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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1962-12/0010
hundert gefangen, das der St. Georgskirche entstammt
. An der gegenüberliegenden Seite des
Saales leuchten die Farbwunder von Glasfenstern
auf, die ehemals den Chor von St. Georg zierten.
Zwischen zwei Altarflügeln (darstellend Joachim
mit dem Engel und Joachim mit St. Anna) stehen
drei wertvolle Holzplastiken: St. Anna, St. Katharina
und St. Margareta.

Aber noch Kostbareres erwartet uns in den
Vitrinen: Ein merowingisches Lesungsbuch von
700, die Annalen von Fulda (9. und 10. Jahrhundert
), eine Abhandlung über Baukunst (10. Jahrhundert
), das berühmte, mit reichen Initialen
geschmückte Liber Miraculorum Sanctae Fidis
(um 1100), die berühmte Kosmographie von 1507,
in der zum ersten Male der Name „Amerika"
auftaucht, das goldene Buch der Straßburger
Schneidergilde (17. Jahrhundert) u. a. m. Ergriffen
stehen wir vor dem Schulheft des vierzehnjährigen
Rhenanus, das den bienenhaften Fleiß des
großen Gelehrten bekundet.

Wertvolle Inkunabeln, die der Offizin des
berühmten Schlettstadter Druckers Johann Men-
telin (Jean Mentel) entstammen, ergänzen den
Bestand an Büchern.

Hier stehen die Werke des Reformators
Wimpheling friedlich neben denen seines redemächtigen
Gegners Thomas Murner, zwei Große
im Reiche des Geistes, aber getrennt durch ihre
religiöse Überzeugung. Wimpheling hatte in
Freiburg, Erfurt und Heidelberg Rechtswissenschaft
und Theologie studiert, war Domprediger
in Speyer, später Professor der Poesie in Heidelberg
und wirkte von 1500 an in Straßburg als
Schriftsteller und vornehmlich als Erzieher. Der
1528 in Schlettstadt verstorbene Gelehrte, der in
seiner Eoitoma rerum germanicarum zum ersten
Male die deutsche Geschichte von den Cimbern
und Teutonen an darstellte, hinterließ nicht nur
eine Fülle politischer, philosophischer, theologischer
, historischer und poetischer Arbeiten, sondern
auch grundlegende pädagogische Schriften,
die ihm den Beinamen Praeceptor Germaniae
(Lehrer Deutschlands) eintrugen.

Während Wimpheling (wie auch Martin Bucer)
sich der lutherischen Lehre anschloß, blieb der
zu Oberehnheim (Obernay) als Sohn eines Advokaten
1475 geborene Thomas Murner dem katholischen
Glauben treu, ja er wurde im Religionsstreit
einer seiner größten Verteidiger. Nach dem
Eintritt in den Franziskanerorden wirkte er in
Freiburg, Paris, Krakau, Prag und Straßburg.
Sein Ruf als Dichter war so groß, daß er von
Kaiser Maximilian 1505 in Überlingen zum Poeten
gekrönt wurde. 1525 mußte er von Straßburg
nach Luzern übersiedeln. Den Rest seines
Lebens verbrachte er als Pfarrer in seiner Vaterstadt
, wo er 1537 starb. Murners Stärke liegt auf
dem Gebiete der Satire, des sprühenden Witzes.
Doch sein Humor ist nicht zersetzend und pessimistisch
, er glaubt wie viele andere der elsässi-
schen Satiriker, so der Thanner Johannes Pauli,
oder der Colmarer Jörg Wickram, trotz beißender
Kritik an die Besserungsfähigkeit der Menschen.
Mit zündender Sprache geißelt Murner in seinen
Schriften „Die Schelmenzunft", „Die Mühle zu

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grüßen wir unsere Leser und Freunde in der
Heimat und draußen in der weiten Welt. Wir
wünschen frohe Festtage und für 1963
Gesundheit, Glück und Segen.

Die fllnctocaflctinft

Redaktion und Verlag

Schwindelsheim", „Die Narrenbeschwörung" seine
Zeitgenossen. Er macht dabei nicht einmal vor
seinen eigenen Ordensbrüdern Halt. Martin
Luther greift er ebenso an wie seinen Zeitgenossen
Wimpheling.

Lange schon sind die hitzigen Streitgespräche
der beiden Meister des Wortes verstummt, aber
ihr Werk blieb. In ihm spiegelt sich deutlich
einer der Grundzüge elsässischer Geisteshaltung
und elsässischer Universalität, die bis zum heutigen
Tage fortbesteht.

Schlettstadt hat nicht nur einen wertvollen
Beitrag zur Geistesgeschichte des Oberrheinraumes
geleistet, es hat uns auch zusammen mit
Straßburg und Turckheim den Christbaum beschert
. Noch im 15. Jahrhundert schmückte man
im Elsaß vor Weihnachten die Stuben lediglich
mit immergrünen Wintermaien. Um 1600 tritt
an deren Stelle der „Baum Christi" oder der
„Paradiesbaum", wie er bei den damals üblichen
Weihnachtsspielen verwendet wurde. Man
schmückte die Tannen mit Äpfeln, Papierrosen,
Hostien, Rauschgold und Zuckerwerk. Noch
wußte man damals nichts von Kerzen als dem
Symbol des Lichtes, das am Weihnachtstag der
Welt neu geschenkt wird. Vom Elsaß trat der
Weihnachtsbaum seinen Siegeszug in die Schweiz
und nach Deutschland an. Ohne ihn wäre heute
das Christfest nicht mehr denkbar.

Obwohl sich verhältnismäßig wenige Bauwerke
aus Schlettstadts großer Zeit erhalten
haben, spüren wir doch, wenn wir durch die
Gassen und Gäßchen wandern, etwas von dem
Atem jener fruchtbaren Epoche. Es zeigt das um
1550 erbaute Haus des einstigen Stadtbaumeisters
Ziegler, einen reich ornamentierten, mit
Fratzen von Teufeln verzierten steinernen Erker.
Das Haus Biehlmann, die ehemalige Niederlassung
der Äbte von Ebersmünster, schaut mit
seinem Treppenturm über einen kleinen Platz
und empfängt uns mit prachtvoller Eingangshalle
. Das ehemalige Arsenal, der "sog. Barbarasaal
im südllichen Teil der Stadt, wetteifert mit
seinem gotischen Staffelgiebel an Höhe mit dem
nahen „Neuen Turm", den vier kleine Ecktürm-
chen krönen. Ein prunkendes Renaissanceportal,

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