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Reformation kam die Jugend Basels in feierlicher
Prozession zum St. Georgsfest nach Haltingen
, um zuerst dem gemeinsamen Patron in
der Kirche, danach Bacchus auf dem Dorfanger
zu huldigen. In unseren Tagen locken alljährlich
die Winzerfeste wieder die Basler Gäste, und die
alten Weinstuben laden und erwarten täglich die
altvertrauten Nachbarn aus der Herzstadt des
Landes zum frohen Feste und Genuß der köst-'
lichsten Gottesgabe.
Das Heimatrecht des „Markgräfler" Weines
reicht weiter als die historischen Grenzen des
Landes unter dem gleichen Namen. Sein „Gutedel
" wächst ebenso fein im Schutze des Klotzen
und am Schliengener Berg, die bis 1803 baselbischöflich
waren, wie um das ehemalige Ordensschloß
der Deutschherren zu Heitersheim, um
den Staufen wie um den Batzenberg und Schönberg
im ehemals vorderösterreichischen Breisgau
. Als „Markgräfler" wird er heute angeboten
vom Grenzacher Hornfelsen bis vor die Tore von
Freiburg. Eine weitgespannte herrliche Reb-
landere grünt zwischen den Münstertürmen der
beiden Oberrheinstädte, der vielverheißende
Schmuck der sonnigen Lößhalden vor den bewaldeten
Bergen. Reb-„Berge" begegnen dem
Saum des Waldes an sonnigen Hängen noch an
der 400 m - Grenze. Golden leuchten in der
weinseligen Erinnerung die köstlichen Namen
auf der Weinkarte dieses Landes auf: der
schwarze Burgunder vom Hornfelsen zu Grenzach
, Gewürztraminer und Muskateller aus den
pfarrherrlichen Weingärten ob Istein, Gutedel
von der Haltinger „Stiege", von der „Röti" zu
Auggen, der „Reggenhager". Ihre Namen bergen
die feinen Übergänge ihres Charakters von der
Herbheit, die Kraft und Reinheit birgt, bis zur
Milde voll Heimlichkeit. Der Kenner vermag
wohl die Weine als obere, mittlere und untere
„Markgräfler" zu unterscheiden.
Besonders vertraut ist dem Basler Freund
und Vetter der „Oberländer". Wie eine reich an
Farben, mit Früchten gefüllte Schale bietet sich
ihm das Land vom Grenzacher Horn bis zu
den weißen Kalken am Isteiner Klotzen dar, ein
Teil seiner Heimat, die er von seiner Pfalz,
seinen Straßen und Brücken aus täglich vor
Augen und im Sinn hat; sein Sonntagsland mit
den leuchtenden „Käsbißtürmen", das auch sein
Reb- und Webland ist. Doch er trinkt nicht nur
den „flüssige Sunneschy", oder kommt gelegentlich
zum „Herbsten" zu seinen Markgräfler Vettern
und Basen, sondern kümmert sich persönlich
um die Sorgen und Mühen im Jahreslauf
der Rebe, die der Bauer in der Pflege und Sorgfalt
für das verwöhnteste und empfindsamste
Kind seiner Kulturen aufwendet. Mit Vorliebe
wählt er darum auch die Rebgassen für seine
sonntäglichen Wanderwege, achtet mit Sorge auf
die knospenden „Brömli" vor den Nächten der
Eisheiligen, atmet den süßen, ahnungsvollen
Duft der Rebblüte an sommerheißen Tagen des
Juni und erlebt freudig im Spätsommer das
Weichen, Luttern der Trübli, dem Herbst entgegen
. Er wundert sich nach dem großen Sterben
einer Frühlingsnacht im Maien, oder nach
einem vernichtenden Hagelschlag und einer
Mißernte über die Gelassenheit und Treue der
Rebleute, welche danach, ohne viel Wesens und
Worte der Klage, das Erforderliche tun und das
heimgesuchte Sorgenkind mit der gleichen Hingabe
und Liebe weiterpflegen. Diese Kraft in
der Treue, auch nach schmerzlichen Mißerfolgen,
ist wohl tief in der Seele, in der uralten Überlieferung
von Gewohnheit und Sitte begründet.
Anders könnte man das Gehabe der achtzigjährigen
Gotte nicht verstehen, welche auf ihrem
ersten und letzten Krankenlager nach dem Bescheid
des Arztes zur Kenntnis nahm, daß sie
wohl wieder gesund würde, aber ihre Reben
nicht mehr besorgen könne, weshalb sie den
Verwandten befahl, umgehend einen neuen Meister
für die Übernahme dieser ihrer einzigen
Pflegekinder zu suchen. Nachdem sie ihre Reben
in treuer Hut wußte, starb sie.
Oder wer könnte sonst den alten Steffi von
Istein verstehen, der am Marxetag auf dem
Bittgang über den Klotzen plötzlich sein Gebet
abbricht, als er in der aufgehenden Maisonne
den Schaden einer Frostnacht feststellte: „Ver-
dori, mr bruuche nimme bätte, si sin scho ver-
frore!" Er ging vom Beten heim, schulterte seine
Haue und ging zum Hacken — in die erfrorenen
Reben.
Sinnbildhaft hat der Isteiner Dichter Paul
Sättele in einem Gedicht die innige und wesenhafte
Verbundenheit des Markgräfler Rebbauern
ver-„dichtet": „So göhn die Reblüt us der Welt,
hoch obe überm Rhy. Sie huuche der letschdi
Rebegeist, de Stöckli wieder ii". So war es auch
beim Tode des alten Henning-Vaters: Als er mit
der Rütthaue die letzte seiner geliebten Reben
im Zuge der Rebumlegung, in der Seele tief
erregt, zu Tode getroffen hatte, sank er, mit der
Pflanze in der Hand, selbst entseelt zu Boden.
Das lebzeitlich, von Geschlecht zu Geschlecht
erneute und erregende Mühen und Sorgen zwir
sehen Hoffnung, Erfüllung und Versagen, das
unaufhörliche Wach- und auf der Hutsein formten
das weltoffene und lebhafte Wesen des Reb-
länders, das sich von dem des Wiesentälers und
des Wälders unterscheidet. Kein Geringerer als
der Landvogt von Reitzenstein hatte dies in seinem
Amtsbericht im Jahre 1798 bemerkt: „Die
Einwohner des Röttelschen Reblandes gehören
zu den aktiviertesten und aufgeklärtesten von
ganz Deutschland, sind dabei im ganzen von
guter und sanfter Gemütsart..." Diese ausgezeichnete
Wertung eines weitgereisten hohen
Staatsbeamten und Diplomaten verdient, rückschauend
, bis heute noch ihre volle Berechtigung.
Fleiß, Treue und Hingabe der Oberländer Rebbauern
retteten ihr liebstes Kind über schwere
Kriegsnöte der letztvergangenen 300 Jahre, über
viele Mißjahre, wirtschaftliche Krisen, über Vernichtung
und Niedergang durch Schädlinge und
Krankheiten, oft entgegen seiner eigenen schweren
Art, seinem Hang zu Vorurteilen allem
Neuen gegenüber. Selbst die zunehmende Ent- '
fremdung von der Väterscholle, durch die Hinwendung
zu beruflichem Neuland, konnte das
innige Verhältnis zur Rebe nicht mindern oder
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