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des Rechens auszuführen. Wohl dem, der dann
eine Erdöl-Lampe besaß. Dank Mutters Fürsorge
waren wir in dieser glücklichen Lage, und nie
sonst war die Familie so unzertrennlich, als wenn
sie dem Lichtträger von einem Raum in den andern
folgen mußte. Solche Zwischenfälle machten
die ungestörten Stunden und Tage umso schöner,
und das Beisammensein im hellen, warmen Zimmer
, wenn es draußen schneite ohne Ende und
die Äste der mächtigen Linde vor dem Schulhaus
im Sturm knarrten, umhüllte alle mit tiefer
Geborgenheit.
Hatte der Schneefall aufgehört, und eine stille
Nacht wölbte sich über dem ruhenden Dorf,
machten Hans und ich noch gern einen Gang
durch die lange Dorfstraße, von einem Ende zum
andern.
Einen heiligen Abend vergesse ich nie. Wir
bescherten immer schon frühzeitig, damit die
Kinder nicht so spät ins Bett kamen. Sie schliefen
schon, jeder mit dem liebsten Spielzeug im
Arm. Eine helle Mondnacht lag über den tiefen,
langgestreckten Strohdächern, unter denen Menschen
und Vieh in Frieden zusammen wohnen.
Mächtige Schneehauben verhüllten die rauchige
Schwärze und hielten noch mehr alle Wärme
darunter zusammen. Unter unseren Schritten
knirschten die unzähligen, glitzernden Schneekristalle
. Der Ostwind brachte bittere Kälte vom
Scherentann her, aber aus den warmen Ställen
hörte man das zufriedene Mahlen und Schnaufen
der Kühe und bisweilen das Stampfen eines
Pferdes. Im Wirtshaus war es ruhig. Nur eine
Lampe brannte über dem runden Tisch, an dem
der Kronenwirt mit dem Säger aus dem Fetzenbach
saß, der mit dem reichen Geiger seinen
Lohn verrechnet hatte und sich für den Heimweg
noch stärkte.
Freundlich leuchteten die hellen, niederen
Fenster der Bauernstuben. Ungehindert ging der
Blick bis in ihre Tiefe; kein Fensterladen wehrte
ihm. In manchen Häusern brannten noch die
Lichter am Baum. Im Bauernhaus war nicht so
früh Feierabend wie im Schulhaus. Erst mußte
das Vieh versorgt und der Stall sauber gemacht
werden zur Christnacht, dann erst kamen die
Kinder zu ihrem Recht. Und nun spiegelten ihre
Augen die Freude über die bescheidenen Geschenke
. Da und dort erklangen noch die schönen
, alten Weihnachtslieder, und der Baß des
Hausvaters untermalte fast ehrfürchtig die hellen
Kinderstimmen.
Schwarzblau, unendlich weit und sternenklar
leuchtete der Himmel über der Erde. Es war, als
ob die Nacht sänge. Eine ganz wunderfeine
Melodie, die man nur mit der Seele vernehmen
konnte. War das nicht ein leises, zärtliches Wiegenlied
?
Wenn der Wind in unserm Rücken nicht so
bitterkalt wehte, wäre ich gerne stehen geblieben
, um hingegebener lauschen zu können. Im
Weitergehen, den Blick in die schimmernde
Ferne gerichtet, formten meine Lippen in leisem
Summen die alte, oberschlesische Weise:
Ufm Berge, da gehet der Wind,
da wiegt die Maria ihr Kind
mit ihrer schlohengelweißen Hand,
sie hat dazu kein Wiegenband.
Ach Joseph, lieber Joseph mein!
Ach hilf du mir wiegen mein Kindelein.
Wie kann ich dir denn dein Knablein wiegen?
Ich kann ja kaum selber die Finger biegen.
Schum, schei — schum, scheil
Aus Ida Preusch - Müller: „Das Geheimnis der Tante
Perkula". Rombach-Verlag, Freiburg i. Br.
Hermann Landerer: J^££ f&VlZ&ftf 5tC ClUf
Ein bißchen mehr als fünfzig Jahre sind es
her, da stand in unserem Ellenbuch, einem windgeschützten
fruchtbaren Ackerdobel noch der alte
Nußbaum. Er ist nun längst nicht mehr, wenn
man von einer Kommode absieht, die in unserem
Haus steht. Er hat sich, wie man so bezeichnend
sagt, totgetragen; aber 1907 war sein bestes Jahr,
in dem er erstaunlich viel trug.
Den ganzen Sommer über lief Vater jeden
Sonntag zu ihm hin, um Nachschau zu halten.
Von den ehemals kleinen viel zu vielen Nüßlein
waren, wie mein Vater erhofft hatte, auch nicht
ein einziges abgefallen. Sie gediehen so großartig
, daß im August Photographen kamen und
baten, den Baum im Bild festhalten zu dürfen.
Ja, eines Tages belud sogar Vater einen Wagen
mit Stangen und Stützen, alten Wagenseilen und
Ketten. Wir fuhren hinaus, um den alten Nußbaum
abzustützen, zusammenzuketten, denn die
unteren Äste wurden bereits von der Nußlast zu
Boden gedrückt.
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Als es jedoch Herbst wurde, da wurde mein
Vater unruhig. Er befürchtete die Herbststürme,
und so entschloß er sich kurzerhand.— die Nüsse
waren noch nicht ausfallreif — am anderen Tag
zum „Nußschwingen" zu fahren ...
Ich war noch zu klein, um die Schwinggerte
oben im Nußbaum regieren zu können; aber
unser Knecht, der Güscht, er hatte sich den ganzen
Sommer über gerühmt, was er für ein
Eicherle (Eichhörnchen) auf dem Nußbaum sei,
der mußte mit hinauf. Jedoch — er wollte erst
einmal die Nüsse, die so in der Krone herumhingen
, schwingen. Gleich hinausklettern so wie
Vater es tat, dazu hatte er keinen richtigen
Schneid. Vater hänselte ihn zunächst. Nachdem
er aber gemerkt hatte, daß ihm so das Schwingen
allein am Halse hängen blieb, schalt er ihn
einen Großhans und Hosenscheißer und wurde
schließlich selber fuchsteufelswild, was.... aber
das wollte ich ja eigentlich nicht erzählen, vielmehr
davon, daß ~er durch sein Schimpfen den
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