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Reichslandzeit (1871—1918) gewesen, sondern
man sagt nicht zu viel, wenn man in seinem
immerhin 15 Bände umfassenden Werk einen
der profiliertesten Steine im Gesamtbau der deutschen
Literatur um die Wende des 19. Jahrhunderts
erkennt. Aber, daß das Entstehen dieses
Werkes in eine Ubergangszeit fiel, war die persönliche
Tragik des Dichters Friedrich Lienhard;
doppelt tragisch für einen Elsässer, der willens
und befähigt war, der deutschen Kultur im Elsaß
Eingang und Verständnis zu verschaffen.
Übergangszeit? Während sich in der elsässi-
schen Provinz im „Alsabund", dessen begabtester
Mitarbeiter Friedrich Lienhard ist, Anfang der
neunziger Jahre die ersten zarten Pflänzchen einer
erwachenden elsässischen Literatur (noch im
Schlepptau eines verlöschenden Nachklassizismus)
zu regen beginnen, schlagen in der Reichshauptstadt
Berlin die Avantgardisten des Naturalismus
Johannes Schlaf und Arno Holz unter Führung
Gerhart Hauptmanns die ersten siegreichen
Schlachten. Was war natürlicher, als daß ein in
der elsässischen Provinz Arrivierter den Wunsch
hatte, am Brennpunkt alles Geschehens, in Berlin
, seine Kräfte mit denen zu messen, die dort
den Ton angaben. Welche Enttäuschung! Der von
edelster Begeisterung und echtestem Idealismus
Erfüllte verließ nicht nur Berlin, sondern er
machte sich um 1900 in dem Aufruf „Los von
Berlin" zum Sprecher aller Gesinnungsgenossen.
Angeekelt von den Kämpfen mit den Berliner
Literaten kehrte er der Reichshauptstadt den
Rücken und fand nun in der Heimat die Ruhe,
ausreifen zu lassen, was in ihm gärte und Wein
werden wollte. Die „Lieder eines Elsässers" erschienen
in einem Straßburger Verlag. Ihnen
folgte alsbald das Wanderbuch „Wasgaufahrten",
das im Reich als Zeichen sich regenden literarischen
Lebens im Elsaß freudig begrüßt wurde.
Als Herausgeber des „Türmers" ist er ein weithin
wirkender Befruchter seiner „Edel-Ziele".
Aber auch in der Heimat fühlt er sich unverstanden
, als er merkt, welch' geringen Einfluß er auf
seine engeren Landsleute auszuüben vermocht
hat. Der Romantiker und Idealist ist dem elsässischen
Realismus unverständlich. Dem Herausgeber
des „Türmers" steht unerwartet der Herausgeber
des „Stürmers", Rene Schickele, gegenüber; und
dieser macht aus seiner Gesinnung, die mit derjenigen
Lienhards keine Berührungspunkte hat,
keinen Hehl.
Friedrich Lienhard verläßt zum zweiten Male
die elsässische Heimat, aber dieses Mal ist nicht
Berlin das Ziel, sondern Weimar. Was dem Dichter
nun aus der Feder fließt, sind Emanationen
eines vom Geiste Weimars Erfüllten. Als solcher
betritt er mit seinen sechs Bänden „Wege nach
Weimar" (Weimar ist für ihn nach der ihm von
Berlin bereiteten Enttäuschung das Symbol für
die seelischen und geistigen Energien Deutschlands
) den Boden des rein Denkerischen, wobei
das wurzelhafte Elsässertum (die Fähigkeit, das
Echte vom Unechten zu unterscheiden) den Autor
Triumphe feiern läßt. „Fleiß ist Genie", hat einmal
einer gesagt. Wenn dies auf einen zutrifft,
dann auf Friedrich Lienhard.
Es kann nicht im Sinne dieser Zeilen sein,
ein erschöpfendes Bild von der Vielseitigkeit des
elsässischen Dichters Lienhard zu geben. Wir
müssen uns damit begnügen, in einer kurzen
Übersicht über sein Werk hervorzuheben, daß
ihm neben seiner bedingungslosen Hingabe an
deutsches Wesen und an deutsche Kultur sämtliche
Formen der Dichtung zu Gebote standen,
dieser Gesinnung Ausdruck zu verleihen. Die
Lyrik haben wir schon gestreift. Der Dramatik
wird er in Stoffen wie „Wieland der Schmied",
„Gottfried von Straßburg", in der Wartburg-
Trilogie, „Odysseus in Ithaka" und anderen gerecht
, während er der Epik in seinen beiden
Romanen „Oberlin" und „Westmark" jenen Tribut
gezollt hat, ohne welchen wir nie über die
landschaftliche und politische Besonderheit des
Elsasses so plastisch und tiefgründig unterrichtet
worden wären.
Alles in allem Grund genug, daß wir des
100. Geburtstages des größten elsässischen Dichters
seiner Zeit in Verehrung und Liebe gedenken.
3nnerofe Scengel, eint OTatjUWarFgeöflenn
Annerose Frenzel ist eine Wahl-Markgräflerin
aus dem Sachsenland, eine Malerin, die mit ihrem
Mann und ihren vier Kindern in Neuenburg am
Rhein ansässig geworden ist. Malerin? Das eine
Wort umgreift zu wenig vom Wesen und Schaffen
dieser Künstlerin im Markgräflerland. Gewiß
, sie malt auch, aber ganz anders als man sich
eine moderne Malerin vorstellt. Sie malt keine
Landschaften, keine abstrakten, formlosen Farbkompositionen
, sondern Offenbarungen ihres
eigenen Erlebens, das zur Symbolik und zum
Märchenhaften neigt.
Sie entstammt einer Lehrerfamilie aus Bautzen,
hat den Krieg als Wehrmachtshelferin von allen
Seiten kennengelernt und ist immer noch dabei,
aus ihrer eigenen seelischen Kraftquelle die Eindrücke
dieser Zeit zu verwinden und dabei trotzdem
schöpferisch tätig zu sein. Annerose Frenzel
ist Gattin, Mutter und Künstlerin. Was diese
dreifache Aufgabe für einen sensiblen Menschen
bedeutet, werden sich viele Menschen gerade
unserer Zeit wenigstens andeutungsweise vorstellen
können. Gymnasium, Abitur, vier Semester
Studium an der Hochschule für Werkkunst
in Dresden als Schülerin von Prof. Hanusch, Prof.
Will Grohmann, Prof. Hirzel und Hajo Rose.
So wenig diese „Personalien" für das Begreifen
einer Künstlerseele bedeuten, so wenig werden
sie zu entbehren sein, wenn man die Werke
dieser Künstlerin in ihrer Kunst-Auffassung verstehen
lernen will. Glücklicherweise .hat sie sich
keiner „Richtung" verschrieben, sondern hat ge-
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