Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1966-03/0004
Dr. Robert Feger, Freiburg:

jözv unbekannte f)ebel

Belchismus oder das All im Oberland

(Fortsetzung.)

Erzähler: Am 2. November des Jahres 1791 erhält der
Präzeptoratsvikar am Pädagogium in Lörrach, Johann
Peter Hebel, die Nachricht, daß er als Subdiakonus an
das Gymnasium zu Karlsruhe berufen sei. Seit Jahren
hat Hebel auf eine solche feste Anstellung gewartet
gehabt, immer vergeblich. Bei Beförderungen sind ihm
stets andere Bewerber vorgezogen worden. Mißmut und
Galgenhumor haben sich deswegen in sein Gemüt eingeschlichen
. Er hat sogar erwogen, den Beruf des Geistlichen
und Lehrers zu verlassen, noch einmal von vorn
zu beginnen und Medizin zu studieren. Der Umgang mit
seinen Freunden, mit Friedrich Wilhelm Hitzig, mit
Tobias Günttert und August Welper, hat ihn nur für
Stunden über die ausweglose Enge des Alltags hinausheben
können. Nun endlich erreicht ihn die Berufung
nach Karlsruhe. Hebel ist 31 Jahre alt.

Sprecher: Die Stadt Karlsruhe, die Hebel im Dezember
1791 wieder betritt, ist nicht groß. Sie hat 9000 Einwohner
. Das Gründungsjahr liegt erst 76 Jahre zurück. Noch
herrschen die einfachen Holzbauten im Stadtbild vor.
Doch der Aufbau und die Verschönerung der Stadt sind
in lebhaftem Gang. Nach dem Gründungsplan von 1715.
Er zeigt im Mittelpunkt das Schloß, von dem strahlenartig
die Straßen ausgehen. Die Stadt liegt im Süden
des Schlosses! Von ihm beherrscht und auf es bezogen.
Sie ist Residenz des Markgrafen Karl Friedrich von
Baden-Durlach, eines tatkräftigen, modernen und aufgeklärten
Herrschers. Karlsruhes Einwohner dienen als
Beamte am Hof oder im Staat oder treiben Gewerbe
und Handel. Ein nennenswertes geistiges und gesell-
schaftlichse Leben gibt es nicht, noch nicht. Noch hat
alles einen patriarchalischen Anstrich. Doch ist vieles im
Werden. Und immerhin hat Karlsruhe seit 1724 schon
sein Gymnasium illustre, an das Hebel berufen ist.

Erzähler: Hebel kennt das Gymnasium, denn er ist in
den Jahren 1774—78 sein Schüler gewesen. Jetzt soll er
selbst darin unterrichten. Und zwar Lateinisch, Griechisch
, Hebräisch und anderes. Daneben obliegt ihm die
Pflicht, gelegentlich in der Schloßkirche zu predigen.
Schon am 14. Dezember 1791 kann er in einem ersten
Brief an die Freundin Gustave Fecht nach Weil berichten:

Hebel: ... Am Sonntag habe ich meine erste Predigt
gehalten. Hören und Sehen verging mir, als ich mich so
einem Meere von Hauben und Frisuren umflutet sah.
Die Leute sehen alle so kennerisch aus, unter den Hauben
und Frisuren. Ich bin so stolz, daß die Karlsruher
Kenner so ziemlich zufrieden waren, und kaum die
Hälfte Zuhörer, höchstens zwei oder drei mehr, einschliefen
, — so stolz, daß ich die Predigt in alle Welt
schicken möchte, und Sie mir keinen größeren Verdruß
antun könnten, als wenn Sie mich wissen ließen, daß
Sie dieselbe nur aus Spaß verlangt hätten. Aber ein
Karlsruher Diakonus läßt nicht mit sich spaßen...

