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Dr. E. Scheffelt, Badenweiler:
jözv längfte Uag
Erinnerungen an eine Schwarzwaldwanderung
Der Wecker rasselt, ich fahre aus dem Bett
Der halbe Mond und etliche Sterne leuchten vom
blassen Himmel in mein Schlafgemach hinab. Was
wollte ich eigentlich so früh? Richtig, heute ist
der längste Tag des Jahres, da wollte ich beim
Morgengrauen hinaufsteigen ins heimatliche Waldgebirge
, die aufgehende Sonne zu grüßen und
unter ihren wohltuenden Strahlen zu wandern
den ganzen, langen Tag.
Kaum bin ich in den Kleidern und im Garten
, so beginnt sich die Vogelwelt zu regen, der
heute meine besondere Aufmerksamkeit gelten
soll. Haus- und Gartenrotschwanz sind die ersten
Sänger, die ihre primitive Strophe in die Dämmerung
hinaussingen, dann folgen, wie ich um halb
vier Uhr über Badenweiler in den Bergwald
steige, Amsel und Singdrossel, Rotkehlchen und
Schwarzplättchen, jedes der lieblichen Geschöpfe
will am ersten und lautesten der noch unsichtbaren
Sonne entgegenjubeln. Besonders merkbar
macht sich die Singdrossel; ihr abwechslungsreicher
Pfeifgesang erfüllt den ganzen Hang über
den „Blauen Steinen", und nur selten gelingt es
dem Schwarzplättchen, mit seinem Kunstgesang
die hochthronende Philomele zu übertönen. Die
Blauenstraße, seit einiger Zeit zwar nicht mehr
autofrei, liegt noch in stillem Dämmerschein und
führt in angenehmer Steigung bergan. Wie ich
unter einer Tanne kurz anhalte, um festzustellen,
daß nun auch Weidenlaubsänger und Buchfink in
das große Waldkonzert mit eingestimmt haben,
tönt plötzlich vom Baum ein häßliches Schnarchen
herab und gleich darauf klingts laut und
herausfordernd: Gugug, Gugug. Offenbar habe
ich mich unter den Schlafbaum des Gauchs gestellt
und sein Erwachen belauscht; den unschönen
Hach-Hach-Laut hört man nur in nächster
Nähe, meist nach dem gewöhnlichen Ruf oder
wenn der Kuckuck sich in höchster Liebesraserei
befindet. Und nun fliegt der gesperberte Vogel
rufend ab, um sein weites Revier, das von Hausbaden
bis zur Fürstenfreude reicht, zu inspizieren
. Nicht mehr lange wirds dauern, und der
frohe Gesell wird wieder still und ein schöner
Frühling ist unwiederbringlich vorbei.
Der Himmel wird hell und tönt sich über den
Sulzburger Bergen golden; tief atme ich die
kühle Bergluft und eile trotz des gewichtigen
Rucksacks leicht bergan. Ein Kahlhieb, von Himbeerbüschen
und Bergholunder übergrünt, gewährt
den ersten Ausblick auf die Rheinebene,
sie liegt in leichten Dunst gehüllt und über dem
Rhein brauen dichte Morgennebel, das Städtchen
Neuenburg und die Dörfer im Elsaß völlig verdeckend
. Vor mir her eilen zwei braune Schatten,
bleiben stehen, hasten weiter. Bei näherem Zusehen
sind es zwei Hasen, Mutter und Kind, die
wohl am Straßenrand geäst haben und sich nun
seltsamerweise nicht entschließen können, rechts
oder links die schützende Böschung zu gewinnen.
Einmal kommt das junge Tier auf mich zu,
gleichsam als wolle es den Rückzug erzwingen,
doch der Mut des kleinen Hasenherzens reicht
nicht zum Durchbruch, kehrt macht der flinke
Knirps und eilt wieder zur Mutter, die endlich,
nachdem sie mir fast vier Kilometer Läuferdienst
geleistet hat, den Steilhang am Hildafels hinabeilt
. Doch gleichsam als wollte mich die ganze
Tierwelt heute ehren, übernimmt nun ein schwarzes
Eichhorn, von hoher Tanne herabkletternd,
den Heroldsdienst und läuft wieselgleich vor mir
her. So gelange ich an den felsigen Hang von
Altvogelbach und sehe, daß der Himmel sich zart
rosa überzieht. Über dem fernen, blauen Kandel
leuchtet und blitzt es in allen Farben, dort
will das Tagesgestirn aufgehen. Ein starker, unvermittelter
Wind leitet den Vorgang ein, die
Gräser beugen sich, die Blätter der Buchen erzittern
, die Vögel schweigen einen Augenblick, so
daß man das Rauschen des Bergwassers plötzlich
hört. Da werden die Felsen über mir in Glut getaucht
, die riesigen Stämme beginnen golden zu
funkeln, der Vogelchor setzt wieder ein und
schwillt zu einem jubelnden, Forte an: der Tag ist
angebrochen! Rot sprüht der eben erblühte Fingerhut
am Hang, die blassen Schatten der Sommernacht
sinken in die Täler, der Schauinsland
enthüllt seinen anmutigen Wechsel von Wald und
Weidfeld, der Kandel, hellblau und violett, scheint
noch einen Augenblick Träger des Glutballs zu
sein. Dann löst sich dieser vom Horizont, schon
spürt man seine wärmenden Strahlen, schon
schwirren die ersten Insekten, neu erweckt ist
das Leben.
Ich gelange zum „Lindli" (909 m ü.d. M.), auch
Marzeller Rank genannt, wo die Straße zum
Hochblauen sich von der nach Marzell abzweigt.
Der Blauengipfel liegt nicht in meinem Programm
, aber es ist ja noch so früh und eine Tasse
Kaffee kann nicht schaden. Oben angelangt, wartet
meiner ein neues Schauspiel: die Alpenkette
vom Montblanc bis zum Säntis leuchtet im jungen
Morgenlicht zu mir herüber. Und zwischen
mir und der schimmernden Kette hundert Gipfel
und Rücken, alle mit Tannen bestanden, die goldgrün
schimmern und dunkle Schatten in die Täler
werfen. Einem wogenden Meer von Tannen
gleicht der Schwarzwald vom Seebuck bis zum
Röttier Schloß, vom Hotzenwald bis zum Kandel,
gute Waldgeister wirken in ihm und heilen immer
wieder die Wunden, die der Mensch der
grünen Decke schlägt.
Schatzhauser im grünen Tannenwald
Du bist viel tausend Jahre alt,
Dir gehören alle Land, wo Tannen stehn,
Nur Sonntagskinder können dich sehn.
Jeder Frühaufsteher ist ein Sonntagskind, ihm
offenbart das Waldgebirg all seine Wunder und
Heimlichkeiten. — Im gastlichen Blauenhaus hat
Fräulein Berner schon einen würzigen Kaffee bereit
, der rasch ausgetrunken wird, dann gehts
weiter gegen den Belchen, dessen gewaltiger
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