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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1963-01/0004
Otto Ernst Butter:

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Der ehedem in Stadt und Dorf als besonders
wirksame Gesundheitsförderung beobachtete
Brauch des „Zu-Ader-Lassens" ist längst aus der
Mode gekommen — wohl nur dann und wann
wird der Aderlaß vom Arzt noch als erforderlich
verordnet und vorgenommen. In den alten
Volkskalendern durfte die Darstellung des
„Aderlaß - Männleins" nicht fehlen, auf der angegeben
war, wo in den Tagen des einen oder
andern Tierkreiszeichens zu Ader gelassen werden
konnte bzw. sollte. Johann Jakob Christoph

Januar

Brauch hitzig Speis und starken Wein,
So kannst vor Flüssen sicher sein \
Für giere nicht, kein Ader schlag /
Jedoch die Not hat keinen Tag.

Februar (Hornung)

Im Hornung deinen Leib purgier /
Mit Aderlassen auch vexier \
Schröpfen und dergleichen Sachen
Pflegen frisch und gesund zu machen.

März

In berühmten Frühlingstagen
Säen I Pflanzen wohl behagen.
Schröpfen und das Aderlassen
Kannst jetzt unterwegen lassen.

April

Jetzt ist es Zeit zu lassen Blut /
Arzenei und Schweiß sind jetzund gut.
Sei nicht zu voll von Speis und Wein \
Groß Übung lasse ferne sein.

Mai

Brauch noch Arzenei \ und lasse Blut I
Das Baden ist auch jetzt sehr gut.
Iß leichte Speis I die grobe schad't /
Die Übung jetzt viel Nutzen hat.

Juni (Brachmond)

Im Brachmond ohne Not nit laß \
Ein frischer Trunk bekommt dir baß.
Gewürzte Speis / hitziger Trank
den Leib entzünden, machen krank.

Arzeneien / Bad und Lassen meid \
Groß Übung auch zu dieser Zeit.
Leb mäßig / meide starken Wein I
Iß feuchte Speis I die Frau laß sein.

von Grimmelshausen, 1676 als bischöflich-straß-
burgischer Schultheiß in Renchen in der Ortenau,
etwa 52 Jahre alt, heimgegangen, fügte dem
„Ewig währenden Kalender des Abenteuerlichen
Simplicissimi", einem der köstlichsten Werke des
deutschen Barockschrifttums, für jeden Monat
einen Aderlaß- oder Gesundheits-Spruch ein. Sie
folgen hier — nicht indessen etwa als Ratschläge
für das Aderlassen, vielmehr nur, um daran zu
erinnern, welche Kuriositäten es in der alten
Volksarzenei gegeben hat:

Juli

Hüt dich vor Kitz und starkem Wein:
Laß Lattich deine Speise sein.
Die Wegwart ist der Leber gut /
Sie kühlet das erhitzte Blut.

August

Die Hundstag laß vorübergehn \
Arzenei und Lassen solVn anstehn \
Leb mäßiglich in guter Ruh,
Iß ringe (leichte) Speis \ trink Bier dar zu.

September

Meid jetzt das Obst \ leb mäßiglich \
Die Ader laß I purgiere dich \
Zu End des Monds \ der Anfang schad't/
Doch merk: die Not keine Tage hat.

Oktober

Arzeneien, sie sind jetzund gut/

Hast du zuviel / so laß dein Blut.

Iß ringe (leichte) Speis und halt dich wohl \

Ein Übung hab \ trink dich nicht voll.

November

Iß wärmend Speis \ trink starken Wein /
Doch nicht zu viel; Arzenei laß sein.
Üb dich im Feld \ doch nicht zu sehr I
Leb mäßiglich / folg meiner Lehr.

Dezember

Von Schweinefleisch iß nit zu viel I
Dem Magen machts sonst böses Spiel.
Iß hitzig Speis \ trink starken Wein I
Doch laß Arzeneien jetzund sein.

Nach den gewissermaßen traditionellen Ansichten
über das Aderlassen gab es besondere
Tage, an denen es unter allen Umständen gemieden
werden mußte. Auch sie führt in seinem
„Ewig währenden Kalender" Grimmelshausen
auf. Gerade diese Mitteilungen zeigen, welche
höchst seltsame Vorstellungen die Menschen
Umtrieben, die im Aderlassen eine unentbehrliche
Gesundheits-Maßnahme sahen. Auch diese
Aderlaß-Vorschriften mögen hier folgen:

„Wer den 17. Januar zu Ader läßt / der stirbt oder
wird blind. Wer auf den letzten des Monats es
tut / fault nicht nach dem Tode. Wer den 23. Hornung
(Februar) läßt / stirbt bald oder wird krämpfig.
Wer den 23. April läßt / stirbt oder bekömmt ein
groß Fieber. Der 7. und 27. Mai zu Ader gelassen /
macht unsinnig oder sonst groß Haupt-Wehe. Auf
den 3. Juni zu Ader gelassen / bringt die fallende
Sucht oder den Aussatz, am 3. und 25. Juli zu Ader

gelassen, den Tod oder Verlust des Gedächtnisses.
Wer den 15. Augusti zu Ader läßt / der stirbt in
fünf Tagen. Wer den 1. oder 29. September läßt / der
stirbt das gleiche Jahr oder wird blind. Auf den .
21. Oktober gelassen / bringt entweder den Tod oder
macht unsinnig".

Vergegenwärtigt man sich, welche entscheidende
medizinische Bedeutimg ehedem dem
Aderlassen beigemessen wurde, erscheint es
begreiflich genug, daß von ihm in einem ausgesprochenen
Volkskalender, wie es der „Ewig
währende Kalender des Abenteuerlichen Simplicissimi
" in hervorragendem Maße war, sehr ausführlich
die Rede sein mußte. Für Grimmelshausen
mag obendrein das unbekümmerte Eingehen
auf die „Welt des Aderlasses" recht ein
„gefundenes Fressen" gewesen sein, an dem der
Simplicissimusdichter gewiß sein besonderes
Vergnügen hatte.

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