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Güscht soweit brachte, ganz hinaus auf einen Ast
zu klettern, der wie ein abgespreizter Finger
einer Hand über dem Acker stand und nicht
wenig hoch...
Da hing nun der Güscht mehr tot als lebendig
in einer Astgabel verklemmt und hielt sich mit
Händen und Füßen fest. Ihm fehlten zum „Nußschwingen
" nur noch die dritten und vierten
Hände und Beine... Heute weiß ich, daß sich so
ein Bergsteiger vorkommen muß, der abgerutscht
am Seil über einem Abgrund hängt. Vater schuftete
wie ein Wilder, erkletterte alle Äste um den
Güscht herum, hänselte und verspottete ihn, aber
alles war vergebens ...
Als es dunkel wurde, hatten wir einen ganzen
Wagen voller praller Nußsäcke. Unser Bräunlein
mußte sich wacker in die Stränge legen, um
die braune, kernige Last vom Acker zu ziehen.
Vater lachte sich halbtot, als wir im Schummern
abfuhren und sich unser Güscht oben im Nußbaum
wie ein großes Rabennest ausmachte. Den
Mut, wieder herunterzuklettern — er hatte den
Ast schon hundertmal betrachtet —, den fand er
nicht mehr. „Paß auf!" rief ihm der Vater beim
Abfahren noch zu: „der Malchamobis oder der
Teufel vom Schneckenberg, der holt dich heut-
nacht herab!" Noch von weitem hörten wir ihn
rufen und wimmern: „Meister, ich schenk Euch
den Lohn fürs ganze Jahr — nur laßt mich nicht
allein und holt mich herunter!" aber Vater lachte
nur...
Erst kurz vor dem Schlafengehen schlug unser
Mops an, und dann schlich sich unser Güscht in
die Stube: ein bemitleidenswertes Geschöpf. —
Er mußte da oben in der Nußbaum - Gabel ein
Inferno eines herbstlichen Waldabends erlebt
haben, wo sich Eichelhäher, rufende Käuze,
knackendes Holz, ächzende Bäume und bellende
Füchse gegenseitig zurufen ...
Vater brachte ihn mit einem Krug „Fünfer"
vom Batzenberg ganz schnell wieder auf die
Beine. Der Nußbaum jedoch war von nun ab
krank — er hatte sich in seiner Tragfähigkeit
übernommen.
Otto Ernst Sutter:
ILeutfeüger Watfgraf
Der baden - durlachische Markgraf Ernst, der
um die Mitte des 16. Jahrhunderts in Pforzheim
Hof hielt, hatte einen Pommer zum Schreiber,
Bartholomäus Sastrow mit Namen, der seine
Ohren und Augen überall hatte, wo es etwas
Interessantes zu hören und zu sehen gab. Er hat
später seiner Lebensbeschreibung manche Anekdote
eingefügt, die sich in der Umgebung besagten
Markgrafen Ernst abgespielt hat.
So erzählt Sastrow, der Markgraf, der seine
Stube unmittelbar über dem Schloßtor hatte, um
immer beobachten zu können, wer ein- und ausging
, hätte einmal gesehen, daß dem Küchenmeister
, der das Schloß verließ, der Schwanz
eines besonders stattlichen Karpfens unter dem
Mantel hervorbaumelte. Da habe er dem ertappten
Langfinger zugerufen: „Du da unten, hör zu!
Willst du wieder einmal einen Karpfen stehlen,
nimm entweder einen kleineren Fisch oder zieh
einen längeren Mantel an!"
Ein ander Mal vermutete der Markgraf,
Küchenburschen, die beim Verlassen des Schlosses
ängstlich um sich blickten, hätten etwas zu
verbergen. Flugs eilte er hinunter und hieß die
beiden, beim Abladen von Fässern, die eben angefahren
wurden, mit Hand anzulegen. Im Eifer,
mit dem sie dem fürstlichen Befehl nachzukommen
beflissen waren, vergaßen sie, daß einer von
ihnen unterm Mantel zwei Kapaunen im Kreuz
festgebunden hatte, — kurz, der Markgraf hatte
sich nicht getäuscht. Hell auflachend, ließ er
seine Gemahlin rufen, damit auch sie sich
amüsieren konnte über den Dieb und den nicht
weniger verdutzten Hehler.
Nach Bartholomäus Sastrow pflegte Markgraf
Ernst Delinquenten, die zur Richtstätte geführt
werden sollten, zu sich kommen zu lassen, um
sich mit ihnen zu unterhalten. Dabei habe er den
Verurteilten jeweils gebeten, ihm persönlich
nicht nachzutragen, daß geschehe, was nach
richterlichem Urteilsspruch rechtens sei. Dann
habe er dem Unglücklichen freundlich zugeredet,
er solle nicht verzagen — der Sohn Gottes habe
nicht um der Gerechten, sondern um die Sünder,
also auch um seinetwillen sein Blut „mildig-
lich" vergossen, daran soll er nicht zweifeln.
Damit reichte er ihm die Hand und ließ ihn
abführen.
Von sich selbst weiß der plauderfrohe Sastrow
mancherlei Streiche zu berichten. So merkte er
einmal beim Kopieren eines langatmigen Dokuments
, daß ihm beim Abschreiben mehrere
Flüchtigkeitsfehler unterlaufen waren. Da er
gewärtig sein mußte, dafür von seinem Vorgesetzen
getadelt, vielleicht gar entlassen zu werden
, tauchte er den Schwanz einer Katze in die
Tinte, ließ das angstvolle Tier über das Skriptum
laufen und tat so, wie wenn er selbst höchst
unglücklich sei darüber, daß er nun eine zweite
Abschrift anfertigen müsse.
Was übrigens den Markgraf Ernst angeht, so
brachten ihm, der offenbar ein leutseliger Landesherr
war, die Pforzheimer besonders viel
Sympathie entgegen, wozu vermutlich auch beigetragen
haben wird, was Bartholomäus Sastrow
den Bürgern beim abendlichen Trunk von ihm
zum besten gegeben haben mag.
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