http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1963-07/0016
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Eine Nachtfahrt in den Auwald am Rhein
Es sei vorneweg gesagt: es lohnt sich, im
Frühsommer eine Tour in stiller Nacht an den
Rhein zu machen . . .
Früh um zwei bestieg ich mein altes, verläßliches
Stahlroß, um mich auf leisen Sohlen aus
der Stadt zu schleichen. Die Straßen sind menschenleer
und schöner als bei Tage. Nur ein
müder Polizist steht an meiner Ausfallstraße,
und die Dörflein, die ich passiere, sind wie ausgestorben
. Einige frühe Hähne künden den noch
fernen Morgen an. Ich lösche mein Licht und
fahre — verbotenerweise — in einer blauschwarzen
lautlosen Dunkelheit und stehe recht
bald an unserem Rhein . . .
Ein leiser Südwind zieht über das Wasser und
bringt Wolkenhaufen vom Jura her. Das Wasser
rauscht — man glaubt, die sich aneinander
reibenden Kiesel erzeugen dies Geräusch —, der
Ton klingt dumpf und unterirdisch. Der Wind
spielt in den jungen Pappel- und Espenblättern,
und sie singen wie ein reifes Welschkornfeld.
Noch schläft die Vogelwelt, nur eine große Eule
zieht, kaum zwei Meter über meinem Kopf, lautlos
an der Pappelreihe vorbei — schon zweimal
hatte sie mich mit ihrem weichen Flügelschlag
fast berührt, und nun erkenne ich sie an ihrem
Schrei, die graue Schleiereule ...
Durch Wind und Blätterrauschen vernehme
ich von weither Nachtigallenschlag. Auf weichen
Gummisohlen suche ich den Waldweg. Nur der
Blick nach oben und der hellere Schein des ausgefahrenen
Weges ermöglicht mir eine Orientierung
. Es ist auf einmal dunkler geworden: jene
' Dunkelheit kurz vor der Dämmerung. Lautlos
gleite ich auf der weichen Grasnarbe, und nur
das leise Knacken dürren Bruchholzes verrät
Leben im Raum.
Schon zweimal meldete sich neben mir im
Unterholz der Zaunkönig — sein dünner Ruf
kündet den im Osten aufkommenden Tag an,
den ich im Dunkel des Waldes nur ahne. Ich
höre flüchtendes Wild und muß mich in unmittelbarer
Nähe eines Rheinarmes befinden; denn ein
Frosch quarrt — hohl wie durch eine Röhre —
ganz in meiner Nähe, und ein kleinerer — man
hört es an seiner Stimme — antwortet.
Zum Greifen nahe, schlägt ganz unvermittelt
eine Nachtigall an. Ich bin richtig erschrocken,
so nahe ist sie mir, und sie ließ sich auch durch
festeres Auftreten nicht schrecken. Minutenlang
lege ich meinen Kopf in den Nacken und suche
die Spitzen der hohen Pappeln ab — bläulichfahl
kam die Helle von oben, während in der
Tiefe des Waldes noch schwärzliches Dunkel lag.
Mit einem Schlag war der Wald wie verzaubert
: ich war zwischen alte Weidenstümpfe geraten
, und weiß Gott — sie lebten! Sie bewegten
sich wie Menschen, die in der Dunkelheit aneinander
vorübergehen — sie nahmen menschliche
Gestalten an —, hatten Arme und Beine —
große schwarze, leere Augenhöhlen — alles waren
wesenlose Schattenbilder .. .
Von fern und in der Nähe meldeten sich
immer mehr Nachtigallen — fast alle hundert
Meter im Geviert beherrschte jede mit ihrem
Gesang ihr Gebiet. Hoch in den Pappeln turnten
langschwänzige Meisen in der Helle des aufziehenden
Tages — ein Eichelhäher schlug an
und ein Taubenpaar jagte sich in einer Buche:
„Was suchen Sie hier im Wald?" werde ich
unvermutet aus dem Dunkel eines Busches angesprochen
—, und ich schaue in die Mündung
einer gezückten Pistole eines Zollbeamten.. .
„Das Leben— die Freude", gebe ich zur Antwort
— „etwas, das zoll-und steuerfrei zu haben
ist und von dem nur „zu wenig" Gebrauch
gemacht wird!" Ich höre noch wie er „armer
Irrer" murmelte und verschwindet.
Nun konnte man die singenden Nachtigallen
nicht mehr alle zählen: ein Gelbspötter und eine
Singdrossel lärmten dazwischen, und auf der
Hummelordiis Aufn.: Chr. Frenzel
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