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Paul Stintzi, Mülhausen:
?u TJtyann im Hangen ...
So beginnt ein im Elsaß bekannter, alter
Spruch, in dem alle Weinstädtlein mit ihrem
besten Gewann aufgezählt werden, wobei natürlich
eines das andere zu übertrumpfen sucht.
Thann liegt am Eingang des von der Thür,
einem Nebenfluß der III, durchflossenen Tales
der Südvogesen, das durch seine landschaftlichen
Schönheiten viel besucht wird. Auf der einen
Seite trennt das Roßberg - Massiv dieses Tal von
jenem der Doller (Masmünster), auf der anderen
der Große Belchen von jenem der Lauch (Gebweiler
). Durch das Thurtal führte schon ein
Römerweg aus der oberrheinischen Ebene über
den Vogesenkamm und den Sattel am Bussang
hinüber ins Moseltal; der Weg blieb durch die
Jahrhunderte über die „Steige", der viel begangene
Verkehrsweg ins Herzogtum Lothringen.
Am ziemlich schmalen Eingang des Thurtales
bauten die Grafen von Pfirt, denen das ganze
Gebiet gehörte, auf beherrschender Höhe zur
Sicherung des Weges die Engelsburg; an deren
Fuß, am Kattenbach, ließen sich Hörige der Grafen
nieder, die im Dienst der Burg und der Herrschaft
standen, auch Fischer, die in der damals
wasser- und fischreichen Thür ihren Verdienst
fanden. Kattenbach nennt man noch heute den
jenseits der Thür, am Fuß der Burgruine, gelegenen
Stadtteil; der Name rührt von der Katharinenkapelle
auf der Burg her, hatten doch die
Pfirter Grafen für diese Märtyrin eine besondere
Verehrung, die von ihnen auf die Habsburger
überging.
So ist einerseits Thann eine unter dem Schutz
einer Burg entstandene Siedlung, genau so wie
Pfirt, wie Blumenberg und Beifort. Aber sie verdankt
andererseits auch ihre Entstehung einer
Wallfahrt. Die Legende hat diesen Ursprung poesievoll
umkränzt, und noch alljährlich am 30. Juni
erinnert das Abbrennen dreier Tannen auf dem
Münsterplatz an diese Legende: der Graf von
Pfirt sah von der Engelsburg aus eines Nachts
geheimnisvoll drei Lichter über dem dichten
Wald, der sich der Ebene zu ausdehnte. Es hatte
den Anschein, als würde eine Tanne brennen,
aber nicht verbrennen. So ritt er ins Tal und
fand unter der leuchtenden Tanne einen schlafenden
Wanderer, dessen Pilgerstab an der Tanne
lehnte. Er weckte den Fremden und fragte ihn
nach dem Sinn des Zeichens. Der Fremde erzählte
, er sei eines Bischofs Diener gewesen,
Ubaldus oder Theobaldus mit Namen, drunten in
Italien, in Gubbio. Als dieser ans Sterben kam,
beauftragte er ihn, seinen treuen Diener, er solle
ihm den Ring vom Finger streifen sobald er verschieden
sei, und diesen mitnehmen als Zeichen
der Dankbarkeit. So tat es der Diener, aber als
er den Ring abstreifte, blieb ein Teil des Fingers
samt dem Ring in seiner Hand. Die Reliquie
legte er in die Öffnung seines Stabes, wie dies
oft üblich war, und nahm den Weg über die
Alpen in das Elsaß, um über die Steige in seine
lothringische Heimat heimzukehren. Als er dem
Grafen den Stab samt der Reliquie zeigen wollte,
war dieser nicht von der Stelle zu bewegen. Das
nahm der Graf als ein Zeichen des Himmels: er
gelobte, an dieser Stätte jenseits der Thür, dem
hl. Ubaldus eine Kapelle zu errichten. So entstand
das erste Heiligtum, über dem später das
herrliche Münster von Thann emporstreben sollte.
Die Tanne aber kam in das Thanner Wappen.
Geschichtlich beruht der Bau dieser Kapelle
auf der Translation einer Fingerreliquie von
Gubbio an die Grafen von Pfirt, die in Italien
Verwandte hatten. Genau stimmt die Reliquie
von Thann mit einer fehlenden Reliquie des
Bischofs Ubaldus in Gubbio überein. Historische
Studien und medizinische Untersuchungen haben
dies in jüngster Zeit festgestellt, und das Verbrennen
der Tannen am Vorabend des Translationsfestes
ist eine Erinnerung an einen noch
üblichen Brauch, der diesem ähnelt, in Gubbio.
Neben der am Fuß der Burg gelegenen Siedlung
bildete sich nun um dieses kleine Ubaldus-
oder Theobaldus - Heiligtum, das im heutigen
Münster eingeschlossen ist, eine zweite Ortschaft;
beide wuchsen schon bald zusammen, wurden
mit Mauern und Tortürmen umgeben. Thann
nannte man dies Städtlein. Das Dorf Thann gegen
Sennheim zu, figuriert fortan in den Dokumenten
als „Thann, das Dorf" und wurde zuletzt
Alt-Thann, in französischer Bezeichnung „Vieux-
Thann". Wir haben hier dieselbe Entwicklung
wie in Pfirt und Alt-Pfirt im Sundgau, wo auch
letztere Ortschaft viel älter ist als Pfirt, das
Städtlein, das erst später unter dem Schutz der
Grafenburg entstand.
Thann blühte zu einem religiösen Mittelpunkt,
aber auch zu einer Stadt des Handwerks, des
Gewerbes, des Handels auf. Die Wallfahrt wurde
weit bekannt und berühmt; von nah und fern
strömten die Pilger herbei, ja sogar von der Ostsee
, wo in Lübeck Theobaldus hoch verehrt war.
Die einen kamen als Büßer, die anderen bittend
und um Hilfe flehend in manchen Bresten, die
andern zum Dank für Hilfe in Feuersgefahr oder
bei einem Schiffbruch. Im Thanner Pfarr-Archiv
wird das wertvolle Manuskript „Tomus mira-
culorum Sancti Theobaldi" aus dem ausgehenden
15. Jahrhundert aufbewahrt, das „Buch der Wunderzeichen
", aus dem auch der Künstler des viel
gerühmten Theobaldus - Fensters im Chor des
Münsters für einzelne Szenen geschöpft hat. Daß
Thann die Wallfahrtstadt wurde, das zeigt die
Ikonographie des Heiligen: der Bischof ist stets
von zwei neben ihm knienden Pilgern umgeben.
Die Pilger aber brachten Geld in die Stadt, sie
steuerten auch zum Bau des Münsters bei, das
seit dem 14. Jahrhundert langsam gleich einem
kostbaren Schrein über der kleinen Kapelle
emporstrebte. So enstanden zuerst das rechte
Seitenschiff mit dem gotischen Kreuzgewölbe,
ausmündend in die romanisch-gotische Theobal-
duskapelle, dann Chor und Mittelschiff im 15.
Jahrhundert, zuletzt das linke Seitenschiff mit
dem einzigs.chönen Netzgewölbe, und als Krönung
des Werkes der Turm, den Meister Remigius
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