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v bueb" ist, wie schon angedeutet, ein währschafter Kalender
, volkstümlich im besten Sinne des Wortes. Er ist
also nicht etwa wie heute beinahe alle Kalender eine
mehr oder weniger zufällig zusammengetragene Sammlung
von Feuilletons und einigen, nicht selten fast mani-
riert anmutenden „Standreden", sondern atmet spürbaren
, gesunden Heimatgeist. Albin Fringeli schreibt seinen
Kalender zum größten Teil selbst. Mitarbeiter, die er
heranzieht, sind durchaus dazu berufen. Auch Paul
Stintzi aus Mülhausen war schon in ihm vertreten und
einmal auch Lina Ritter — das Alemannische ist Trumpf!
Besonders heimattreu und heimatgebunden berührt
auch in jedem Jahrgang eine „Totentafel". In ihr wird
vielen Männern und Frauen, jungen und alten Bewohnern
des Schwarzbubenlandes, wenn sie heimgegangen
sind, zusammen mit einem Foto ein kurzer Nachruf gewidmet
. Und Albin Fringeli schließt die Einleitung seiner
Totentafel wie folgt: „Die Menschen, von denen auf
diesen Blättern die Rede ist — und viele Millionen weit
in der Welt — sind still ihren Weg gegangen, den auch
wir einst beschreiten werden. Die Demut und die Freude
sollen uns auf diesem Höhenweg begleiten!"
Nicht selten bereitet es einem Unbehagen, einem Kalender
ein paar Worte zum Geleit schreiben zu sollen —
von dem „Schwarzbueb" Albin Fringelis gilt dies nicht.
Man freut sich, von ihm zu sprechen, da in ihm fühlbar
Hebel'sches Kalendertum obwaltet. Im übrigen hat der
in Nünningen lebende Dichter auch für den Solothurner
Tag auf der „Expo" ein Festspiel geschrieben, in dem
der Geist weht, der seinem „Schwarzbueb" so wohl ansteht
. Und mit Genugtuung spricht der Chronist aus, daß
der Hebelpreis von 1961 einem Kalenderdichter besten
Schlags zuerkannt worden ist. O. E. S.
Lina Kromer: „An Bruder Namenlos"
Wieder hält man beglückt ein Buch alemannischer Gedichte
in Händen, froh darüber, daß weitergeführt wird,
was Johann Peter Hebel begann und was dann durch
Hermann Burte zu kaum wieder erreichter Höhe geführt
wurde. Zum 75. Geburtstag von Lina Kromer brachte der
Rombach-Verlag, Freiburg, eine zweite Auflage der alemannischen
Gedichte „An Bruder Namenlos" heraus.
Und wieder lassen wir uns hintragen in die heimatliche
, einfache Welt durch die Bilder und Geschehnisse,
die vor uns aufstehen. Daneben ist man von tiefschürfenden
Versen zuinnerst gepackt, von jenen, die fragend
und bohrend rätseln und ans „ Ähnedure" menschlichen
Seins rühren. Gerne verweilen wir länger, wenn uns die
Dichterin aus dem Gefüge des alltäglichen, bäuerlichen
Geschehens, oder aus der Schau von Landschaft und Sitten
unversehens hinüberführt in jene Regionen, von
denen Goethe sagt, daß wir „von dem ganzen Kunstwerke
die Einwirkung auf unser inneres Ganze erfahren
und so in einem höheren Sinne erbaut" sind.
Bei der hohen Ebene, auf welcher diese Gedichte stehen
, ist es erstaunlich, daß da und dort rhythmische
Unstimmigkeiten und Worte, die der Mundart nicht entsprechen
, zu finden sind. Neben diesen, vom Einfluß des
Hochdeutschen her entstandenen Wortprägungen und
Satzfolgen gelingen andererseits der Dichterin Ausdrücke
in echt alemannischer Form über Abstraktes, das unsere
Muttersprache kaum auszudrücken imstande ist.
In den alemannischen Gedichten von Lina Kromer findet
sich weder die „liebliche" Welt Hebels noch die sich
manchmal aufbäumende Ausdrucksart Burtes. Die Dichterin
geht still, verhalten und ernst ihren ganz eigenen
Weg, grübelnd, fragend und deutend: ein Anruf an uns
alle. Hubert Baum
Lina Kromer, An Bruder Namenlos. 2. Auflage.
Freiburg: Rombach 1965. 104 Seiten, 7,80 DM.
Wilhelm Zentners neuer „Hebel"
So vielseitig und erfolgsgesegnet der Wirkungsbereich
Wilhelm Zentners sich offenbart, wie lebhaft den Alemannen
in der bayerischen Hauptstadt seine fruchtbare
Tätigkeit als Dozent an der Hochschule für Musik, als
Sachwalter der organisatorischen Aufgaben der Münchner
Philharmoniker wie seine zahlreichen musikinterpretierenden
, dichterischen und schriftstellerischen Arbeiten
beschäftigen — das aspektreiche Künden der Bedeutung
und der unvergänglichen, nie genug gewürdigten Geltung
Johann Peter Hebels, der Schöpfungen und des beglückenden
Menschentums des Klassikers oberdeutscher
Prägung machen das entcheidendste Anliegen, den verpflichtendsten
Auftrag seines Schaffens und — Herzens
aus. Als Hebelforscher, als Herausgeber der Werke und
vor allem der Briefe des Dichters wie als feinsinniger,
und zugleich empfindungs- und liebevoller Deuter seiner
Schöpfungen und seines Menschentums darf man den
Namen von Professor Dr. Wilhelm Zentner heute berechtigtermaßen
in einem Atemzug aussprechen mit dem des
verehrten Altmeisters weitgespannter und tiefgründiger
Hebel-Kunde, Professor Dr. Wilhelm Altwegg in Basel.
