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Soeben legt uns die elsässische Dichterin Lina
Ritter -Potyka, die durch ihren geschichtlichen
Roman „Martin Schongauer" bekannt wurde, ihr
Büchlein „Elsasseschi Haiku" auf den Tisch. Das
hübsche, halbleinengebundene, preiswerte Bändchen
ist etwas ganz Neues in der alemannischen
Literatur.
Vielen ist wohl das Wort „Haiku" unbekannt.
Sie schauen im Lexikon nach und finden: „ .. aus
drei Zeilen und 17 Silben bestehende japanische
Gedichtform, entstanden aus dem seit dem siebten
Jahrhundert nach Chr. in Japan bekannten
Kurzgedicht „Mijika - uta", kurz „Uta" genannt,
aus dessen ersten drei Zeilen das „Hokku" seit
dem 16. Jahrhundert gebildet wurde. Von einem
Haiku spricht man, wenn es sich um ein Gedicht
mit scherzhaftem Inhalt handelt. Die 17 Silben
stehen in drei Zeilen mit dem Schema 5—7—5,
oder 7—5—5, oder 5—9—5. Die Dreiteilung verlangt
auch drei Begriffe.
Haiku ist Einzahl und Mehrzahlform. Lina
Ritter erklärt uns auf der ersten Seite: Das Haiku
ist ein Anruf, ein Winken, eine Frage.
Es ist sehr reizvoll festzustellen, was die
Dichterin aus diesem für uns fremden Dreizeiler
gestaltet hat. Da sind Sprüche, Ratschläge, Lebensweisheiten
, Redensarten und anderes, die
aufhorchen lassen, die ans Gewissen rühren, die
erfreuen, die zum Nachdenken anregen und die
zuguterletzt jedem eingehen. Mit Staunen stellt
man fest, daß das Alemannische das Fremde der
Form ganz in sich aufnimmt. Man denkt nicht
mehr an Japan, oder an Silbenzahl, sobald man
sich eingelesen — noch mehr — eingehört hat.
Rührt dies daher, daß die alemannische Sprache
voller Vokaltöne ist, womit Ähnliches anklingt
wie vielleicht in der japanischen Sprache? Bekanntlich
endet jede japanische Silbe mit einem
der fünf Hellaute. Andererseits empfindet das
an das übliche Heben und Senken, an Vers- und
Strophenbau gewohnte Ohr in diesen elsässischen
Haiku mehr eine Prosa, freilich in einer schönen,
gepflegten Sprache, die klingt und schwingt,
wenn Daktylen zwischen den Jamben stehn.
Die meisten Themen sind aus dem Lebehs-
kreis einfacher Menschen entnommen. Dörfliche
Bilder stehen in uns auf und werden in irgend
einen Zusammenhang gebracht, der uns erhebt,
tröstet und ermahnt, oder uns einen Rat erteilt.
Welch eine grausige Wahrheit steckt in dem
Haiku: ,,D' Zunge het kai Chnoche. Aber si cha
Chnoche breche". 365 Haiku führen uns durch
das Jahr. Wir erleben skizzenhaft Szenen des
Alltags, etwa zwischen Mann und Frau, die voll
eines köstlichen Humors sind, aber auch voll
Innerlichkeit und Tiefe, so etwa: „Wem mer
d' Ring verchaufe mien, häm mer allewil no
unseri Finger". Als gereifte Frau faßt Lina Ritter
ihren Glauben sehr ernst auf. Engel begleiten
sie auf Schritt und Tritt, wie sie uns auch dann
und wann ein frommes Wort mit in den Tag gibt:
„Grüeß Gott! Sag ich härzlich zue jedem Bsuech.
('s chennt emol ER SELBER sii)." Das ist schön
und groß in seiner Einfachheit.
Lina Ritter hat, mit einigen Ausnahmen, ihre
Schreibweise der von Sütterlin vorgeschlagenen
angelehnt. Sie kommt damit dem Leser entgegen,
der ja nur Hochdeutsch lesen gelernt hat. Eine
phonetische Schreibweise führt bekanntlich zu
Unklarheiten. So ist „Elsasseschi" schwer lesbar.
Das Ä und teils auch das E werden fast wie ein
A gesprochen. Das ist in weiten Teilen des Alemannischen
der Fall: Nabel (Nebel), Rabe (Reben),
Wag (Weg) usw. Der Aussprache wegen ein A zu
schreiben, führt zu unnötigen Erschwernissen. Es
müßte sonst ja auch „Angel" (Engel) und vieles
andere mit A geschrieben werden. Jede Gegend
spricht ein und dasselbe Wort etwas anders aus.
Nur phonetische Zeichen können den Sprechton
einigermaßen richtig wiedergeben. Verwirrend ist
das öfters gebrauchte Wort „batte". Es bedeutet
im Alemannischen „ausgiebig sein, nützen". Hier
aber ist „beten" gemeint. Apostrophen machen
das Druckbild unruhig. Wenn wir einzelne Buchstaben
als eigene Wörter besitzen, so ist das gerade
etwas besonders Charakteristisches. Wenn
wir also für „die" nur „d", oder für „es" nur „s",
für „ein" nur „e", für „ich" nur „i" sagen, so
haben wir dabei nichts ausgelassen.
Die Sprache des vorderen Sundgaus, in der
die Dichterin schreibt, gleicht fast überall dem
südlichen Akzent unseres Hebel-Alemannischen.
Dort wie hier heißt es Chind (Kind), Woge (Wagen
, mit einem fast an O tönenden A). Beim
Sprechen hören wir das vorne an der Zunge rollende
R. Im Gegensatz zu dem nördlicheren
Elsässischen ist das Sundgauische aus Neudorf,
dem Heimatort unserer Dichterin, merkwürdig
herb, zäh, spröde und schwer. Abweichungen von
unserer Sprache sind zu bemerken: wir sagen
zum Beispiel numme n e (mit Binde-N); wir sagen
: die chleine Lüt, sundgauisch: d chleini Lit;
bei uns heißt es: d richtige(Maidli, dort: d richtegi
Maidle; wir sagen: my Muetter, die Neudorfer
sagen: myni Muetter u. a. m. Merkwürdige und
originelle Wörter sind liebevoll festgehalten:
Stettchopf, Chnorzi, Dollweck, narrächtig, übel-
dranst usw. Andererseits kennt das Neudorfer
Alemannisch viele bei uns noch heute gebräuchlichen
Wörter nicht mehr. So etwa: Chlimse)
(Spalt), fürsi (vorwärts), Muni (Stier), Moo (Moon),
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