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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1963-10/0012
einem Seitenweg voran näch Varennes, .* um den
Bürgerrat von der Ankunft des Kpnigs zu unterrichten
. Sogleich wurden die Sturmglocken
geläutet, das Volk trat unter die Waffen und bebesetzte
alle Ausgänge. Als dann die königlichen
Wagen ankamen, wurden diese angehalten und
zur Umkehr nach Paris gezwungen. Der König
wurde als Gefangener zurückgebracht, umgeben

von Pöbelhaufen und Nationalgarden. Der Postmeister
Drouet aber wurde als Held der Revolution
gefeiert; seine Freilassung ermöglichte jetzt
in erster Linie die Auslieferung der einzigen
Überlebenden«der königlichen Familie, der Prinzessin
Maria Theresia, der späteren Herzogin
von Angöuleme.

tftanfcerjatjre

Die folgende Darstellung stammt von August Bebel.
Sie wurde entnommen seinem Buch „Aus meinem
Leben". Der Bericht gibt einen lebendigen Einblick
in die sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse, wie
sie vor hundert Jahren bestanden. Diese Kulturgeschichte
des einfachen Mannes aus dem Volke
habert die älteren unter uns noch am Rande miterlebt
. Die junge Generation weiß davon nichts mehr.
Sie wird mit Aufmerksamkeit und Ergriffenheit lesen,
unter welch bescheidenen Bedingungen ihre Großväter
und Urgroßväter gelebt und gearbeitet haben.

August Bebel ist am 22. Februar 1840 in einer Kasematte
der Festungswerke in Köln-Deutz geboren als
Sohn eines Berufsunteroffiziers. Dieser starb mit
35 Jahren an Tuberkulose. Seine Mutter heiratete
wieder, aber auch der Stiefvater starb bald an der
Proletarierkrankheit. Die Mutter siedelte dann mit
ihren zwei Buben in ihre Heimat nach Wetzlar über.
Noch ehe August Bebel die Volksschule verlassen
hatte, verlor er auch seine Mutter. Er erlernte das
Drechslerhandwerk. Nach Abschluß der Lehre setzt
unser Bericht ein.

Die Veröffentlichung erfolgt im Nachgang zum fünfzigsten
Todestag. August Bebel starb am 13. August
1913 zu Passug in Graubünden. Seine Beisetzung er-
folgte unter ungeheurer Beteiligung in Zürich. Auch
das badische Oberland war dabei stark vertreten.

Fr. Kuhn, Lörrach

Ende Januar 1858 rüstete ich mich zur Wanderschaft
. Als ich mich von der Meisterin verabschiedete
, gab sie mir außer dem fälligen Lohn,
der pro Woche 15 Silbergroschen betrug, noch
einen Taler Reisegeld. Am 1. Februar trat ich
von Wetzlar aus die Reise zu Fuß bei heftigem
Schneetreiben an. Mein Bruder, der das Tischlerhandwerk
erlernte, begleitete mich ungefähr eine
Stunde Weges. Als wir uns verabschiedeten, brach
er in heftiges Weinen aus, eine Gefühlsregung,
die ich nie an ihm beobachtet hatte. Ich solle ihn
zum letzten Male gesehen haben. Im Sommer
1859 erhielt ich die Nachricht, daß er binnen drei
Tagen einem heftigen Gelenkrheumatismus erlegen
sei. So war ich der letzte von der Familie.

. Mein nächstes Ziel war Frankfurt am Main.
Von Langgöns aus benutzte ich die Bahn und
kam so noch am Abend des gleichen Tages in
Frankfurt an, wo ich in der Herberge „Zum
Prinzen Karl" einkehrte. Arbeit wollte ich noch
nicht nehmen, so fuhr ich zwei Tage später mit
der Bahn nach Heidelberg. Der Zug, auf dem ich
fuhr, hatte statt Glasfenster Vorhänge aus Barchent
, die zugezogen werden konnten. Damals
bestand noch der Paßzwang, das heißt, es bestand
für die Handwerksburschen die Verpflichtung,
ein Wanderbuch zu führen, in das die Strecken,
die sie durchwandern wollten, polizeilich eingetragen
— visiert — wurden. Wer kein Visum

hatte, wurde bestraft. In vielen Städten, darunter
auch in Heidelberg, bestand weiter in jener Zeit
die Vorschrift, daß die Handwerksburschen morgens
zwischen 8 und 9 Uhr auf das Polizeiamt -
kommen mußten, um sich ärztlich, namentlich
auf ansteckende Hautkrankheiten, untersuchen
zu lassen. Wer die Stunde für diese Visitation
übersah, mußte mit der Abreise bis zum nächsten
Tage warten. So erging es mir, weil ich die Vorschrift
nicht kannte und zu spät kam. Von Heidelberg
wanderte ich zu Fuß nach Mannheim
und von dort nach Speyer, woselbst ich Arbeit
fand. Die Behandlung war gut, und das Essen
ebenfalls und reichlich, schlafen mußte ich dagegen
in der Werkstatt, in der in einer Ecke ein
Bett aufgeschlagen war. Das geschah mir später
auch in Freiburg i. Br. In jener Zeit bestand im
Handwerk noch allgemein die Sitte, daß die
Gesellen beim Meister in Kost und Wohnung
waren, und diese letztere war häufig erbärmlich.
Der Lohn w;ar auch niedrig, er betrug in Speyer
pro Woche I Gulden 6 Kreuzer, etwa zwei Mark.
Als ich mich später darüber beklagte, meinte der
Meister, er habe in seiner ersten Arbeitsstelle in
der Fremde auch nicht' mehr erhalten. Das mochte
fünfzehn Jahre früher gewesen sein. Eines Sonntags
ließ ich mich in der Brauerei zum Storchen
verleiten, ein Kartenspiel'zu machen. Ich verlor,
da ich nichts vom Spiel verstand, in kurzer Zeit
18 Kreuzer, mehr als ein Viertel meines Wochenlohnes
. Darüber geriet ich in große Aufregung
und schwur, nie mehr um Geld zu spielen. Meinen
Schwur habe ich gehalten. Sobald ctas Frühjahr
kam, litt es mich nicht mehr in der Werkstätte
. Anfangs April ging ich wieder auf die
Walze, wie der Kunstausdruck lautet. Ich marschierte
durch die Pfalz über Landau nach Germersheim
und über den. Rhein zurück nach
Karlsruhe und landaufwärts über Baden-Baden,
Offenburg, Lahr nach Freiburg, woselbst ich
wieder Arbeit nahm. In jenem Frühjahr war die
Nachfrage nach Schneidergehilfen ungemein
stark, und da ich sehr flott marschierte und im
Äußeren der Vorstellung, die man sich von einem
Schneidergesell machte, durchaus entsprach, wurde
ich auf dieser Reise öfter schon vor den Toren
der Städte von Schneidermeistern angesprochen.
Mehrere wollten nicht glauben, daß ich kein
Schneider sei, andere wieder entschuldigten sich,
daß sie mich für einen solchen gehalten, „weil
ich ganz wie ein Schneider aussähe."

In Freibürg verlebte ich einen sehr angenehmen
Sommer. Freiburg ist nach seiner Lage eine

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