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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1965-06/0004
Dr. Karl Storck f:

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Ein Beitrag zu ihrer Psychologie

Im Jahre 1514 stach Albrecht Dürer zwei Blätter
, denen selbst im Wunderbuche seiner Werke
ein bevorzugter Platz zukommt: „Melancholie"
und „Hieronymus im Gehaus".

Müde sitzt ein Weib; müde, wie der abgehetzte
Windhund zu ihren Füßen, sind ihre Gedanken
vom Forschen und Grübeln. Dennoch
bleibt die Ruhe ihrem Geiste versagt. Ringsum
ein Gewirr von Instrumenten und Werkzeugen
aller Wissenschaften und Künste. Das rechnet
und wägt und mißt und bohrt und findet trotzdem
nicht das Gesuchte. Da huscht dann die Fledermaus
„Melencolia" lautlos gespenstisch einher
und verdüstert den Blick, daß er den Sonnenschein
nicht sieht, der Land und Meer überglänzt,
sondern nur das schauerliche Nordlicht und den
unheilkündenden Kometen. Friedlose Trauer,
freudlose Unrast ist alles.

Wie anders das zweite Bild. Der liebe Tag
lacht sonnig durch die Butzenscheiben und spielt
im Getäfel der traulichen Stube. Ein jegliches
Ding hat sein Plätzchen, alles ist schmuck und
behaglich. Da wird selbst der sonst so grimmige
Löwe friedlich und streckt sich wie eine schnurrende
Katze neben den Hausspitz. Und erst der
Mann, der am Pult sitzt und schreibt! Siehst
du den Frieden nicht lachen, nein lächeln auf
seinem Antlitz? Aber der Totenkopf dort auf
dem Fenstergesims? — Die Sonne spielt auf seiner
glatten Fläche. Wie sollte er auch schrecken?
Bedeutet er das Ende des irdischen Lebens, so
kündet er doch auch den Anfang der himmlischen
Seligkeit.

Dürer soll die Anregung zu den Bildern aus
des Erasmus „Lob der Narrheit" gewonnen haben
. Dieses Buch preist die Glückseligkeit des
Weltentrückten und verspottet die Narrheit der
Denker, die da ungewiß nach Erkenntnis streben.
Aber was ist aus der im Gedanken auch damals
nicht mehr neuen Satire des holländischen Humanisten
in der reichen Seele des deutschen Künstlers
geworden? Da ist nichts von Spott, das ist
tiefstes Erfassen eines seelischen Problems. Der
„Faustdichtung" vergleichbar steht die „Melancholie
" in der deutschen Kunst. Und wenn auch
Dürer neben die Tragödie das Idyll stellt, wenn
er es auch ausführt, wie man behaglich und
friedfertig sein könne dem Bibelwort gemäß, das
Seligkeit verheißt denen, die einfältigen Herzens
sind, — so scheidet ihn doch ein riesiger Abgrund
vom Satiriker. Er spottet nicht des Forschertriebs
, nein, auch sein End wort lautet: Wer immer
strebend sich bemüht, den können wir erlösen
. Das Weib in seinem Bilde, diese Verkörperung
des nach Erkenntnis ringenden Menschengeistes
, trägt einen Kranz. Und während das
Haupt sich müde auf die Hand stützt, entsproßt
dem Kranze neues Grün. Nicht umsonst forschest
du, Menschengeist. Aus den Wunden deiner zermarterten
Seele erblühen Blumen. — Selig ist
jener, der beides vereint, der sich aus dem bösen

Drang der Welt zurückzuziehen versteht in den
stillen Frieden seines Gehäuses.

Wenn dir die „Pflicht" dieses Mönchtum in
der Welt nicht gestattet, und dich die Schuldigkeit
gegen dich und die Mitmenschen immer wieder
in den Kampf hinausdrängt, der dich auch in
der stillen Kammer nicht ruhen läßt, — dreimal
gepriesen die Himmelsgabe, die dann als Trost
uns gegeben ist: die Musik. Nach Schillers Wort
„spricht nur sie die Seele aus", und Schopenhauer
sieht das Geheimnis ihrer von der Sage
der Völker immer wieder gefeierten unwiderstehlichen
Wirkung darin, „daß sie alle Regungen
unseres innersten Wesens widergibt, aber
ganz ohne die Wirklichkeit und fern von ihrer
Qual".

So ist die Musik wohl das schönste Reis, das
dem Dornenkranz entsprießt, den die Melancholie
dem Menschen aufs Haupt drückt. Darum blüht
sie zu allen Zeiten, die den Zweifel und die Unrast
in sich tragen, und waltet ihres Erlöseramtes:

„Musik, von dir gefangen
Wird erst die Seele frei,
Gestillt ist ihr Verlangen
In süßer Träumerei,

Und Sorg' Und Leid Vorbei." (Hermann Lingg)

Die beiden Dürer-Bilder sind aber nicht nur
die Gestaltung eines ewigen Problems des Seelenlebens
des forschenden Menschengeistes, sie sind
überdies der Ausdruck der Seelenverfassung zur
Zeit ihres Entstehens, der Wende zweier großer
Epochen. Haben wir in ihrem allgemein menschlichen
Inhalt den Grund für die Wirkung der
Musik auf den einzelnen Menschen, so< gibt dieses
Verhältnis zur Zeitstimmung die Antwort auf
die Frage, warum gerade damals die Pflege der
Musik in diesem Sinne anhebt, um allerdings nie
mehr ganz aufzuhören.

Wie war man aufgeschreckt worden aus der
sicheren Behaglichkeit der verflossenen Jahrhunderte
. Kühne Meerbezwinger hatten neue
Weltteile, kühnere Forscher neue Welten entdeckt
. Nichts vom Alten, das als so sicher überliefert
worden, schien mehr fest zu stehen. Selbst
die Erde sollte nach den Ergebnissen dieser
Grübler beweglich und veränderlich sein. Aber,
was mehr war: der immer himmelwärts blickenden
, der Erde abgekehrten Weltanschauung des
Mittelalters trat eine andere, ach so schöne und
gegenwartfrohe in der der Antike gegenüber.
Selbst vor dem alten heiligen Glauben scheute
der Menschengeist nicht mehr. Dazu gärte es in
allen Schichten der Gesellschaft. Die Rangordnung
, die für alle Zeiten festgelegt schien, wurde
angefochten. Und das alles nicht etwa bloß in
einzelnen unruhigen Köpfen. Die neue Erfindung
der Buchdruckerkunst sorgte dafür, daß die Rede
nicht mehr verhallen, der Gedanke sich nicht
mehr verlieren konnte.

Wahrlich eine Zeit voll Unrast und Wirrsal.
Konnte man sich da wirklich noch in sein Ge-

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