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damals als Bub, das käme von der faßtiefen
Stimme her, die seine Frau hatte. Erst viel
später kam ich dahinter, daß es ihr Kosenamen
war. Ich habe ihre Stimme immer noch im Ohr,
wenn es über den Lindenhof schallte: „Champe-
dissel, dü füüle Chaib, gli nimm ich dich bim
Krawäddl, dü Doddl!" Dann wurden ihre Nasenlöcher
, unter denen ein strammer Schnurrbart
und eine große Warze mit drei langen Haaren
standen, viereckig. Die Bauern, die um die Linde
herum wohnten, wurden neugierig und traten
auf die Straße um zu horchen. Der „Lung" ihr
gewaltiger Brustkasten geriet in Bewegung.
Mehr als einmal habe ich zugeschaut, wie sie
mit ihm ihren Champedissel einfach über den
Haufen rannte, wenn er ihr in die Quere kam.
Es muß gesagt werden: „fauler Chaib" und
„Doddl", das war dem Champedissel noch flattiert
. Er lief den ganzen Tag herum wie ein verhungertes
Hündchen. Spindeldürr, die Hände in
den Hosentaschen und seinen „Schigg" im Mund
herumdrehend. Er „schickte" nicht wie die anderen
Kirschenhändler, die ich kannte, die sich
mit dem Messer ein Stückchen Kautabak absäbelten
—, nein, er stopfte die nußgroße Rolle,
geschlungen wie sie war, in eine Backentasche.
Jeden Morgen: ich war damals acht Jahre alt —
mußte ich zu meinem „Schlosser-Bäsle", das ein
Kauflädele hatte, laufen, um ihm einen neuen
„Schigg" zu holen und jedesmal ermahnte er
mich: „Schellwaggele, äbä, jetz holsch mir wieder
aine... aaber saftig muaßr si, vrstannewu?"
Und dann griff er in seinen unergründlichen
Hosensack und brachte eine Handvoll Silbergeld
— Fuffzgerle und Zehnerle zutage, von denen
er mir eines extra gab.
Otto Ernst Sutter:
Wer selbst nur einigermaßen mit der Pflanzenwelt
bei uns zu Lande vertraut ist, wird
gewiß ohne weiteres an das schmalblätterige
Wald - Weidenröschen (Epilobium angustifolium)
denken, wenn einem Kahlhiebgewächs das Epitheton
klassisch zugebilligt wird. Die eifrige
Blüherin hüllt Schlagflächen, kaum sind sie frei
geworden, in wundervolle, rötlichviolette Uberwürfe
. Sie rechnet zu den Nachtkerzen-Pflanzen,
die neben der gelb blühenden Nachtkerze (Oeno-
thera) selbst die Fuchsie, das Wasserlöffelchen
(Ludwigia), das Hexenkraut (Circea) und das
Weidenröschen zusammenschließt.
Man bezeichnet das Weidenröschen häufig
als Wurzelwanderer, weil es sich vor allem durch
ausläuferartige, kriechende, zahlreiche Adventivknospen
treibende Wurzeln vermehrt. Die
Pflanze liebt die Sonne. Gerät sie, etwa von
einer Kahlhiebfläche, in den diese säumenden
Wald eindringend, in dichten Schatten, so fallen
die Blütenknospen, ehe sie sich öffnen, ab.
Gleichzeitig aber entwickeln sich die Kriechwurzeln
besonders stark. Die bisweilen über
einen Meter hohen Stengel belauben sich sehr
eng mit lanzettlichen, gegen den Grund hin
Sobald der erste Schub Kirschen, den die
Bauern gebracht hatten, in die großen Polsterkörbe
verpackt war, riß die Lindenwirtin das
Fenster auf: „Champedissel, euer Kächeli mit
Speckeier... len sie nit kalt wäre!" Wenn er
das hörte, wurde er springlebendig. Dann wischte
er seine Hände am Hosenboden ab, holte sich
den „Schick" aus dem Mund und legte ihn hinter
den Fensterladen an der Treppe...
Der Lindenwirt hatte mir und meinem Schul-
Spezi Michel schon längst ein blankes Fuffzgerle
versprochen, wenn wir..., und da kam er auch
schon: „Wiä isch-es, ihr zwee Cleveeri, ich main
hit wärs günstig", und er hielt uns beiden das
versprochene Geld unter die Nase! Im Handumdrehen
hatten wir Champedissels „Schick"
und verschwanden damit im Holzschopf. —
Jetzt, liebe Leser, muß ich etwas beichten,
was wir mit dem „Schick" gemacht haben; aber
— die Idee, daß er trocken werden könne, die
kam ja vom Lindenwirt, und darum —
Später legten wir den „Schick" wieder an
den alten Platz, und der ahnungslose Champedissel
holte ihn dort wieder ab. Der Lindenwirt
und wir beobachteten ihn, wie er ihn wieder in
seine Backentasche . schob, und wir konnten
nichts merken. Da konnte der Lindenwirt nicht
mehr anders und trat wie „beiläufig" zu ihm:
„Sag ämool, Champedissel, wu gits diä beschde
Schigg: am Kaiserstuahl oder z'Blodelse ahne?"
Zufrieden lächelnd erklärte der Champedissel
: „Müüsje Linde wir t, Ihr hen mir scho ä
mänksmool Leid gedonn, well Ihr nix vu Schigge
vrstehn. So ä riichtigs Pläsiär machts erst nom
erste Schöbbele — do merkt mr erst, ebb d'Beiz
guat isch gsinn..."
schmaler werdenden Blättern, deren Form an
die der Weiden denken läßt. Die endständige,
aufrechte Traube der entzückenden, rotvioletten
Blüten macht den Hauptreiz des Gewächses aus.
Die Frucht, vierkantig, ist eine fachspaltige
Kapsel. Die Samen, die sie birgt, sind auf der
Spitze mit einem vielstrahligen, sehr hübsch aussehenden
Federschopf aus silberweißen Härchen
geschmückt. Sie vertrauen sich gerne dem Wind
an. Aus der vegetativen Vermehrung wie aus
der Verbreitung der flugfähigen Samen erklärt
es sich, daß Kahlflächen oft unvorstellbar reich
mit Weidenröschen bestanden sind.
Außer unserem Wald - Weidenröschen gibt es
noch eine stattliche Zahl von weiteren Arten,
das Rosmarin-, Kies-, Zottige-, Bach-, Berg-,
Hartheu (Johanniskraut)-, Urgebirgs-, Lanzettblättriges
-, Rosablühendes-, Voralpen-, Sumpf-,
Dunkelgrünes-, Nickendes Weidenröschen u. a.
Vor allem auch das vergleichende Studium der
Laubblättchen der Arten wie der Blütenbiologie
des Weidenröschens beschäftigt die Botaniker
immer wieder. Aber volkstümliche Gunst eignet
doch nur Epilobium angustifolium, der Kahl-
hiebblüherin ohnegleichen.
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