Erzähler: Ein Karlsruher Diakonus, schreibt Hebel. Dabei
ist er noch gar nicht Diakonus, sondern nur Subdiakonus
. Indessen wird die Jungfer Gustave kaum an

dieser kleinen Selbsterhebung Hebels Anstoß genommen
haben. Das hat dafür einer der würdigen Kirchenräte
getan: Als Hebel sich bei diesem zum Amtsantritt ebenfalls
als Diakonus meldet, wird er von ihm angeschnauzt
und nachdrücklich darauf hingewiesen, daß er nur Subdiakonus
sei. Im nächsten Jahr, 1792, wird diese erste
Klippe überstiegen und Hebel zum Hofdiakonus ernannt
sein.

Sprecher: Überhaupt geht es jetzt vorwärts mit Johann
Peter Hebel. 1798 wird er Professor, 1805 Kirchenrat,
1808 Direktor des Gymnasiums, 1819 Prälat der evangelischen
Landeskirche und Mitglied der Ersten Kammer
des Badischen Landtags, ein Jahr später wird er das
Ritterkreuz des Ordens vom Zähringer Löwen erhalten
und wieder ein Jahr später von der Universität Heidelberg
den theologischen Doktortitel ehrenhalber.

Erzähler: Vor all diesen Ehren aber ist immer harte
Arbeit gestanden, die Hebel am Gymnasium und in der
Kirchenverwaltung zu leisten hat und leistet. Ehrungen
ebenso wie neue Aufgaben machen ihm Freude. Auch
findet er nach und nach einen Freundeskreis, der ihn
schätzt. Einen Kreis auch, in dem seine dichterische und
schriftstellerische Arbeit, die sich sehr bald neben die
Berufsarbeit stellt, lebhaften Beifall findet. Eigentlich
könnte Johann Peter Hebel mit seinem Karlsruher Le-<
bensbezirk zufrieden sein und mit all dem, was er in
Karlsruhe erlangt. Er ist aber nicht zufrieden, er ist
es zeitlebens eigentlich nicht. Und je älter er wird,
desto weniger.

Sprecher: Und warum ist er es nicht? Weil ihm in
Karlsruhe das Oberland fehlt. Und die Lörracher Freunde
. Und die Freundin Gustave. Und eine Pfarrstelle im
Oberland. Und ...

Erzähler: Und? Noch viele „Und"? Es findet ja einer
immer neue zweifelnde und nörgelnde „Und", wenn ihm
etwas wesensmäßig zuwider ist. Wenn er irgendwo sein
und leben soll, wo seine Seele nicht daheim ist. Dem
Hofdiakonus und bald Professor Hebel ist die Stadt
Karlsruhe samt der Ebene, in der sie liegt, von Grund
auf zuwider. Er mag das tote, leere Wesen der Ebene
nicht; er liebt die sanften Hänge und die umgrenzten
Wiesentäler seiner Heimat. Er mag das Welschkornland
nicht; sein Auge vermißt das Farbenspiel der grünenden
und gilbenden Reben. Hebels Wesen ist oberländisch,
markgräflerisch, alemannisch.

Sprecher: Jedoch: soll er darum resignieren? Hat er
nicht Kraft und Können zur Arbeit in den Lehrsälen
des Gymnasiums? Hat er nicht Lust zu dieser Arbeit?
Doch. Also stürzt er sich in die Aufgaben hinein, die
ihm das Gymnasium stellt und die er ja aus der Lörracher
Zeit kennt. Also lehrt er, hört ab, zensiert. Und
stellt seine unzufriedene Seele zur Hälfte zufrieden mit
beruflichen Erfolgen. Und die andere Hälfte? Bleibt sie
unzufrieden? Nein, nicht ganz. Aber zufrieden wird sie
auch nicht? Auch nicht ganz. Die andere Hälfte von
Hebels Sinnen und Denken befreit sich mit sehr wechselndem
Erfolg durch die Pflege der Erinnerung. Befreit
sich im Zurückdenken an die Zeit der Jugend und

2


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1966-03/0004