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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1964-03/0004
Otto Ernst Sutter:

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Seit dem 17. Februar 1964 ist am „Hirschen"
in Lörrach die Spitzhacke am Werk. Allen, die
mit diesem Haus, das der Erinnerungen an seine
große Zeit die Fülle birgt, selbst nur flüchtig
einmal in Berührung gekommen sind, muß diese
Kunde unbegreiflich erscheinen. Um es ungeschminkt
auszusprechen: Es ist tief beschämend
für Land und Stadt, daß es nicht gelang, diesen
Gasthof, der in seiner geschichtlich - kulturellen
Bezogenheit weit und breit nicht seinesgleichen
hat, vor diesem Ende zu bewahren, das freilich
einmal mehr dartut, daß die Möglichkeiten, kostbares
Gut der Vergangenheit um seiner selbst
willen vor dem unbarmherzigen Zugriff der
smart verfahrenden Gegenwart zu sichern, eng
begrenzt sind. Ein bitterer, sehr bitterer Abschied
, der hier dem alemannischen Heimatfreund
zugemutet wird, ein Abschied, der ihn
mit tiefem Groll erfüllt. Gewiß, es ist zwecklos,
da der Himmel nach Beseitigung des Daches
wohl schon in das zur Ruine werdende Haus
schaut, die bald dem Erdboden gleichen wird,
die Frage zu stellen: Ließ sich der „Hirschen"
wirklich nicht halten? Gleichwohl wird sie ausgesprochen
, die Frage, um vielleicht — vielleicht
! — wenn ein ähnlicher Fall früher oder
später zur Entscheidung steht, gleiches Unheil
zu verhüten! Die Gründe für die schmerzvolle
Trauer um die Preisgabe des „Hirschen" mag
ein Blick in seine Geschichte begreiflich machen.

Dem Buchhändler Karl Poltier verdankt man
eine Zeittafel über Wirte, Besitzer und Pächter
des „Hirschen". Aus ihr das Wichtigste: 1726
Sebastian Hagist, der erste Hirzenwirt. „Hirzen"
heißt alemannisch der Hirschen. 1763 wird der
Schreiner Knoderer Hirschenwirt. Doch schon
sieben Jahre danach wirtet auf dem Gasthaus
wieder ein Adam Hagist. Es folgt eine Zeitspanne,
für die das Haus als „ungangbar" bezeichnet
wird. 1792 bis 1798 sitzt auf dem „Hirschen"
Samuel Vest, dem von 1800 bis 1819 Fritz Senn
folgt, Sohn aus dem „Ochsen" in Kandern. 1819
übernimmt Johann Jakob Sorg aus Obereggenen
als Pächter den „Hirschen", der dann 1823 vom
Pflugwirt in Schopfheim, Bartlin — also Bartolo-
mäus — Pflüger erworben wird. Damit beginnt
des „Hirschen" unvergeßbar große Zeit — in
diese wächst unter den Pflügers das Haus hinein.

Des Schopfheimer Bartlin Pflügers Sohn,
Markus — seines Zeichens eigentlich Metzgermeister
— fängt 1826 auf dem vom Vater gekauften
„Hirschen" zu schalten und walten an. Markus
Pflüger schuf 1826/27 einen großzügigen, auf
die Ansprüche der Gäste abgestimmten Gasthof
mit großem und kleinem Saal, mit geräumigem
Hof und mit ausreichenden Ställen für die von
ihm wahrgenommene Posthalterei. Wer der Baumeister
war, ist nicht bekannt. Die Vermutung,
ein Schüler Friedrich Weinbrenners sei der
Schöpfer des breitgelagerten, behaglich berührenden
Baues gewesen, hat sehr viel für sich.
Auch der schöne Hirschenbrunnen — wird auch
er weichen müssen? — bestätigt diese Annahme.

Der Bau, der einige Male erweitert wurde, was
indessen jeweils mit einfühlsamer Bedachtsamkeit
geschah, ist von vielen Architekten und
Kunstfreunden oft genug bewundert und gerühmt
worden. In seinem „Praktischen Beitrag zum
Heimatschutz und zum badischen Klassizismus
Weinbrenners", unter dem Titel „Lörracher Bau*
ten", 1939 erschienen, würdigt der Basler Professor
Dr. Arnold Pfister den so eindrucksvollen
Bau ausführlich. Er schreibt u. a.: „Am Hirschen
weist der Weinbrenner-Stil vollkommene Sicherheit
auf, das Inventar der Einzelformen ist vollkommen
und selbstverständlich."

Unter Markus Pflüger, dem ersten Träger des
Namens, der dann durch den Sohn besonders
hellen Klang erfuhr, begann der „Hirschen" zum
lokalpatriotischen Ruhm zu kommen als Stätte
des Stammtisches der Honoratioren und der Zusammenkünfte
der guten Gesellschaft des Städtchens
. Dabei übte „'s Liesele", die in Markgräfler
Tracht gekleidete, liebliche und liebenswürdige
Frau Elisabeth, Gattin des Gasthalters, eine nicht
geringe Anziehungskraft aus. Im Sommer 1846
segnete Markus Pflüger das Zeitliche. Nun übernimmt
der gleichnamige Sohn das Haus.

Über seine, in jedem Betracht bemerkenswerte
Gestalt, die in der Geschichte des badischen
Gasthofwesens kaum ihresgleichen hat, mag uns
der ihr gewidmete, stark gekürzte Beitrag im
VI. Teil der „Badischen Biographien" unterrichten
: „Markus Pflüger war schon in jungen Jahren
im öffentlichen Leben tätig. Im September
1848 beteiligte er sich an dem Aufstand von
Gustav von Struve und nahm am Gefecht bei
Staufen teil. Die Niederlage trieb ihn ins Exil,
aus dem er erst im Jahre 1850 in die Heimat
zurückkehrte. Dann übernahm er das weithin
bekannte Gasthaus zum „Hirschen" in Lörrach.
1859 schloß sich Pflüger mit seinem Freund, dem
Freiherrn v. Roggenbach, dem Deutschen Nationalverein
an und kam dadurch in die vorderste
Reihe der badischen Liberalen. Die Gründung
einer Feuerwehr, die Erbauung der Wiesental-
bahn, die Errichtung der Kreishypothekenbank
gaben Zeugnis von seiner Schaffensfreudigkeit.
Im Jahre 1870 organisierte er eine 2000 Mann
starke Bürgerwehr zum Schutze des entblößten
Oberrheins und hielt dadurch die französischen
Freischaren von Einfällen zurück. Freudig begrüßte
er die Errichtung des neuen Deutschen
Reiches, dessen freiheitlichen Ausbau er für eine
der vornehmsten Aufgaben eines echten Liberalismus
hielt. Er ließ sich im Jahre 1871 bestimmen
, für den Landbezirk Lörrach die Vertretung
im Badischen Landtag zu übernehmen. Im Jahre
1874 entsandte ihn dann der 4. badische Wahlkreis
Lörrach - Müllheim in den Reichstag. Er
hatte sich mit seinen badischen Freunden der
nationalliberalen Fraktion angeschlossen, auf
deren äußerstem linken Flügel er stand. Bald
aber erkannte er, daß in ihr für seine Anschauungen
dauernd kein Platz sei. Später machte er
die Fusion mit der Deutschen Fortschrittspartei

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