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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1963-02/0007
tiger brodelte es in meinem Innern, denn bis in
den Schlaf hinein verfolgte mich das Geschehnis
in der Durlacher Allee. Ich schritt, einen Block
nagelneuer, in meinem Sammelalbum noch nicht
vertretener Stollwerkbilder in der Hand, zwischen
den Alleebäumen dahin, als plötzlich ein
Windstoß aufstob, die Blätter mit roher Gewalt
meinen Fingern entwirbelte und sie, gefolgt von
Blicken der Verzweiflung, in unerreichbare
Höhen davontrug, wo sie allmählich meinem

Auge entschwanden. Schließlich war nichts mehr
im Räume als eine rätselhafte Stimme, von der
ich nicht recht glauben konnte, daß sie meiner
Mutter gehören sollte: „So etwas schickt sich
nicht für einen Karlsruher Beamtensohn!"

Mein Ohr war eben damals noch nicht geschult
für die feinen Nuancen der gesellschaftlichen
Gradstufen und Schattierungen in der
Residenzstadt. Ich habe sie, weiß Gott, auch
künftighin nie so recht begriffen!

Richard Nutzinger:

VB\t htm Wae Lfybel einmal hm flceMgen uecboten wutht

Als Hebel wieder einmal an einem schönen
Sommersonntag seinen ihm so unwillkommenen
gottesdienstlichen Vertretungsdienst in Kandern
beendet hatte, beschloß er, gleich am Vormittag
noch den Weg nach seinem Heimatort Hausen
^nter die Füße zu nehmen, um ans Grab der
Mutter zu gehen und sich dort bei einem seiner
lieben Verwandten oder einstigen Schulfreunde
zum Mittagessen einladen zu lassen und ein
fröhliches Stündchen mit ihnen zu verbringen.
Und er war überall willkommen. Als er von
seinem Predigtdienst in Kandern erzählte, fragte
man ihn, ob er nicht auch einmal in seinem
Heimatkirchlein in Hausen zu predigen gedenke;
sie würden ihn alle gern einmal hören, und er
würde ge;wiß eine vollbesetzte Kirche haben; sie
seien nämlich mit ihrem derzeitigen etwas trok-
kenen Diakon Hofmann nicht sehr zufrieden.
Der Hanspeter ließ sich das nicht zweimal sagen
und erklärte sich bereit: gleich jetzt auf dem
Heimweg wolle er in Schöpfen bei dem ihm noch
imbekannten Amtsbruder ankehren und ihn
bitten, ihm doch einmal die Hausener Kanzel,
unter der er so oft als Büblein mit der Mutter
gesessen, für einen Sonntag zu überlassen.

Während er nun seinen alten, ihm so vertrauten
Schulweg Schopfheim zu einschlug,
mußte er sich sagen, daß seine guten Landsleute
wohl einen Anspruch auf ihn erheben könnten
und daß er gerade sogut wie in Kandern oder
Lörrach auch einmal in Hausen auf die Kanzel
steigen könne, und er malte sich schon aus, wie
da alle seine lieben Verwandten und Schulkameraden
in der Kirche sitzen würden und ach,
wenn das doch auch sein Müetterli noch hätte
erleben können, daß ihr Herzenswunsch in Erfüllung
gegangen war, ihn als Pfarrer zu sehen.
Mit geschwellter Brust und zuversichtlichem
Herzen trat er denn bei dem Diakon Hofmann
ein; aber da kam er bös an. Schon seine himmellange
, hagere Gestalt und seine tief in eingetrockneten
Backen liegenden Augen waren
schreckenerregend; und als sich Hebel nun vorstellte
und seine Bitte fast stotternd vorbrachte,
da schaute der Diakon voll Verachtung auf ihn
herab und donnerte ihn an: eine Predigt Hebels
in Hausen komme grundsätzlich nicht in Frage,
er solle erst einmal etwas Rechtes werden und
nicht nur so ein armseliger Präzeptorat&vikari,

und außerdem sei die Erinnerung an seine Lausbubenstreiche
in Hausen noch nicht erloschen.
„He neü", warf der Hanspeter erstaunt ein, aber
der Hofmann ließ ihn gar nicht zu Worte kommen
und bedeutete ihm klar und unmißverständlich
, es sei nicht klug, an den Ort seiner
Kindertorheiten zurückzukehren, zumal nicht als
Prediger, der ja der Gemeinde nicht den rechten
Weg zeigen könne, wenn er. selbst Dreck am
Stecken habe. Damit ließ er den verdutzten
Vikari stehen, der kein Wort mehr herausbrachte
und sich langsam zum Gehen wandte.

Hebel fühlte sich sonderbar niedergeschlagen;
dieser Mensch hatte ihm den schönen Sonntag
gründlich verdorben. „Aber der soll mein Hausen
nicht kaputtmachen und mir die Erinnerung an
meine selige Kindheit nicht rauben!" murmelte
er im Weiterschreiten vor sich hin. Und in Gedanken
suchte er nach einem Zeugen für seine
Kinder jähre, mit dem er gerne heute noch ins
Gespräch kommen könnte. Da fiel ihm der Pfarrei
* Friesenegger von Hauingen ein, der einst
auch Diakon in Hausen gewesen war und seine
Eltern getraut hatte. So lenkte er hinter Steinen
auf das Sträßchen gegen Hauingen ein, verharrte
aber dann einen Augenblick, als er in die Nähe
der Sterbestätte seiner Mutter kam, zog seinen
Hut vom Kopf und beschloß Sein stilles Gebet
mit der leisen Anfrage: „Gell, Müetterli, sone
böse Bueb bini doch mt gsi?" Und ihm war, als
habe ihm die Mutter freimdliche Antwort gegeben
. Froheren Schrittes zog er weiter und klopfte
in abendlicher Stunde an der alten gotischen
Pfarrhauspforte zu Hauingen an. Man sah ihn
gern dort, und er konnte sich nun vom Herzen
herunter erzählen, was er mit dem alten Hofmann
Demütigendes erlebt hatte. Friesehegger
wußte ihn zu trösten: so alt sei der übrigens gar
nicht, wie er aussehe,, er sei höchstens zehn Jahre
älter als Hebel, aber er sei offenbar, wie er
selbst auch schon in Hausen vernommen, in seinen
Anschauungen ein schrecklich alter und verknöcherter
Patron, auf dessen Urteil der Hanspeter
nicht viel geben dürfe.

Erleichterten Herzens ging Hebel seiner heimischen
Klause im Pädagogium in Lörrach zu;
aber vergessen hat er jene Szene in Schopfheim
nicht, und 16 Jahre später, als Hof mann längst

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