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Der von ihm herausgegebene Reclam'sche Opernführer
erschien 1962 in 22. Auflage.
Jedermann weiß, daß Wilhelm Zentner zu
den besten Kennern Scheffels und Hebels gehört,
v Er gab die Briefe Hebels an Gustave Fecht heraus
und 1957 in erweiterter Fassung die Gesamtausgabe
der Hebelbriefe. Mit einer „innigen
nimmersatten Liebe" sammelte und deutete er
die Briefe des großen alemannischen Dichters.
Schon vor Jahren gab Zentner Hebels Werke mit
einer eingehenden Biographie im Verlag C. F.
Müller, Karlsruhe, heraus.
Im Auftrag des Scheffelbundes veröffentlichte
Zentner sieben Bände mit Briefen von Meister
Josephus an das Elternhaus.
Künstler, Forscher und Deuter, ein musischer
; Mensch, Mozart wie Hans- 'fhoma und Hebel
wahlverwandt, getreuester Freund des auf dem
Gottesacker zu Uberlingen ruhenden Dichters
Philander, ist Wilhelm Zentner 1961 von der
Landesregierung Baden - Württemberg der Professortitel
verliehen worden.
Ist Zentner nicht ein Vermittler ewiger Werte
unserer Kultur? In seinem Erinnerungsband
„Spätlese am Oberrhein" (Lahr 1958), seinem persönlichsten
Buch, spiegeln sich seine Liebe zu
Mensch und Tier, seine immer wachsende Begeisterung
für sein Jugendparädies am Oberrhein
und am Bodensee, seine Weisheit, seine feinsinnig
liebenswürdige Art und — sein süddeutscher
Humor. Dankbar grüßt und beglückwünscht
die oberrheinische Heimat den verehrten
Dichter, den hochverdienten Interpreten
Hebels und Scheffels.
Dankbar grüßt ihn auch „Die Markgrafschaft"
und fühlt sich mit ihm verbunden in herzlicher
Gemeinschaft des Wollens und der Liebe zur
Heimat, zum Guten und Saubern, der Liebe zur
Kunst, der Liebe zum Menschen. Aus seinem
Büchlein „Spätlese am Oberrhein" bringen wir
ein kleines Kapitel aus seiner Jugendzeit. Seine
Schwester saß in Karlsruhe mit mir auf einer
Schulbank. Auch in meinen Jugenderinnerungen
spielt ein Fünfzigerl eine gewichtige Rolle. Wir
hoffen, daß hoch mancher Beitrag aus seiner
Feder unsere Leser erfreuen wird.
Konstantin Schäfer
Wilhelm Zentner:
>ÖD6 jucütfgetcagcne Sünföfgetl
Meine Mutter war mit mir in die Durlacher
Allee gegangen. Dort machte sie vor einem
Miethause aus roten Backsteinen und mit grüngestrichenen
Fensterläden Halt, drückte ein
Paket unbekannten Inhalts in meine Hand und
schärfte mir ein: „Jetzt gehst du hinauf in den
dritten Stock, läutest an und sagst, wenn dir
jemand aufmacht: das soll ich für Herrn Brand
abgeben und ihm gute Besserung wünschen."
Ich tat, wie geheißen, klingelte, wartete, bis
eine freundliche Frau mit grauem Scheitel in der
geöffneten Glastür erschien, ließ mein Sprüchlein
von Stapel, lieferte ab und wendete mich
zum Gehen. Aber die Frau rief mir nach: „Halt,
Kleiner, du kriegst noch einen Botenlohn, denn
drei Treppen sind keine Kleinigkeit!", nahm ein
Geldstück aus der Schürzentasche, reichte mir's
und verschwand. Als ich den Botenlohn näher
besah, war es ein Fuffzigerl, wahrhaftig ein
winziges blitzblankes Fünfzigerl, der Benjamin
unter den Silbermünzen und doch ein Vermögen
für den Neunjährigen. Bis zur Halsschlagader
pochte mein Herz, und das Stiegenhaus schien
mir beim Hinabsteigen vom Gesang himmlischer
Heerscharen erfüllt. Der Chorus jubilierte:
„Fünfmal kannst Du jetzt in den Automaten in
der Kaiserpassage werfen, fünf Schokoladetäfelchen
, Pfefferminz oder Rahmkaramellen herausziehen
, und fünf neue Stollwerkbilder werden
dein eigen sein!" Wankend unter der Last so
unerwarteter freudiger Überraschung, geblendet
vom Rosenschein der nächsten Zukunft taumelte
ich meiner vor der Haustür wartenden Mutter
entgegen. Und der Mund quoll über von dem,
was das Herz durchwogte.
Allein die Mutter schien meine Freude mit-
nichten zu teilen. Im Gegenteil, sichtlicher Unmut
umwölkte ihre Stirn, und rasch sagte sie:
„Gleich trägst du das Fuffzigerl wieder zurück
und sagst: Geld darf ich keines annehmen!" Als
ich, wie aus allen Wolken gefallen, sie anstarrte,
fuhr sie noch strengeren Tons fort: „Ja, begreifst
du denn noch immer nicht? So etwas schickt sich
nicht für einen Karlsruher Beamtensohn!" Und
schon fühlte ich mich in den Hausgang zurückgeschubst
.
So blieb mir nichts anderes übrig, als den
Gang zu Herrn Brands Wohnung zu wiederholen.
Dort angekommen leierte ich mein Sprüchlein,
entäußerte mich meines Besitzes und empfing als
Ersatz drei Äpfel aus der Hand der graugescheitelten
Frau, die verlegen stammelte: „Deine
Mutter soll entschuldigen; ich habe wirklich
nicht gewußt, daß du der kleine Z. bist."
Diesmal jubilierten keine himmlischen Heerscharen
durchs Stiegenhaus. Äpfel hatten wir
selber zuhause genug auf dem Obsthördlein, an
Stollwerkbildern hingegen herrschte noch empfindlicher
Mangel in meinem von Lücken klaffenden
Album. Der Fritz und der Kuno, diese
Bilderprotzen, besaßen mehr als das doppelte.
Abermals eine verpaßte Chance, den Anschluß
zu gewinnen!
Auf dem Heimweg machte ich kein Hehl aus
meiner Enttäuschung, und selbst die Fahrt auf
der Elektrischen, mit der meine Mutter mir eine
Versöhnungshand hinzustrecken trachtete, wurde
nicht mit dem üblichen Jubelschrei, sondern mit
einem bockigen Schweigen quittiert. Um so hef-
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