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der schönsten Städte Deutschlands. Seine Wälder
sind bezaubernd, der Schloßberg ist ein herrliches
Stück Erde, und zu Ausflügen in die Umgegend
locken Dutzende prächtig gelegener Orte. Aber
was mir fehlte, war entsprechender Anschluß an
gleichgesinnte junge Leute. Ein Zusammenschluß
mit Fachgenossen bestand in jener Zeit nicht,
und in meiner Werkstatt war ich der einzige
Gehilfe. Die Zunft war aufgehoben, und neue
Gewerkschaftsorganisationen gab es noch nicht.
Politische Vereine, denen man als Arbeiter hätte
beitreten können, existierten ebenfalls nicht.
Noch herrschte überall in Deutschland die Reaktion
. Für reihe Vergnügungsvereine hatte ich
aber keinen Sinn und kein Geld. Da hörte ich
von der Existenz des katholischen Gesellenvereins
, der am Karlsplatz sein eigenes Vereinshaus
hatte. Nachdem ich mich vergewissert, daß auch
Andersgläubige Aufnahme fänden, trat ich, obgleich
ich Protestant war, demselben bei.
Während meines Aufenthaltes in Süddeutsch-
länd und in Österreich habe ich in Freiburg und
in Salzburg dem katholischen Gesellenverein angehört
und habe es nicht bereut. In diesen Vereinen
herrschte gegen Andersgläubige volle
Toleranz. Der Präses des Vereins war stets ein
Pfarrer. Der Präses des Freiburger Vereins war
der später sehr bekannt gewordene Professor
Alban Stolz. Die Mitgliedschaft wurde durch den
von Mitgliedern gewählten Altgesellen repräsentiert
, der nach dem Präses die wichigtste Person
war. Es wurden zeitweise Vorträge gehalten und
Unterricht in verschiedenen Fächern erteilt. Die
Vereine waren also eine Art Bildungsvereine. In
dem Vereinszimmer fand man eine Anzahl allerdings
nur katholischer Zeitungen, aus denen man
aber doch erfahren konnte, was in der Welt vorging
. Das war für mich, der schon am Ende der
Schuljahre und nachher in den Lehrjahren, als
der Krimkrieg entbrannt war, sich lebhaft um
Politik kümmerte, eine Hauptsache.
Auch das Bedürfnis nach Umgang mit gleich-
alterigen und strebsamen jungen Leuten fand
hier seine Befriedigung. Ein eigenartiges Element
im Verein waren die Kapläne, die, jung und
lebenslustig, froh waren, daß sie gleichalterigen
Elementen sich anschließenn konnten. Verließ
das Gesellenvereinsmitglied den Ort, so bekam
es ein Wanderbuch mit, das ihm in den Gesellenvereinen
und bei den Pfarrherren, falls es bei
diesem um eine Unterstützung vorsprechen wollte
, legitimierte. Ich bin noch heute Besitzer eines
solchen Buches, in dem auf der ersten Seite der
heilige Joseph mit dem Christkindlein auf dem
Arm abgebildet ist. Der heilige Joseph ist der
Schutzpatron der Gesellenvereine. Den Gründer
Her Vereine, Pfarrer Kolping, damals in Köln, der,
irre ich nicht, in seiner Jugend Schuhmachergeselle
war, lernte ich in Freiburg kennen, wo er
eines Tages einen Vortrag hielt.
Im September 1858 drängte es mich weiterzuwandern
. Ich verließ Freiburg und marschierte
bei herrlichstem Wetter durch das Höllental über
den Schwarzwald nach Neustadt, Donaueschingen
und Schaffhausen. Dann wanderte ich auf der
Schweizer Seite nach Konstanz, fuhr zu Schiff
im&' den Bodensee nach, Friedrichshafen. Von
Ijier ging der Marsch zu Fuß über Ravensburg,
JÖifoerach, Ulm, Augsburg nach München. In
Württemberg bestand in jener Zeit in den Städten
die Einrichtung, daß die wandernden Handwerksburschen
ein sogenannten Gastgeschenk in
Empfang nehmen konnten, das in der Regel sechs
Kreuzer betrug, um sie vom Fechten abzuhalten.
Ich habe dieses Geschenk überall gewissenhaft
kassiert.
Von Ulm aus schloß sich mir ein stämmiger
Tiroler an, der wie ein Fleischer aussah, aber
ein Schneider war. Statt des „Berliners" (ein mit
Wachstuch überzogenes Bündel, das in der Regel
die Form einer Riesenwurst hat) trug er einen
Militärtornister, was ihm, da er auch eine lei-
nerne Bluse anhatte, ein seltsames Aussehen gab.
Da unser Geld knapp war und Fechten zu keiner
Zeit als Schande galt, klopften wir ziemlich
häufig die Dörfer ab. Eines Mittags hatten wir
wieder in einem Dorfe einen strategischen Plan
entworfen. „Du nimmst die rechte Seite, ich die
linke!" hieß es. Als ich in ein Haus kam, erhielt
ich von der Tochter mit dem Geschenk zugleich
die Warnung, mich in acht zu nehmen, der Gendarm
sei in der Nähe. Das ließ ich mir gesagt
sein. Als ich aber außen vor dem Dorf ein stattliches
Haus stehen sah, allerdings auf der andern
Seite, das aber das Aussehen hatte, als könnten
seine Bewohner zwei Handwerksburschen unterstützen
, konnte ich der Versuchung nicht widerstehen
und, marschierte darauf los. Glücklicherweise
betrachtete ich mir das Haus nochmals
von außen, ehe ich die sechs oder sieben Steinstufen
hinaufstieg, und da entdeckte ich zu meiner
Überraschung über der Tür ein Schild; mit
dem Inhalt: Königlich bayerische Gendarmeriestation
. Ich ging mit Andacht vorbei und legte
mich im herrlichsten Sonnenschein außerhalb des
Dorfes auf eine Wiese, um meinen Reisegefährten
zu erwarten. Dieser kam endlich angetrabt
und marschierte direkt auf das Haus los, das ja
auf der ihm zugeteilten Seite lag. Ohne es von
außen anzusehen, stieg er die Treppe hinauf und
ging hinein. Ich gestehe, daß ich in diesem
Augenblick von einem Lachkrampf befallen wurde
. Nach einigen Sekunden kam der Tiroler zum
Hause herausgeschossen, sprang mit einem mächtigen
Satz über sämtliche Treppenstufen und
rannte, was ihn die Beine tragen konnten. Als
ich ihn lachend fragte, was denn passiert sei, erzählte
er, er sei direkt nach der „Kuchel" (Küche)
gegangen, aus der es sehr gut gerochen habe,
dort aber habe ein Gendarm in Hemdsärmeln
gestanden und ihn angeschnauzt, was er wolle.
Er habe natürlich die Lage sofort erkannt und sei
spornstreichs zum Hause hinaus.
Andern Tags kamen wir nach Dachau. Hier
machte mir mein Reisekollege den Vorschlag, wir
sollten beide bei den Schneidermeistern Umschau
halten, was; ich ohne Bedenken tun könnte, da
ich ganz wie ein Schneider aussehe. Hier sei
bemerkt, daß bei einer Umschau bei den Meistern
des* Gewerbes die Geschenke wesentlich reicher
ausfielen als beim Fechten. Dafür hatte man aber
auch die moralische Verpflichtimg, wenn bei
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