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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1965-07/0005
Rücken diesmal nicht vergeblich lockt. An vielen
„Kohlplätzen" vorbei, auf denen in früheren Zeiten
Holzkohlen für die Eisenwerke gebrannt wurden
, führt der Weg zum „Stockberg", dessen steile
Spitze eine alte Befestigung trägt.

Wir betreten den Höhenweg, an dem die Tannenmeise
auf flechtenbehangenen Bäumen ihr
zweistimmiges Liedchen pfeift und erreichen bald
einen riesigen Kahlschlag, der uns einen herrlichen
Blick hinunter ins Klemmtal, hinüber zum
Schauinsland, Schönberg und Kaiserstuhl eröffnet.

Stühle und Spähnplatz werden in behaglichem
Daherschlendern passiert, von unten her tönen
die Herdglocken der Sirnitzkühe herauf, ein Bächlein
rauscht, der Klemmbach. Wie klar und lustig
bist du hier oben, Bach meiner Heimat, und wie
traurig ist dein Anblick drunten im Tal, nachdem
du, eingeengt zwischen Ufermauern, allerlei Abfälle
aus menschlichen Siedlungen hast aufnehmen
müssen! — Der Wald wird licht, der Sirnitzsattel
(wir Einheimischen sagen noch immer
„Kreuzweg") ist erreicht, breites Weidfeld dehnt
sich hinab ins Tal von Heubronn und über der
herrlichen Berglandschaft thront in majestätischer
Ruhe der Belchen. Ein Vogel beherrscht
mit ausdrucksvollem, jubelndem Lied die weite
Umgegend, der Wiesenpieper. Mit kanarienvogelartigem
Schlag beginnt er auf einem Baum zu
singen, hebt sich singend in die Luft und geht
dann in langsamem Gleitflug mit klagendem Wid,
Wid, Wid nieder, um abermals auf einem Baum
oder im Heidekraut zu landen, wo er seine Melodie
vollendet. In den oberen Höhenlagen, also auf
der Beichenkuppe und auf dem Feldberg, wird
der Wiesenpieper von dem ähnlich singenden
Wasserpieper vertreten.

Immer den stattlichen Grenzsteinen zwischen
der ehemaligen Markgrafschaft und Vorderösterreich
folgend, erreiche ich den Haldenhof, wo der
eigentliche Beichenaufstieg beginnt. Im tiefen
Talsystem zur Linken vermeint man noch die
Reste der kühlen Morgendämmerung ruhen zu
sehen, während die Weidfelder zur Rechten mit
ihren Wacholder- und Buchenbüschen schon warm
und sommerlich daliegen. Der Hochkelchfelsenweg
, an dem Rotkehlchen ihre feierlichen Lieder
pfeifen, bringt mich mit stets wechselndem Ausblick
zur Beichenkuppe, über der eine Heidelerche
ihr ergreifendes Lied vorträgt. Die Alpen
sind im aufsteigenden Dunst des Mittags fast
verschwunden, dafür zeigt sich der Schwarzwald
in seltener Schönheit und darüber hinaus streift
das Auge zur schwäbischen Alb, zum hohen Randen
und zum Schweizer Jura.

Fast zu früh zum Mittagessen betrete ich das
Beichenhaus und eile dann nach behaglicher Rast
zur Krinne. Der wilde Nordhang des Belchen
war sonst belebt von der seltenen Ringamsel oder
Ringdrossel, heute höre ich ihr hartes Locken
nicht, nur der unermüdliche Buchfink schmettert
sein Lied und die Meisen locken mit silbernem
Stimmchen. Der oft beschriebene und vielgepriesene
Höhenweg, den kein anderes Mittelgebirge
in solcher Länge und Schönheit aufzuweisen hat,
bringt mich zum Notschrei und hinan zum Stü-
benwasen. Der Rucksack drückt ein wenig und

<ler Kopf glüht, aber die wandergewohnten Beine
brauchen keine Rast, müssen förmlich zum Halt
gezwungen werden, wenn es gilt, eine Misteldrossel
zu verhören oder eine besonders schöne
Rundsicht zu genießen. So nähere ich mich dem
höchsten Punkt Südwestdeutschlands, dem Feldberg
, und es ist noch lange nicht Abend, wie
ich im Hebelhof mein Nachtlager bestelle. Der
„Lange Tag" gestattet es wohl noch, daß ich
hinausstreife an die Waldränder, durch Gestrüpp,
das immer wieder vom Weidvieh zerfressen, vom
Schnee zerdrückt wird und doch in zähem Lebenswillen
alljährlich grünt und treibt. Noch
jubelt die Singdrossel in den tieferen Wäldern,
hier oben herrschen Wasserpieper, Goldammer
und Buchfink vor und preisen die Sonne, die es
heute so lange aushält am blauen Firmament.
Nur gemach, ihr Vöglein, gar bald wird die Zeit
kommen, wo die Sonne den Abendschatten allzu
rasch Platz macht und wo ihr daran denken
müßt, mit euren Jungen, die heute noch hilflos
im Nest sitzen, abzuwandern nach wärmeren
Landschaften. Doch die Sehnsucht nach eurer
Schwarzwaldheimat nehmt ihr mit nach den fernsten
Winterherbergen. Und sie leitet euch im Frühling
wieder zurück nach unseren grünen Höhen.

Am nächsten Morgen verlasse ich das Bergmassiv
, das vier großen Flußtälern Ursprung gibt,
und wandere am Feldsee vorbei durchs Rothwassertal
nach Titisee. Wie herrlich und unberührt
ist auch diese Landschaft!

Und nun noch eines: Wenn ich erzählen wollte,
wie wenig Wanderer mir auf meinem Marsch
durch den längsten Tag begegnet sind, könnten
Fernstehende glauben, der Schwarzwald wäre das
langweiligste Gebirge Europas oder seine Umwohner
die bequemsten, naturfremdesten Leute
der Welt.

Warum wird plötzlich weniger gewandert als
früher? Der eine wird antworten, er habe weder
Zeit noch Geld dazu, der andere fühlt sich mehr
zu Fußball, Tennisplatz oder Turnhalle gezogen,
der Dritte hat jetzt ein Auto Und sieht mitleidig
auf den Fußgänger herab. Und doch geht nichts
über das Wandern, besonders über das Wandern
allein oder in kleiner Gesellschaft. Da kann man
die Glieder nach Belieben rühren, kann rasten
wo man will und die Köstlichkeiten der Natur
so recht genießen. Das Auto vermittelt wohl in
kurzer Zeit großartige Landschaftseindrücke und
es ist da besonders angebracht, wo es gilt, einen
langweiligen oder wohlbekannten Anmarschweg
rasch zurückzulegen. Aber die Blumen am Wege,
die Vogelstimmen im Wald und die vielen heimlichen
Schätze einer stillen Bachschlucht oder
einer sonnendurchglühten Gebirgsheide bleiben
dem Autofahrer fremd. Und die Befriedigung, die
der Wanderer empfindet, wenn er 40—60 Kilometer
ohne Beschwer zurückgelegt hat, kann ihm
keiner, der irgend ein Beförderungswerkzeug benützt
, nachfühlen. Darum, ihr Städter und ihr
Bewohner der Ebene, vergeßt und verlernt das
Wandern nicht, es ist die gesündeste Ferienfreude
für jung und alt. Am schönsten ist es in der
Frühe, wenn der Lärm und Staub des Alltags
euch und die Welt noch nicht entweiht hat.

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