Wie könnte es da anders sein, als daß ein Lebensbild
Hebels aus der Feder Wilhelm Zentners mit aufgeschlossener
lebhafter Lesebereitschaft rechnen kann. Darf doch
gesagt werden, daß eine Biographie des Dichters, Kirchen-
und Schulmannes, des weltoffenen Humanisten, der Hebel
war, um so fälliger und zeitgemäßer erscheint, als die
bald nach dem zweiten Völkerkrieg erschienene Darstellung
Zentners vom Schaffen und Erdendasein Hebels
vergriffen, daß vor allem aber auch längst der Wunsch
laut geworden war, die mancherlei neuen, insbesondere
in Verbindung mit dem „Hebeljahr" 1960 ^zweihundert-
ster Geburtstag) veröffentlichten Beiträge zur Erweiterung
der Kenntnisse von dem Dichter und seiner Gestalt
möchten in einer möglichst lückenlosen Erfassung des
Erdenwallens, Wirkens und Dichtens Hebels die Berücksichtigung
finden, die sie verdienen. Diese Erweiterung
des Lebensbildes von Johann Peter Hebel ließ sich Zentner
besonders angelegen sein. Er hat weit umfassender,
als es bisher geschah, die Bedeutung Hebels u. a. auf dem
Gebiet des Schulwesens, seiner staatspolitischen Arbeit
im Landtag und seiner maßgeblichen Mitwirkung bei
Schaffung der „Badischen Kirchenunion" hervorgehoben.
So wurde begreiflicherweise die vom Verlag C. F. Müller
, Karlsruhe, für den Frühling 1965 angekündigte, auf
den neuesten Stand der Forschungen gebrachte, von
Zentner verfaßte Biographie Johann Peter Hebels mit
besonderer Spannung erwartet. Nun sie vorliegt, kann
— freilich überrascht diese Feststellung angesichts der
unbestreitbaren Berufung ihres Autors für die gestellte
Aufgabe keineswegs — mit hoher Anerkennung und
Dank gegenüber ihrem Schöpfer nur betont werden, daß
man eine voll geglückte, in sich abgerundete, in des Begriffes
schlüssigstem Sinn liebenswerte Buchgabe empfängt
, die tausendfach die Zeit lohnt, die man ihr widmet.
Wilhelm Zentner, man weiß es seit langem, eignet die
so ungemein sympathisch anmutende, von ihm behutsam
gepflegte Fähigkeit, warmherzig zu schildern, was nur
mit dem Gemüt sich verstehen läßt, ohne dabei ins Sentimentale
abzugleiten. Auch diesmal hat man Gelegenheit,
sein unbegrenztes Wissen von der Welt Hebels wie seine
Gabe, sich in des Dichters Werke einzufühlen, sie dem
Leser uneingeschränkt zu erschließen, oft genug voll
Staunens, zu bewundern. Zentners Deutsch ist untadelig.
Freilich, dieses herrliche Buch darf nicht flüchtig drauflos
gelesen, es will ausgekostet werden. Wie wohl tut einem
gerade in unserer Zeit ein solches Buch!
Dem sozusagen zuchtvollen, gesammelten Leser kommt
es zustatten, daß Wilhelm Zentner seine Darstellung sachkundig
, geschickt, gewissermaßen zur Lektüre anregend
und diese erleichternd, aufgegliedert hat, wobei er sehr
ansprechende Zwischen - Überschriften verwendet. Ein
reich gespickter Literatur-Teil ist ebenso willkommen
wie das Personenregister — beide bezeugen einmal
mehr des Verfassers Beschlagenheit im Himmel des
Dichters, aber auch seine eigene schriftstellerische Gewissenhaftigkeit
.
Ein volles Lob darf auch die Bebilderung des Werkes
beanspruchen — verrät sie doch wie das Buch im Ganzen
Hingabe, vor allem aber auch reife Kennerschaft! Sie
trägt das ihre dazu bei, einem dieses „Frühlingsgeschenk"
teuer zu machen. Teuer? Ja — in Hinsicht seines Wertes
als literarisches Erzeugnis, als höchst erwünschte Bereicherung
des Schrifttums über Johann Peter Hebel — nicht
teuer, aber nach seinem Kaufpreis, wohlfeil: In Leinen
gebunden kostet der Band 16,— DM. Mir will scheinen,
diese Anmerkung verdiene besondere Beachtung.
Dem Hebelforscher und Hebelschilderer von anerkannt
hohen Graden, Wilhelm Zentner, wie dem Verlag C. F.
Müller gebührt herzlicher Dank für dieses Buch, das wert
und würdig ist, ungezählte Leser zu beglücken. Weshalb
sollte nicht auch einmal ein solches Buch ein Bestseller
werden? Fürwahr, das Zeug dazu trägt es in sich!
Otto Ernst Sutter
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