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Max Riedle:
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Eine Frühlingsfahrt dur chs Simonswäldertal
Wäre es üblich, auch Tälern einen Schönheitspreis
zu verleihen, würde das Simonswäldertal
sicherlich vor vielen anderen Bewerbern zur
Schönheitskönigin. des Schwarzwaldes gekürt
werden. Man könnte sogar wie bei den üblichen
„Mißwahlen" strenge Maßstäbe anlegen, wobei
„Höhenunterschiede", „Romantik", „Lieblichkeit",
„Ursprünglichkeit" und ähnliche Forderungen,
die man an ein Tal stellen kann, zu berücksichtigen
wären. Das Simonswäldertal könnte für sich
wohl die meisten Pluspunkte verbuchen.
Der Chronist ist sich bewußt, daß man ihn
leicht für befangen erklären könnte, er kann
aber jeden, der seine Objektivität anzweifelt,
leicht dadurch entwaffnen, daß er ihn an einem
Frühlingstag zu einer Fahrt ins Simonswäldertal
einlädt.
Dann liegen im hinteren Bregtal und auf den
über 1000 Meter hohen Bergen um Furtwangen
noch die grauweißen Schneelaken, in welche die
Frühlingssonne bereits da und dort Löcher gebrannt
hat. In den tiefen Wäldern haben zwar
die Tannen ihre Schneelasten schon abgeschüttelt,
aber ihr düsteres Schwarzgrün kennt noch keine
Frühlingsfreude, und der Weg, der vor dem
Gasthaus „Neueck" linkerhand nach Neukirch
hinunterführt, trägt noch die tiefen Schneegleise
als grämliche Kummerfalten. Erst wenn man aus
dem Walde tritt und der 1241 m hohe Kandel,
der Hausberg dieser Landschaft, in majestätischer
Schönheit vor uns aufsteigt und ein warmer
Wind vom Wildgutachtal heraufweht, glaubt man
den ersten Anhauch des Frühlings zu verspüren.
Zwar blickt das Gasthaus „Neueck" noch winterlich
verschlafen drein, dafür aber sind jetzt
überall in den Matten die Bächlein quicklebendig
geworden. Sie durchkämmen mit silbernem
Kamm die graubraunen Grassträhnen und sind
ganz außer sich vor Freude darüber, daß sie die
Eisfesseln abgeschüttelt haben. Sie führen den
Blick durch ein kleines Tal zu einem Gehöft,
über dem in dunstverschleierter Ferne der Feldberg
im Hermelinmantel des Schnees thront.
Gütenbach, in dem sommers die Gäste das
Bild beherrschen, ist jetzt noch dörflich still. Nur
in den Fabriken surren die Räder und künden
vom Gewerbefleiß des Ortes. Im Bachhof, einem
alten Bauernhaus, das man sozusagen ausgehöhlt
hat, um in die Mauern einen stimmungsvollen
Gastraum einzubauen, trinken wir einen wärmenden
Kirsch, dann geht es weiter. So verlockend
es wäre, gleich hinter dem Ortsausgang
mit dem Rauschen und Schäumen der zu Tal
stürzenden Wasser des Teichbachs ins Wildgutachtal
hinunterzusteigen, oder dem tief in die
Baumrinde eingewachsenen Kruzifix des „Baiser-
Herrgott" einen Besuch abzustatten, bleiben wir
diesmal auf der kühn angelegten Autostraße, die
uns bedächtiger als der Steilweg an den Teichbachfällen
entlang in das Reich des Frühlings
führt und uns jede kleinste Abstufung zwischen
Winter und Lenz bewußt erleben läßt.
Gleich hinter Gütenbach durchbricht die
Straße einen Felsvorsprung und taucht nochmals
in den winterlich kahlen Probstwald ein. Dann
aber, sobald wir ins Freie kommen, beginnt der
Herrschaftsbereich des Frühlings. Seine Hilfstruppen
, die Regimenter blühender Obstbäume,
haben bereits das tief unter uns liegende Tal
erobert. Sie marschieren in geschlossenen Reihen
der Talsohle entlang, schwärmen aus und erklettern
in aufgelockerten Verbänden die smaragdgrünen
Hänge, um an einem Waldrand abwartend
zu kampieren. Ein Spähtrupp blühender
Kirschbäume hat eine Anhöhe erklommen und
hißt dort siegestrunken ihre weißen Fahnen. Eine
Vorhut ist auch in das Geklüft des Wildgutachtales
bis nach Dreistegen vorgestoßen und hält
dort, verbündet mit zartgrünen Birken, die Stellung
. Der Winter, der sich auf die über 1000 m
hohen Berge längs des Tales zurückgezogen hat,
kann es nicht fassen, daß aus der Tiefe eine
Heermacht anrückt, gegen die es keinen Widerstand
gibt. Während der Kandel noch grimmig
unter seinem Schneehelm hervorblickt, hat der
Hörnleberg bei Bleibach bereits das winterliche
Visier gelüftet und blinzt mit seiner Wallfahrtskirche
, die wie ein Diamant aufglänzt, in die
Frühlingssonne. Auch die Bächlein ringsum sind
außer Rand und Band. Sie lassen sich nicht mehr
halten, springen ungebärdig über löwenzahngeschmückte
Bergwiesen und freuen sich, daß die
Weidenruten an ihren Rändern bereits ein zartes
Rot angesetzt haben. Die Birken aber haben ihre
weißen Stämme sonntäglich geputzt und lassen
die schimmernden Blätterfahnen im Frühlingswind
wehen.
Endlich lösen wir uns von dem bezaubernden
Bild und lassen uns von den weitausholenden
Kurven der Straße zum „Sternen" - Gasthaus
hinuntertragen, wo das Schild „Lebende Schwarzwaldforellen
" einzigartige Tafelfreuden verspricht
. Verlockender aber ist noch der Abstecher
zu den Zweribachfällen. Schon der Weg zu ihnen
ist einzigartig. Kinder, den buntgestickten Schulranzen
auf dem Rücken, kommen uns auf diesem
Panoramaweg singend entgegen. Birken wehen
uns zu, und am Wegrand stehen — eine Rarität
besonderer Art — haushohe Stechpalmen, deren
glänzende Blätter wie Spiegel das Sonnenlicht
zurückwerfen. Im Zickzack geht es schließlich
am Steilhang empor — und dann schäumen
Wasser von den Felsen nieder, sprühen auf im
Geklüft, sammeln sich, um abermals in noch
mächtigerem Fall zu Tale zu rauschen, indes der
Frühlingswind lichtdurchglänzte Wasserschleier
um Fels und Baum legt. Wir haben Glück gehabt,
daß der Wasserfall, dem ein Kraftwerk meist
viel von seiner Schönheit nimmt, sich heute in
bestem Lichte zeigt. Wir danken dem Kandel für
dieses Geschenk und kehren zu unserer Straße
zurück. Von nun an ist der spitze Hörnleberg für
uns der Zielpunkt, steht er doch gleich einem
Leuchtturm über dem Blütenmeer des Tales.
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