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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1962-08/0018
prüfen und den Dichtern mit Rat zur Seite zu stehen.
Ich möchte nicht glauben, daß diese lyrischen Gedichte
dieser Kommission vorgelegen haben. Daß das Alemannische
eine Sprache ist, in der man das Feinste und
Zarteste, das Schwerste und Tiefste auszudrücken vermag
, bewiesen uns Hebel, Burte und Wolfsberger, um
nur die drei stärksten alemannischen Dichter zu nennen.

Bei der Schilderung eines Sonnenaufgangs sind Reime wie:
„Un molt in's Blaue nii e Geel,
Un glii wird's au e bitzli hell"

zu billig. Unerträglich wird es aber, wenn es in der
letzten Strophe heißt:

„Zerscht zeigt d'r Schwarzwald nie sich toll,

Wenn er e Gascht begrüeße soll,

Doch noo stoht's uf, sy Wälderheer,

Holt Hang un Matt un Felse her,

Un alles rueft rundum allbott:

Grüeß Gott, Herr Morge! Grüeß di Gott!" (S. 8i9)

Das Kennzeichen echter Lyrik ist Einfachheit im
Ausdruck, Einheit und Wahrheit im gebrauchten Bild,
Durchscheinen des Unausgesprochenen.

„Witt Schollelieb du seh..." (S. 14) kann man unmöglich
sagen. Alles was in diesem Gedicht vom Einöd-
buur gedanklich ausgesprochen wird, ist gut und recht;
aber der Reim „Ackerduech" um „Fluech" willen ist
schlecht, man kann in ein „Ackerduech" keine „stilli,
fromme Hoffnung" legen, wohl in eine Ackerfurche.
Ungewollt erheiternd wirkt das Bild vom Herzen, das
am Glockenstrang hängt (S. 17). Daß die Stille im Gespräch
wandelt, ist auch nicht als treffend zu bezeichnen
(S. 19). Die heißen Schmützli für die Frau Sonne
(S.21) kann man nicht Lyrik nennen, sondern eine Entgleisung
in die selige Zeit der Gartenlaube.

Wie undichterisch holperig ist die Zeile: „Aß m'r si
direkt gern mueß ha" (S.32). Und nun noch zur Anrufung
Hebels. Was Hebels Bild unter keinen Umständen
erträgt und vor dem wir es schützen müssen, ist die
Verniedlichung, der sentimentale Anstrich und der Mißbrauch
seines Werkes. Hebel hat auch keine Versli geschrieben
und Tränli vergossen, sondern richtige Verse
uns gegeben. Wie man aber um des Reimes willen folgende
Zeilen veröffentlichen kann, ist mir völlig unverständlich:

„Un noo, i weiß, bisch an d'r Schriibtisch gange,
Hesch dert e Fedre gschnitzt, dich ane gsetzt
Un d'Versli gruefe. Hesch nit bruuche bange;
Denn d'Heimet het si zue d'r Tür niighetzt".
Es ließen sich noch viele Beispiele anführen, wie das
Hochmoor, das tief unten im Tal liegt. Auch diese wären
nicht angeführt worden, wenn nicht auf der Rückseite
des Titelblattes ausführlich angegeben stünde: „...ist
Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für alemannische
Sprache und Dichtung". Hier sollte man nach soviel
Ankündigung soviel Selbstkritik erwarten dürfen, daß solche
Verse nur für den Hausgebrauch Verwendung finden.

Ein gutes Gedicht unter den ernsten Gedichten ist
„D'r Schwarzwaldbuur" (S. 13). Eben hierzu könnte man
„Am e Obe" (S. 25) zählen, wenn nicht um des Reimes
„Klang — bang" willen das Bächlein „müed un bang"
murmeln müßte, was zum Inhalt des ganzen Gedichtes
gar nicht paßt. Auch das Gedicht ,,D' Nacht kunnt" wäre
durchaus zu tragen, wenn nicht die Strophe vom Abendläuten
wäre, das vom Kirchturm abegumpt (S. 26). Zu
den guten Gedichten möchte ich auch zählen: „M'r sait
mängmol e Wort" (S. 29), das zwar auch in den letzten
zwei Zeilen die Spannung nicht hält.

Das Nachwort Emil Baaders hätte man besser auf
dem Titelblatt nicht erwähnt, denn es ist durchaus nicht
erwähnenswert Aber was sollte man schon dazu sagen?
Vielleicht hat sich Desire Lutz zu lange mit Humor und
Komik beschäftigt Lyrik ist mehr.

Gerade hinsichtlich des Inhalts des letzterwähnten
Gedichtes darf ich vielleicht noch eine kleine Episode
erzählen zwischen zwei Männern:

Der eine war der Dekan Martin von Neuenburg,
der aus edler Begeisterung für ein großes Werk die
„Tulliade" gedichtet hatte. Es war also um die Zeit
Tullas. Jeder Dichter liebt sein Werk und hört es gern,
wenn man es lobt. So fragte auch Dekan Martin seinen
Bekannten, den damaligen Rechtsanwalt Johannes Herzog
aus Freiburg, dessen Schwester in seinem Pfarrhaushalt
lebte, um sein offenes Urteil. Das ist sehr
gefährlich, ein Schriftleiter kann ein Lied davon singen.

