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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1966-02/0014
Paul Stintzi, Mülhausen:

büQ VolMfcb im @lfa£

Das Volkslied — ein Lied, wie tausend andere?
Keine hat es sinnreicher, treffender gekennzeichnet
als Droste-Hülshoff, die den Akzent auf das
Wort gelegt: es liege d^rin eine ganze Seele. Wo
immer das Volkslied ertönt, ganz gleich welcher
Landschaft, welcher Provinz, welchen Landes, es
weht darin eines Volkes Fühlen, eines Volkes
Weinen und Lachen, eines Volkes Seele. Wer es
schon einmal erlebt droben in einer Sennhütte
oder weiß Gott wo in einer Dorfstube, beim Dämmerschein
oder beim brummelnden Ofen, der
weiß um das Geheimnis, um die Tiefe des Volksliedes
. Und wer in der Fremde war und er hörte
ein Volkslied seiner Heimat, — wie vielen Soldaten
ist es so ergangen weit drüben in Flandern
, weit drunten in der Ukraine, für den war
das Volkslied ein Band zwischen Fremde und
Heimat. Für den leuchtete wundersam die Heimat
auf. Das Dorf mit dem rauschenden Brunnen
, den heimeligen Gassen und Winkeln, den
Häusern und dem Kirchturm, die Felder und
Matten, die Hügel und Berge — er war wieder
daheim, hörte den Stundenschlag der Turmuhr,
hörte die Glocken, —> daheim beim Klang der
Weisen eines Volksliedes.

Das Volkslied ist aber noch mehr als ein Band
zwischen Fremde und Heimat. Es ist ein kostbares
Volksgut, das von Generation zu Generation
gegangen, gerade so wie unsere Sagen und
Legenden. Ein Volksgut, an dem sich unsere
Vorfahren gefreut und das in unserer blasierten
Welt langsam dem Untergang geweiht ist. Denn
unsere Zeit scheint daran keinen Gefallen mehr
zu finden, scheint die tiefe Poesie des Volksliedes
zu mißachten. Vor dem letzten Krieg hat
der lothringische Pfarrer Pink seine drei Bände
lothringische Volkslieder, die ein großer Künstler
, H. Bacher, illustrierte, „Verklingende Weisen"
genannt. Ein treffendes, wenn auch traurig stimmendes
Wort. Wohl kennen die Älteren noch
einige Weisen, einige Bruchstücke eines Volksliedes
, das die Rekruten sangen, wenn sie durch
die Dorfgassen zogen, das man bei Hochzeiten
oder bei einer Taufe aus der Vergessenheit zu
Ehren brachte. Aber wie viele kennen die Volkslieder
noch, wie viele verstehen und empfinden
noch das Nebeneinanderklingen froher und wehmütiger
Weisen, die einfachen, oft primitiven
Verse und Reime, so wie das Volk eben denkt
und spricht! Kein Lied spricht so tief zum Menschen
wie das Volkslied, weil darin „eine ganze
Seele" liegt, die Seele des Volkes und die Seele
der Heimat.

Wenig Gegenden besitzen so viele Volkslieder
wie das Elsaß. Goethe, der Straßburger Student,
und Herder, den er dort kennen gelernt hatte,
lernten diese Quellen wahrer, urwüchsiger Poesie
vor fast zwei Jahrhunderten im Schatten des
Straßburger Münsters und draußen im Ried, in
Sesenheim, in ihrem ganzen Zauber kennen. Die
Volkslieder wurden für sie in Text und Melodie
reinste Brunnen der Volksseele. Im letzten Jahrhundert
hat der Gebweiler Komponist Weckerlin

Volkslieder gesammelt und auch veröffentlicht,
doch nur einen kleinen Teil. Dichter und Schriftsteller
wie Karl Braun und August Stöber haben
den tiefen Gehalt und Wert des Volksliedes erkannt
und ganz im Sinne der Romantiker hier
und dort aufgeschrieben, so wie sie es für die
Sagen getan. Aber dann kam der Krieg 1870 und
es vergingen lange Jahre, bis endlich im Elsaß
sich wieder geistige Kräfte regten, bis Dichtung
und Volkskunde und Theater sich wieder auf die
Heimat besannen. Damals begannen, — es war
vor dem ersten Weltkrieg —, Männer wie der
vor Jahren verstorbene Dr. Kassel und wie ein
damals junger Gelehrter, Dr. Josef Lefftz, Volkslieder
im Elsaß zu sammeln. Wir brauchen Dr.
Lefftz unseren Lesern nicht vorzustellen. Anläßlich
der Verleihung des Mozart-Preises durch die
Universität Innsbruck im Sommer 1964 haben
wir die Verdienste dieses elsässischen Germanisten
und Volkskundlers in dieser Zeitschrift gebührend
gewürdigt. Dr. Lefftz hat gerade auf
dem Gebiete der Volkskunde, zusammen mit anderen
elsässischen Gelehrten, wie beispielsweise
Alfred Pfleger, durch die Herausgabe der Zeitschrift
„Elsaßland" bleibende Verdienste erworben
. In jahrzehntelanger Arbeit hat dieser beste
elsässische Volkskundler die „verklingenden"
Volkslieder gesammelt, Text und Melodie zu
Papier gebracht, wissenschaftlich geprüft und
bewertet. Er ist dem Ursprung dieser Volkslieder
nachgegangen bis hinauf in das Mittelalter
und hat so eine auch wissenschaftlich bedeutsame
Ernte eingebracht.

So reich war diese Ernte, daß Dr. Lefftz im
Jahre 1937 gemeinsam mit der damaligen „Elsaß-
Lothringischen Wissenschaftlichen Gesellschaft in
Straßburg" die Veröffentlichung eines mehrbändigen
Sammelwerkes planen konnte. Allein der
zweite Weltkrieg brach aus, der erste, fast fertiggestellte
Band kam nie zum Erscheinen.

Heute aber kommt nun die frohe Kunde, daß
das fünfbändige Sammelwerk doch veröffentlicht
werden kann. Der nun über 75jährige Gelehrte
erlebt nun nach mancher Enttäuschung die Genugtuung
und Freude, daß der Alsatia-Verlag in
Colmar es als seine Verpflichtung betrachtet, die
immer noch ausstehende, schon lange erwartete
„Elsässische Volkslieder - Sammlung" unter dem
Titel „Das Volkslied im Elsaß" zu veröffentlichen
und für immer zu retten.

Das Erscheinen dieses fünfbändigen Werkes
wird ein Ereignis nicht nur für das Elsaß, sondern
für den ganzen alemannischen Raum sein.
Ein Ereignis von literarischer, historischer und
kulturhistorischer Bedeutung. Denn durch den
wissenschaftlichen Anhang wird dieses Werk
mehr sein als nur eine Rettung von Liedern, von
Text und Melodie vor dem Vergessensein, es
wird einen hohen wissenschaftlichen Wert für
die Lied- und Musikforscher weit über den Raum
am Oberrhein sein. Der Straßburger Künstler
Nuss, der ganz im Sinne Bachers arbeitet und im
Bild das elsässische Volkslied zu erfassen sucht,

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