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J. Rebel im Uctell von J. VB. <$oett)e

(Reccension in die Jenaische allgemeine Literaturzeitung 1804.)
Carlsruhe bei Macklott: Allemannische Gedichte. Für Freunde ländlicher Natur und Sitten

von J. P. Hebel, Prof. zu Carlsruhe. 2. Auflage, 1804.

Der Verfasser dieser Gedichte, die in einem
oberdeutschen Dialekt geschrieben sind, ist im
Begriff, sich einen eigenen Platz auf dem deutschen
Parnaß zu erwerben. Sein Talent neigt
sich gegen zwei entgegengesetzte Seiten. An der
einen beobachtet er , mit frischem, frohen Blick
die Gegenstände der Natur, die in einem festen
Dasein, Wachsthum und Bewegung ihr Leben
aussprechen, und die wir gewöhnlich leblos zu
nennen pflegen, und nähert sich der beschreibenden
Poesie; doch weiß er durch glückliche Per-
sonificationen seine Darstellung auf eine höhere
Stufe der Kunst hinaufzuheben. Auf der anderen
Seite neigt er sich zum Sittlich-Didaktischen
und zum Allegorischen; aber auch hier kommt
ihm seine Personification zu Hülfe, und wie er
dort seine Körper für einen Geist fand, so findet
er hier für seine Geister einen Körper. Dies gelingt
ihm nicht durchaus; aber wo es ihm gelingt,
sind seine Arbeiten vortrefflich, und nach unserer
Überzeugung verdient der größte Theil dieses
Lob.

Wenn antike oder andere durch plastischen
Kunstgeschmack gebildete Dichter das sogenannte
Leblose durch idealische Figuren beleben
, und höhere, göttergleiche Naturen als Nymphen
, Dryaden und Hamadryaden, an die Stellen
der Felsen, Quellen, Bäume setzen, so verwandelt
der Verfasser diese Naturgegenstände
zu Landleuten, und so verbauert auf die naivste,
anmuthigste Weise, durchaus das Universum, so
daß die Landschaft, in der man denn doch den
Landmann immer erblickt, mit ihm in unserer
erhöhten und erheiterten Phantasie nur Eins
auszumachen scheint.

Das Local ist dem Dichter äußerst günstig. Er
hält sich besonders in dem Landwinkel auf, den
der bei Basel gegen Norden sich wendende Rhein
macht. Heiterkeit des Himmels, Fruchtbarkeit der
Erde, Mannichfaltigkeit der Gegend, Lebendigkeit
des Wassers, Behaglichkeit des Menschen,
Geschwätzigkeit und Darstellungsgabe, zudringliche
Gesprächsformen, neckische Sprachweise, so
viel steht ihm zu Gebot, um Das, was ihm sein
Talent eingibt, auszuführen.

Gleich das erste Gedicht enthält einen sehr
artigen Anthropomorphismus. Ein kleiner Fluß,
die Wiese genannt, auf dem Feldberg im Österreichischen
entspringend, ist als ein immer fortschreitendes
und wachsendes Bauernmädchen
dargestellt, das, nachdem es eine sehr bedeutende
Berggegend durchlaufen hat, endlich in die
Ebene kommt und sich zuletzt mit dem Rheine
vermählt. Das Detail dieser Wanderung ist außerordentlich
artig, geistreich und mannichfaltig,
und mit vollkommener, und sich selbst immer
erhöhender Stetigkeit ausgeführt.

Wenden wir von der Erde unser Auge an den
Himmel, so finden wir die großen leuchtenden

Körper auch als gute, wohlmeinende, ehrliche
Landleute. Die Sonne ruht hinter ihren Fensterläden
; der Mond, ihr Mann, kommt forschend
herauf, ob sie wohl schon zur Ruhe sei, daß er
noch eins trinken könne; ihr Sohn, der Morgenstern
, steht früher auf als die Mutter, um sein
Liebchen aufzusuchen.

Hat unser Dichter auf Erden seine Liebesleute
vorzustellen, so weiß er etwas Abenteuerliches
dreinzumischen, wie im Hexlein, etwas
Romantisches, wie im Bettler. Dann sind sie
auch wohl einmal recht freudig beisammen, wie
in Hans und Verene.

Sehr gern verweilt er bei Gewerb und häuslicher
Beschäftigung. Der zufriedene Landmann
, der Schmelzofen, der Schreinergesell
stellen mehr oder weniger eine derbe
Wirklichkeit mit heiterer Laune dar. Die Marktweiber
in der Stadt sind am wenigsten geglückt
, da sie beim Ausgebot ihrer ländlichen
Waare den Städtern gar zu ernstlich den Text
lesen. Wir ersuchen den Verfasser, diesen Gegenstand
nochmals vorzunehmen und eine wahrhaft
naive Poesie zu vindiciren.

Jahreszeiten und Tageszeiten gelingen dem
Verfasser besonders. Hier kommt ihm zu Gute,
daß er ein vorzügliches Talent hat, die Eigentümlichkeiten
der Zustände zu fassen und zu
schildern. Nicht allein das Sichtbare daran, sondern
das Hörbare, Riechbare, Greifbare, und die
aus allen sinnlichen Eindrücken zusammen entspringende
Empfindimg weiß er sich zuzueignen
und wiederzugeben. Dergleichen sind der Winter
, der Jänner, der Sommerabend,
vorzüglich aber Sonntagsfrühe, ein Gedicht,
das zu den besten gehört, die jemals in dieser
Art gemacht woirden sind.

Eine gleiche Nähe fühlt der Verfasser zu
Pflanzen, zu Thieren. Der Wachstum des Hafers,
bei Gelegenheit eines Habermuses von einer
Mutter ihren Kindern erzählt, ist vortrefflich
idyllisch ausgeführt. Den Storch wünschen
wir von dem Verfasser nochmals behandelt
und bloß die friedlichen Motive in das Gedicht
aufgenommen. Die Spinne und der
Käfer dagegen sind Stücke, deren schöne Anlage
und Ausführung man bewundern muß.

Deutet nun der Verfasser in allen genannten
Gedichten immer auf Sittlichkeit hin, ist Fleiß,
Thätigkeit, Ordnung, Mässigkeit, Zufriedenheit
überall das Wünschenswerthe, was die ganze Natur
ausspricht, so gibt es noch andere Gedichte,
die zwar directer, aber doch mit großer Anmuth
der Erfindung und Ausführung auf eine heitere
Weise vom Unsittlichen ab und zum Sittlichen
hinleiten soll. Dahin rechnen wir den Wegweiser
, den Mann im Mond, die Irrlichter
, das Gespenst an der Kan-

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