Beide Männer waren einander wert. Herzog wagte das
Urteil, und Martin war groß genug es anzunehmen. Er
war der Kandidat der Dekane auf den Stuhl des Erz-
bischofs von Freiburg; schade, daß er nicht gewählt
wurde. — Von da ab waren die beiden Männer Freunde.
So etwas soll gelegentlich unter Männern vorkommen.

Desire Lutz „Spaß un Ernscht. Alemannische
Gedichte. Nachwort von Emil Baader. Moritz
Schauenburg Verlag Lahr Schw., 1962. 4,80 DM.

II.

In Nr. 10 / 60 der „Markgrafschaft" hatten wir den
1. Band der Neuausgabe von Heinrich Hansjakobs Werken
, seine Jugenderinnerungen, angekündigt Mit der
gleichen Freude können wir heute den 2. Band: „Wilde
Kirschen" begrüßen.

Was an Grundsätzlichem damals gesagt wurde, erübrigt
sich heute zu wiederholen. Am 19. Aug. feierte man
landauf, landab den 125. Geburtstag des Schriftstellers. So
kam dieser Erzählungsband zur rechten Zeit heraus.

Im Juni 1888 schrieb Hansjakob sein Vorwort zur
1. Auflage. Als er 1892 in einem abgelegenen Seitental
der Kinzig ein paar Bauernbuben auf Fahrrädern begegnete
, entsetzte er sich derart, daß er schrieb: „Ich
hätte auf die Kerle schießen können, so hat mich der
Anblick dieses modernsten Kulturfortschritts geärgert.
Aber so muß es kommen.

Die Kultur ist eben ein Feuer, das jeden verbrennt
der mit ihm in Berührung kommt. Sie wärmt und leuchtet
aber sie zerstört auch. Sie hat bis jetzt alle Nationen,
die mit ihr zusammenkamen, verbrannt, und die Weltgeschichte
zeigt uns die Aschenhaufen.

Wenn sie es einmal so weit gebracht hat, daß die
Schwarzwälder Bauern Verlobungskarten ausschicken
statt der Hochzeitsläder, daß sie sich Visitenkarten machen
lassen und ein halbes Jahr vor der Hochzeit verloben
und gegenseitig anlügen, daß sie statt des Schäpel-
Hirsche ein preußische Bowle trinken, Verlobungs- und
Trauringe tragen, in Glaces und Frack vor den Altar
treten, Francaise und Kotillon tanzen und auf Velozipeden
ins Städtle fahren, dann sind die letzten Zeiten germanischer
Kultur gekommen, die Aschenperiode beginnt und
ich bin froh, daß ich bis dorthin nicht mehr lebe.

Der Anfang zu diesem zukünftigen Untergang des
Volkstums ist bereits gemacht: Kultur und Mode sind
eifrig an ihrer Totengräberarbeit!"

So schließt er seine Geschichten, wie er sie im
„Valentin, der Nagler" begann. Dort heißt es: „Unsere
Neuzeit hat mit ihren technischen Erfindungen ein großes
Stück Poesie aus der Welt geschafft". Was würde
Hansjakob sagen, wenn er heute die Bauernburschen auf
knatternden, lärmenden Mopeds durch die Schwarzwaldtäler
flitzen sehen wurde.

Und trotzdem erleben in dieser „Aschenperiode" seine
Erzählungen die 15. Auflage, von seiner Heimatstadt
Haslach herausgegeben. Woher es kommt? Teils weil es
immer noch Menschen gibt, deren Geist und Herz noch
keine Aschenhaufen sind, obwohl sie in Flugzeugen über
den Ozean fliegen, Raketen in den Weltraum schießen
und in rasenden Zügen und Autos durch die Lande
fahren. Teils weil der Mensch Sehnsucht nach den Originalen
und nach der urigen Art verspürt, in der Hansjakob
diese Originale schildert. Er schreibt in seinem
1. Vorwort: „Es sind keine edlen und großen Charaktere.
Die sind überhaupt selten im Leben. Es sind Menschen
mit allen Fehlern, die dem Mensch-Sein anhängen, aber
es sind keine übertünchten Gräber, keine blasierten
Kulturmenschen".

Und schließlich war es doch so, daß Hansjakob selbst
ein Original war. So können wir mit seinen eigenen
Worten schließen: „Wenn ein oder der andere Leser in
demselben Tadelnswertes findet so möge er bedenken,
daß der Verfasser in mancher Hinsicht eben auch zu
den „Wilden Kirschen" gehört".

Besonders herauszuheben ist die sorgfältige Bearbeitung
durch Franz Schneider. Der Einband dürfte mit derselben
Sorgfalt hergestellt sein; dem Rezensenten lag
nur die broschürte Ausgabe vor. K. Schäjer

„Wilde Kirschen" Erzählungen aus dem Schwarzwald
von Heinrich Hansjakob. Rombach Verlag,
Freiburg i. Br. 1962.

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