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Er jammerte und lamentierte wegen der schrecklichen
Hitze und meinte, wenn nicht bald ein
guter Regen käme, könne nichts mehr wachsen,
es gebe schlechtes Getreide, und kein öhmd
könne eingefahren werden. Von den Hackfrüchten
ganz zu schweigen.
Allmählich wurde er stiller, und der Schuhmacher
sah lächelnd zu, wie ihm der Kopf auf
seine Arme über dem Tisch sank und ihn die
Müdigkeit vergangener heißer und arbeitsreicher
Wöchen übermannte. Der Meister stellte die
fertigen Schuhe neben ihn und begann mit dem
Besohlen anderer. Dazu pfiff er lustig und hämmerte
kräftig den Takt dazu. Je lauter er klopfte,
je tiefer erklangen die schweren Baßtöne des
Schlafenden. Inzwischen war ein schweres Gewitter
heraufgezogen und stieß sich am Blauen.
Selbst die heftigsten Donnerschläge ermunterten
den Bauer nicht, vielmehr zog er immer tiefere
und dröhnendere Register, als gälte es eine Wette
mit den Naturgewalten. Der Schuhmacher hatte
die neuen Sohlen kunstgerecht auf die zu sohlenden
Schuhe genagelt und feilte und polierte
sie auf Hochglanz. Er berechnete für sich, was er
verdient hatte, solange der Nachbar geschlafen
hatte. Er freute sich im Stillen darüber, denn
der Bauer würde sich tüchtig ärgern.
Als der wolkenbruchartige Regen in ein leichtes
Plätschern überging, dehnte sich endlich der
Bauer und rieb sich verwundert die Augen aus.
Lachend fragte ihn der Schuhmacher, ob er endlich
ausgeschlafen habe. Ein schweres Gewitter
sei inzwischen niedergegangen, und während er
geschlafen, habe er sich ein schönes Stück Geld
verdient. Und er wies ihm die inzwischen fertig
gewordenen Schuhe.
„Do hani mehr verdient im Schlofe", sagte
bedächtig der Bauer. Auf des erstaunten Meisters
Frage wie er das meine, erklärte ihm der andere,
daß durch den warmen Regen nun seine Ernte
und das Öhmd, aber auch alle andern Gewächse
gerettet seien. Das mache ihm mehr als Tausend
aus, gering gerechnet.
Da warf der Schuhmacher zornig seinen Hammer
unter die breite Schusterbank und meinte,
dann verlohne es sich nicht mehr für ihn auf
seinem Handwerk. Da wolle er auch Bauer werden
, und er und alle andern könnten von ihm
aus barfuß gehen. Allmählich gelang es dem
Bauern ihn zu beschwichtigen und davon zu
überzeugen, daß er ganz unentbehrlich sei, denn
sie seien doch beide aufeinander angewiesen. Im
besten Einvernehmen trennten sich die beiden
schließlich mit einem kräftigen Händedruck, und
die Sonne stahl sich lächelnd durch die fliehenden
Wolken. — Lachend hatte ihm der Großvater
zugehört und sagte, das sei er aber nicht
gewesen.
Wenn der Schuhmacher bei uns auf der „Stör"
war) und die Mutter mit einer Näharbeit an
einem anderen Fenster saß, erzählte er launig
das und jenes aus dem Dorfe. Wir kleinen Mädchen
mühten uns mit einem wollenen Strickstrumpf
und sagten das Sprüchlein: Ine steche,
dure zieh, falle lo!, was sich auf den Gang der
Rechtsmasche bezog. Es fiel uns schwer, unsere
ganze Aufmerksamkeit auf unser Machwerk zu
legen, denn wir hörten viel lieber auf das lebhafte
Gespräch der Erwachsenen, besonders
wenn es darin „geisterte". Der Meister war ein
gescheiter Mann, kam in viele Häuser und sah
und hörte gar manches, was ihn zum scharfen
Nachdenken zwang. Aber daß es Geister gab, die
keine Ruhe im Grab fanden, das ließ er sich nicht
nehmen, denn er hatte sie gehört und gesehen.
Besonders von einem Bauern, der den schönsten
Hof hatte, wußte er, daß er „umging", weil er
zu seiner Lebenszeit hart und geizig war zu seinen
vielen Dienstboten und Taglöhnern. Er hatte
selbst gehört, wie er nach seinem Tode durch
sein schönes Haus rumorte und in den großen
Fässern seines tiefen Kellers stöhnte. Er sah ihn
auf seinem einstigen Feld um Mitternacht
„gehen" und auf seinem grauen großen Grabstein
als seltsamer Vogel „sitzen". Obschon uns
die Mutter mit einem Vorwand hinausschickte
bei diesen gruseligen Gesprächen, schnappten
wir soviel auf, daß wir scheu auf das Feldstück
sahen und den grauen Stein auf dem stillen
Friedhof in großem Bogen umgingen, wenn uns
der Weg daran vorbeiführte. Als ich etwas größer
war, brachte ich meine Spielgefährtin, die
auf jenem Hof bei dem damaligen Pächter aufwuchs
dazu, mit einem flackernden Kerzenlicht
mit mir die vielen Stufen hinab in den hochgewölbten
Keller zü steigen. Argwöhnisch betrachtete
ich die langen Reihen der mächtigen
Fässer und legte das Ohr an das größte. Aber
nichts war zu hören wie das Aufschlagen blinkender
Wassertropfen, die vom Gewölbe sickernd,
klingelnd zu Boden fielen. Nun wollte ich sie
noch dazu bewegen, im oberen Stockwerk des
Hauses jene Türe aufzuschließen, hinter welcher
der „Geist" eingesperrt war. Aber dazu konnte sie
sich nicht entschließen, weil es ihr streng verboten
war. In dem großen Zimmer nämlich war
der Bienenkorb, in welchem der böse Geist „gebannt
" war, und man hütete sich, „ihn" zu beunruhigen
oder gar hinauszulassen.
Als dann das schöne Ökonomiegebäude an
einem Vormittag durch Bubenhände in Brand
geriet und die Glocken über dem aufgeregten
Dorfe wimmerten, mochte ich vielleicht zehn
Jahre gezählt haben. Weinend bat ich die Mutter
, zum Brandplatz gehen zu dürfen. Beruhigend
und gutmütig scheltend suchte sie mich davon
abzubringen, bis mich schließlich eine alte
Frau bei der Hand nahm und mit mir hinging.
Mit großen Augen starrte ich in die hellauflodernden
Flammen und sah, wie das störrische
Vieh und die vielen Wagen und Geräte herausgebracht
wurden, und dabei wurde ich ruhiger.
Später wurde der geheimnisvolle Keller unter
dem Wirtschaftsgebäude zugeschüttet und ein
kleineres, doch noch sehr geräumiges Gebäude
darüber errichtet. Auch im Hause hat „ihn" keiner
mehr gehört. Nur die Sage von dem gefürich-
teten, und doch wegen seiner Tüchtigkeit und
Erfahrung hochgeachteten Bauern, ist bis heute
lebendig geblieben.
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