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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1965-08/0017
man im Sundgau „die jungi Mensche" (Seite 13)
sagt, so bei uns „die junge Mensche". Aus Hebels
„Schii" aus der Heimat ist sundgauisch „Schiin"
geworden (S. 17) und „Turn" zu „Turm" (S. 197).
In Nathan Katzens Sprache kommt noch der echte,
1 alte Konjunktiv vor: „säch" (56), trug, früg (45).
.Besonderheiten sind außer dem ü für u: „Sund-
gäu", „üf" (aber „duss", „um"), Wörter wie „are-
mi", „unger", „Lang" (Land), „Hang" (Hand), „si
hai", „faischter", „Wall" (Wald) u. a.

Als eine Eigenart fällt uns in diesem Bande
der fast völlige Verzicht auf den Reim auf. Er
fehlt bei zwei Dritteln der Gedichte. Nun ist es
nicht unbedingt der Reim, der ein Gedicht ausmacht
, im Gegenteil! Nach der Vielreimerei, die
hinter uns liegt, möchte man geradezu aufatmen,
wenn man einmal Nicht-Gereimtem begegnet.
Allerdings muß dann, wie hier bei Nathan Katz,
das Musikalische auf eine andere Art in den Worten
erklingen. Das gelingt dem Dichter oft durch
Wiederholungen ganzer Sätze. Dann ist es, als ob
ein Bild gewissermaßen eingerahmt sei, oder wie
wenn eine Melodie in einem Liede sich wiederholte
. Anstelle des Reimes kehren manchmal auch
dieselben Wörter wieder, was dem Gedicht dann
einen besonderen Reiz verleiht.

Welch strengen Maßstäben haben sich die
Dichter von jeher unterworfen, auch wenn sie auf
Reim und gleichtaktiges Versmaß verzichteten:

„O wie raunt, lebt, atmet in deinem Laut.. "

(Weinheber)

„O daß ihr hier, Frauen, einhergeht.. "

(Rilke)

„Vetter Hansjerg, loos, es dunnert, es dunn-
deret ehne n am Rhiistrom" (Hebel)

Das sind wenige Beispiele, wo Trochäen mit
Daktylen und Spondeen aufeinanderfolgen, was
als eine bewußte Formung verstanden sein will.
In einer ähnlichen Weise, wenn auch nicht immer
ganz streng, schrieb Nathan Katz seine Hymnen
und freien .Strophen. In diese freiere Art des
Hebens und Senkens innerhalb eines Verses ist
der Dichter so stark verfallen, daß er bei seinen
lyrischen Gedichten nicht mehr recht davon wegkommt
. Die Verwendung des Daktylus oder des
Anapästs erlaubt dem Dichter stets einige Freiheiten
, die er sich sonst nicht gestatten sollte. So
kann ein Vers dann mit einer Hebung beginnen,
während der Nächste mit einer Senkung beginnt,
wenn mindestens eine Silbe mit zwei Senkungen
innerhalb des Verses erscheint: Seite 7:

„As geht als mänkmol e Waihje dur d Nacht. ."
und weiter:

„Alles wird läbig in eim .. "

oder:

„Herr, schicke was du willt...
und weiter:

„Wollest mit Leiden .. (Mörike)

Diese Freiheit, die dem Dichter hilft, alles
möglichst natürlich (wenn auch schön) auszusagen,
darf aber nicht dazu verleiten, auch ein Prosastück
, etwa auf Seite 74, als ein Gedicht hinzuschreiben
:

„Un wenn mr emol tot sin, villicht as mr no
witerläbe tien so in allem..."

Es besteht kein Grund, dies anders zu schreiben.

Diese Liebe zur freieren Form ist vielleicht
auch der Grund, warum Nathan Katz den Reim
nicht gerne anwendet. Wo er ihn aber setzt, empfinden
wir ihn nicht als überraschend oder treffend
. Sehr oft wird einfach dasselbe Wort wiederholt
. Das kann, wie schon gesagt, seinen besonderen
Reiz haben. Hier aber wirkt es oft wie
ein Behelf. Unschön empfindet man den Reim:
stehsch auf hesch (57). Der Reim gibt auch in seiner
Folge die bestimmte Form einer Strophe an.
Ab und zu wird die einmal begonnene Strophenform
vom Dichter nicht immer beibehalten (57,
115, 168). Fast in allen Fällen folgt der Reim dem
vorausgegangenen als dem „Echo des Gedankens"
dann zu spät, wenn dazwischen ein langer reimloser
Vers liegt. Ähnliches hat schon Goethe bei
Hebel beanstandet, wenn er meint, daß sich der
Dichter „besonders seinen reimfreien Versen noch
einige Aufmerksamkeit schenken" möge. In jener
Rezension erwähnt Goethe auch die Tatsache, daß
dem Alemannischen viele Reime („neue Reime")
eigen sind. Warum also sollte sie der Dichter
nicht anwenden?

In einem Gedicht, das uns besonders anrührt,
weil es voller Innerlichkeit ist, oder unsern Geist
beflügelt, stört es uns besonders, wenn ein Vers
aus dem einmal begonnenen Takt fällt, wie es
auf den Seiten 116, letzte Zeile; 117, viertletzte
Zeile; 140, fünftletzte Zeile; 167, zweite Zeile, der
Fall ist.

Die Schreibweise im Buche ist ausgezeichnet
und in allen Stücken gut gewählt. Wo es bei
uns noch so gesprochen wird, sollten wir ebenso
schreiben: Labe, Rabe, Nabel usw. ebenso mänkmol
. Wir hören hier jenes e, das wir noch —
wie wohl schon die Goten — fast wie ä sprechen.
Hier ist eine Synthese gefunden zwischen phonetischer
und lesbarer Schrift. Auf zu viele Doppellaute
als Dehnungszeichen wurde verzichtet,
„bliehjigi" und „Geischter" wird geschrieben, wie
man s spricht, dagegen aber „Stimm" usw. Auf
viele Apostrophen könnte man auch noch verzichten
. Unklar ist für den Nicht-Eingeweihten:
Chlieder, Krams, Chältnacht, chlüet. Diese Wörter
sollte man vielleicht so schreiben wie auf
Seite 191 „Chättenegchlingel", also: Gchlider,
Gchrähmts (Eingerahmtes), Gehältnacht (Gehalt-
Zimmer), gehlüeht (glüht). Dagegen findet sich
auf Seite 111 „Gläng" (Gelände). Die Wörter „ass"
(als) und ass (daß) sollten vielleicht eine Unterscheidung
finden: „as" und „aß".

Alle diese, auch dem Umfang des Buches entsprechend
wenigen Einschränkungen verschwinden
fast völlig hinter der dichterischen Qualität des
ganz ausgezeichneten Buches, das man jedem
Freund der alemannischen Sprache ans Herz legen
möchte. Der Band ist mit feinen Skizzen
sparsam bebildert. Dankbar und beglückt, erschüttert
und getröstet legt man das Buch wieder
aus der Hand, doch immer griffbereit für
eine stille Stunde der Besinnung.

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