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Max Rieple, Donaueschingen:
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Zu einer Zeit, die sich dem literarischen und
malerischen Schaffen des 1802 in Besancon geborenen
Dichters Victor Hugo in erhöhtem Maße
zuwendet, ja das Gesamtwerk dieses Giganten
wieder neu entdeckte, ist es von besonderem Reiz,
zu erfahren, wie dieser große französische Patriot
auf seinen Reisen Deutschland und vornehmlich
den inzwischen als Reiseland mit an erster Stelle
stehenden Schwarzwald erlebte.
Victor Hugos Reiseeindrücke entnehmen wir
seinem Werk „Der Rhein", das eine Fülle von
Naturschiliderungen und kunstgeschichtlichen
Wertungen enthält. Wie der große Dichter in der
Einleitung zu diesem Buche schreibt, habe er sich
bei seinen beiden Reisen, die ihn 1838 und 1839
nach Baden führten, nichts anderes vorgenommen
, als Bäume und Himmel zu sehen. Zwei
Dinge, die ihm die Großstadt Paris nicht bieten
konnte. Am Rheine angelangt, hat es ihm die
Gewalt des Stromes und die an seinen Ufern
stehenden Zeugen ruhmvoller Vergangenheit
ebenso angetan, wie die Menschen, die sie schufen
, das deutsche Volk! Interessant ist es, daß
der Dichter in einer Zeit des hochgezüchteten
Nationalismus' den Mut hat zu gestehen: „Ich
hege eine kindliche Liebe für diese edle und
heilige Heimat aller Denker. Wenn ich nicht
Franzose wäre, möchte ich Deutscher sein!"
Er lobt die badische Post, die ihn bei Kehl
erwartet, den badischen Postillon in seinem gelben
schmucken Rock, dem schwarzlackierten Hut
mit dem Posthorn, den roten Eichelschnüren und
dem Silberband. Auch die badischen Landstraßen
und den federnden Postwagen mit dem badischen
Greifenwappen lernt er schätzen, als er von Kehl
nach Freiburg fährt.
So behaglich sich der Dichter im allgemeinen
in den deutschen Gasthöfen fühlt, entbehrt er
doch das „behaglich prasselnde Kaminfeuer", an
dessen Stelle hier Öfen mit langen gewundenen
Rohren treten, die Hugo „abscheulich und unpraktisch
" findet. „Es geht", sagt er, „von ihnen
(den Öfen) eine unangenehme und verräterische
Wärme aus, die den Kopf glühen und die Füße
erfrieren läßt. Hier heizt man nicht, man erstickt
vor Hitze."
Bewundernd steht der Dichter vor dem Freiburger
Münster, das er mit jenem von Straßburg
so vergleicht: „Es ist in einer anderen Zeichnung
dieselbe Eleganz, der nämlich kühne Schwung,
dieselbe rostfarbene dunkle Steinmasse, die hie
und da von leuchtenden Öffnungen jeder Form
und Größe durchsetzt ist. Die Kirchenfenster, die
fast alle erhalten sind, zeigen sich in wunderbarer
Schönheit. Da der Turm an der Vorderseite
die Stelle der Rosette einnimmt, sind rechts und
links unten an den Seiten Rosetten mittlerer
Größe in dreieckigen Feldern angebracht, die
einen außergewöhnlich geheimnisvollen und reizvollen
Zauber ausüben."
Auch die gotische Kanzel findet er prachtvoll,
den hinzugefügten Schalldeckel jedoch abscheulich
. Ergriffen steht er vor dem Grabmal des letzten
Zähringerherzogs, Bertold V., und vertieft
sich in die Verschmelzung romanischer und gotischer
Bauteile mit solchen der Renaissance. Vor
dem Eingang in den Münsterchor bewundert er
in den links und rechts gelegenen Nischen die
Darstellung des Abendmahles, Christus im Grab
und die mit Goldbrokat und Perlen geschmückten
Reliquien des hl. Alexander. Die Kapellen,
im Chorumgang nennt Victor Hugo ein wahres
Museum. Unter den vielen Kostbarkeiten bestaunt
er in der achten Kapelle des Chorumganges
das frühmittelalterliche Kruzifix, das Böck-
linskreuz, das der Dompropst Böcklin des Erz-
stifts Magdeburg gestiftet haben soll. Besonders
angetan hat es dem Malerpoeten der Münsterplatz
mit seinem (inzwischen erneuerten) Marienbrunnen
und den Statuen der Stadtpatrone St.
Lambert und St. Alexander, die er für Darstellungen
der Apostelfürsten hält.
Vor dem mit Wappen und Figuren gezierten
Kaufhaus sagt er: „Dieses bewundernswerte Gebäude
dient irgendeinem banalen städtischen
Zweck. Man hat es rot angestrichen. Auf diesem
Ufer des Rheins pinselt man alles rot an. Die
Leute richten ihre Kirchen her, wie Südsee-Insulaner
ihre Gesichter."
Victor Hugo schreibt weiter: „Ich hab lieber
den Freiburg beherrschenden Hügel (den Schloßberg
) erstiegen, als den Münsterturm. Für meine
Mühe bin ich durch den Blick auf die reizende
Landschaft belohnt worden. In der Mitte, zu meinen
Füßen, sah ich die dunkle Kirche mit ihrem 250
Fuß hohen Turm, ringsherum die zackigen Häusergiebel
mit Wetterfahnen auf den Dächern, deren
farbige Ziegel Arabesken bilden. Hier und
da ragen aus dem Häusermeer einige alte viereckige
Türme des ehemaligen Mauerrings hervor.
Jenseits der Stadt erstreckt sich eine unendlich
weite Ebene aus grünem Samt, welche mit lebenden
Hecken, wie mit Fransen besetzt ist. Wie
Goldstücke glitzern die Fensterscheiben der Hütten
im Sonnenschein zwischen Bäumen und
Weinbergen. Lange Straßen durchziehen das
Land. Zur Linken sieht man eine Höhe (Schönberg
), deren Form an eine venezianische Dogenmütze
erinnert. Es hatte den ganzen Tag über
geregnet, als ich aber auf dem Gipfel des Hügels
anlangte, hellte sich der Himmel auf und ein
ungeheurer Wolkenbogen spannte sich über den
in Sonnenschein getauchten Münsterturm."
Auf der Weiterfahrt durch das Markgräfler-
land fällt dem Dichter die bereits an dem im
„Zähringer Hof" zu Freiburg beschäftigten Zimmermädchen
bewunderte Tracht auf: „Der große,
schwarze Schmetterling, das ist der anmutige
Kopfschmuck des Landes. Breite schwarze Seidenbänder
sind über der Stirn in Form einer
Schleife zusammengenäht und an einem ebenfalls
schwarzen Käppchen befestigt, dessen oberer Teil
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