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Fritz Herbster, Lörrach:
Lfybel unb Japan
Eine sommerfes11 iche Plauderei
Die meisten Herren waren ohne Sakko gekommen
. Die andern zogen ihn spätestens beim
zweiten Twist aus, den die house - band ihrem
jugendlichen Publikum in die Glieder jagte —
beim diesjährigen Sommerball des Hebel - Gymnasiums
. Der Zeichensaal war nicht wiederzuerkennen
, und wer einmal einen Platz in einer
Koje erobert hatte, verließ ihn nicht ohne Mühe
wieder — so dicht waren die Scharen, die sich
yon dem Zauberwort „Sommerball" hatten bannen
lassen. Die Nachbarschule war mit einem
solchen Aufgebot vertreten, daß sie sich mit
einem kurzen Handgemenge in dieser Nacht die
Hebelianer hätte angliedern können. Aber davon
war ja nicht die Rede. Hätte es je etwas wie
eine Rivalität der beiden Gymnasien gegeben, so
reduzierte sie sich hier auf den Wettlauf um die
Gunst der nettesten Mädchen, und da gab es
Chancen für viele Sieger.
Wieder ein Twist. Mit einer roten Schleife
neckisch an einem Fischernetz befestigt, schaute
der bartgelockte Perikles unter seinem Feldherrnhelm
ernst auf die Lustbarkeit der nordischen
Barbaren. An anderer Stelle erblickte man
über dem Getümmel, von der pharmazeutischen
Industrie liebevoll vergrößert, das berühmte
Innenbild der Berliner Sosias-Schale: Achill verbindet
den verwundeten Patroklos. Einen besonderen
Tisch, etwas abseits, aber der Klangfülle
der „band" voll erreichbar, hatte man den „Schiffern
" reserviert, und auch sie waren, teils mit
ihren Damen, fast in Nennstärke erschienen.
Der Kapitän hatte einen Gast mitgebracht, und
der Zufall setzte ihn uns gegenüber: Professor
Kimura, seines Zeichens Germanist an der
Universität in Osaka.
Bald zeigte sich, was den grazilen Gelehrten
aus Japan hierher geführt hatte. Nicht die Absicht
, Tanzstudien zu machen. Wohl aber Studien
über die örtlichkeiten, an denen einst der von
ihm verehrte Johann Peter Hebel gelebt hat.
Zwölf Tage lang hatte er die Landschaft an den
Ufern der Wiese durchwandert, hatte dreimal
vom Feldberg in Hebels Tal hinabgeschaut, war
Feldbergs Töchterlein auf seinen ersten Schritten
ins lichtspiegelnde Dasein nachgegangen, hatte in
Hausen alles und jedes sich zeigen lassen, was
noch an Hebels Erdentage erinnerte, und war
schließlich auch mit einem Freund vor dem
schmalen Haus am Basler Totentanz in der
St. Johannvorstadt gestanden und hatte zur
Gedenktafel hinaufgeblickt.
Daß es nicht bei diesem versunkenen Blick
blieb, dafür sorgte wohl irgend einer der guten
Geister, mit denen Hebel schon zu Lebzeiten auf
vertrautem Fuße stand. Ein Fenster öffnete sich
unversehens, und das gütige Gesicht von Frau A.
erschien, die Fremdlinge ins Innere des Hauses
zu bitten. Es ging nicht lange, da waren sie durch
das Telefon bereits weitergeleitet zu dem Basler
Altmeister der Hebelkunde, Professor Wilhelm
Altwegg, wo all das an Literaturangaben in
Kimuras Notizbuch wandern sollte, was dort
noch fehlte. Als er Frau A. beim Abschied sein
Erstaunen ausdrückte, als Wildfremder einem
solchen Vertrauen begegnet zu sein, da lautete
die Antwort schlicht baslerisch: „Wisse Si, under
de Hebelfrind git's kaini beese Mänsche!"
Ja — und nun saß er hier, im sommerfestlich
verzauberten Parterre des neuen Hebel - Gymnasiums
, in dem die Temperatur immer japanischer
wurde und auch die Rhythmen der Kapelle
immer heißer. Am Vormittag hatte Prof. Kimura
dem alten Hebel - Gymnasium einen Besuch
abgestattet, und seine Gedanken hatten nicht
nur bei dem Dichter geweilt, der während neun
Jahren hier aus und ein ging und die weiland
Tabakfabrik mit seinem Geist imprägnierte,
sondern auch bei seinem hochverehrten Universitätslehrer
Hermann Bohner, dem gefeierten
Germanisten der Universität Osaka, von dem er
wußte, daß er vor sechzig Jahren eine dieser
alten Bänke gedrückt hatte. Er hatte dem jungen
Japaner den Funken der Liebe zur deutschen
Sprache und zur deutschen Dichtung in die Seele
geworfen, der ihn selbst zum Deutschprofessor
werden ließ *— und sie hatten vereinbart, sich
in diesem Sommer in Deutschland, in Hebels
Heimat, zu treffen. Statt dessen war ein Telegramm
gekommen: Bohner war am 24. Juni in
Japan gestorben.
Oft mußten wir uns über den Tisch beugen,
wenn die Musik gerade besonders dynamisch
zum Tanz spielte. Aber es war ein gutes Gespräch
— über altes und neues Japan, über die
Japaner und die Deutschen, über das No-Spiel
und japanische Filme, und Kimura machte uns
ein Kompliment, als wir uns des Namens der
ersten Japanerin erinnerten, die in einem deutschen
Film spielte. Er konnte nicht wissen, daß
die „Tochter des Samurai", Setsuko Hara, bei
Anlaufen ihres von Arnold Frank gedrehten
Films in Lörrach gewesen war und dem jungen
Filmenthusiasten ihr Bild im Großformat mit
einer blumigen Widmung verehrt hatte.
Die Stimmung war schon ganz groß, als gegen
Mitternacht Direktor Dr. Glassen seinen Gast
am Arm nahm, um ihn durch den Trubel in die
Kapitäns-Kajüte im zweiten Stockwerk zu geleiten
. Dort entnahm er einem Schränkchen eine
schwarz gebundene Schülerliste, blätterte kurz
und wies mit dem Finger auf einen Namen:
Hermann Bohner.
Dann saß uns Kimura wieder gegenüber. Die
Deutschen, die nach Japan kommen, sollten nicht
nur lehren wollen, meinte er leise, sondern auch
ein wenig lernen. Und das Gespräch wandte sich
noch einmal zurück zu Hebel, den Kimura alemannisch
(!) zitierte. Wir erfuhren, wieso gerade
dieser Dichter den Japanern in vielen Zügen so
verwandt erscheint. Ob Kimura ihn auch über*-
setzt habe, fragten wir. Nein — das habe er
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