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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1963-12/0006
Pfund- und Kilogewichten zu beschweren, aber
als er fertig geschmückt war, konnten wir ihn
gerade noch auffangen. Zum Glück war das Zimmer
etwa einen Meter hoch getäfelt, so daß wir
in der Oberleiste der Verkleidung eine große
Ringschraube anbringen und den Baum in der
Mitte mit einer starken Schnur daran festbinden
konnten.

Einmal kam ein „richtiges Christkindle" zu
uns, nachdem unser Wolfgang mit den Dorfkindern
so oft das Weihnachtsversie gesagt hatte:

„Christchindli, chumm in unser Hus,
leer dy goldig Säckli us,
stell dy Eseli uf der Mist,
aß es Heu un Haber frißt.
Heu un Haber frißt es nit,
Zuckerbrötli kriegt es nit!"

Weihnaditen in der Kammer Ludwig Emil Grimm

Groß und schlank war es, weiß gekleidet und
dicht verschleiert unter der Krone aus Goldpapier
. Volles, hellblondes Haar hing fast bis zu
den Kniekehlen. Ein wunderschönes Christkind
war es; Wolf gang mußte es immer anschauen
und konnte kaum sein Sprüchlein sagen und das
Weihnachtslied mitsingen. Am andern Tag war
er sehr nachdenklich und sagte schließlich leise:
„Mutti, das Christchindli het grad gschwätzt wie
's Rotschrybers Emma!"

Im folgenden Jahr entdeckte ich meine beiden
Söhne am Schlüsselloch des Weihnachtszimmers.
Wolfgang hob das auf den Zehen stehende Brüderchen
etwas hinauf, und ich hörte ihn flüstern:
„Lueg, Rudeli, dort stoht scho der Wiehnechts-

baum, un wenn de recht brav bisch un schön bete
duesch, derno bringt der 's Christchindli viel
schöni Sache!" Als dann das Glöckchen läutete
und die Tür aufging, war die Seligkeit auch ohne
verschleiertes Christkind groß. Die Wünsche waren
damals so bescheiden bei groß und klein, und
die Kinder dabei glücklicher.

Am andern und einem weiteren Morgen war
immer eine von den großen Kugeln, die unten
hingen, zerbrochen. Wie war das möglich? Niemand
konnte sich das erklären, bis mir der Neujahrsmorgen
des Rätsels Lösung brachte.

Ich verspätete mich diesen Morgen und ging
aus dem Schlafzimmer zu einer Stunde, in der
ich sonst schon mit der Zubereitung des Frühstücks
beschäftigt war. Auf dem Weg zur Küche
blieb ich einen Augenblick vor der Kinderzimmertüre
stehen. Ob schon einer von den Buben
wach war? Es war schon heller Tag, und durch
die große Scheibe in dieser Tür sah ich, daß
Rudels Bett leer war. Gleichzeitig hörte ich aus
dem gegenüberliegenden Weihnachtszimmer ein
Geräusch. Behutsam machte ich die Tür ein
Spältchen auf und guckte hinein. Da stand mein
kleiner Hemdenmatz beim Christbaum und betastete
selig eine Kugel nach der andern, dabei
einer jeden sagend: „Oh, bis du söön!" Dann
nahm er eine davon in beide Händchen und
drückte sie vor lauter Entzücken so, daß sie zerbrach
. Die Splitter lagen auf dem Boden, und
Rudels Gesicht drückte eine so schwere Enttäuschung
aus, die noch Ausdruck fand in dem Satz:
„Allerwyl alli kambut!" Leise zog ich die Türe
wieder zu und verschwand in der Küche. Bald
darauf klappte auch leise die Tür zum Kinderzimmer
, und ich hörte, wie der kleine Sünder
wieder in sein knarrendes Bettchen kletterte.

Später, als wir am Kaffeetisch saßen und die
frischen Wecken so verlockend dufteten, sagte
ich: „He aber au, hüt z'nacht isch scho wieder
e Chugele verplatzt; was isch au das nit!" Dabei
schaute ich Rudolf forschend an. „Bösi Muus gsi",
sagte er verlegen. Wir litten jahrelang en dem
alten Schulhaus unter vielen Mäusen. „So, so,
bösi Muus. Jä, i main halt, die bösi Muus bruucht
drum au kai Wecke; wenn si Hunger het, cha si
Brot esse!" Dabei gab ich Wolf gang einen großen
Wecken auf seinen Teller; Rudolfs Teller ließ ich
leer. „Mutti, Müüsli ißt aber gern Wecke, ißt
gar kaine Chugel meh. So söni Chugel!" Der Ton
und das Spitzbubengesichtchen zwischen Lachen
und Weinen bekannten, versprachen und bedauerten
. Rudolf bekam einen Wecken, und die
böse Maus aß keine Kugel mehr.

Auch andere Zwischenfälle gab es in der
Weihnachtszeit. Die Gersbacher hatten ein eigenes
kleines Elektrizitätswerk an der Wehrahalde.
Der kleine Bach füllte den Stauweiher und fiel
mit starkem Gefäll zu Tal. Um Weihnachten,
wenn der erste Schnee gefallen war und das
dürre Laub* das der Bach immer mitführte, am
Rechen festklebte, wurde der Abfluß verstopft,
und der Strom ging aus. Trat der Fall über die
Feiertage ein, waren die Verantwortlichen oft
nicht bei der Hand, um die mühsame Säuberung

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