsruhe zahlte man in der 1. Wagenklasse
8 fl. 37 kr.„ in der 2. Klasse 5 fl. 53 kr., in der
dritten 3 fl. 47 kr. einfache Fahrt; Rückfahrkartentarif
ist im Plan für diese Strecke nicht angegeben
. Für eine Fahrt von Schopfheim nach
Basel zahlte man bei Personenzug in der ersten
Klasse 1 fl. 6 kr., in der 2. Klasse 48 kr., in der
dritten 33 kr.; nahm man Hin- und Rückfahrt
gleichzeitig, so beliefen sich die Preise in der
Reihenfolge der Klassen 1 fl. 45 kr., 1 fl. 18 kr.,
52 kr. — Um diese Preise mit den heutigen vergleichen
zu können, genügt ein Blick auf die damals
geltenden Nahrungsmittelpreise; nach der
in Nr. 68 des „Amtl. Verkündigungsblattes" erschienenen
„Fleischtaxe" zum Beispiel kostete
das Pfund Ochsenfleisch 15 Kreuzer. Soviel aber
kostete eine Hin- und Rückfahrt Maulburg—
Schopfheim oder Maulburg—Steinen in der
1. Klasse. Das Pfund Kalbfleisch kostete 11 kr.;
dafür konnte man in der 2. Klasse von Schopfheim
nach Maulburg und zurück fahren. Das
Pfund Schweinefleisch kostete 16 kr.; das entsprach
einer Fahrt von Schopfheim nach Haagen
in der 3. Klasse des Personenzugs.
Dr. Feger, Freiburg
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