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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1966-03/0006
Otto Ernst Sutter:

j&iz Äoftorögäule

Eine ländliche Erzählung

Öffnete der Medizinalrat Dr. Waldemar Waldbauer
die Stalltüre, drehten seine zwei Füchse
die mähnengeschmückten Hälse nach ihm um.
Auf keine Ehrenbezeigung war der ärztliche
Haudegen, wie er sich selbst zu nennen pflegte,
so stolz wie auf den Gruß seiner Gäule. Pferde,
sagte er, wenn er darauf zu sprechen kam, wüßten
wie Hunde, „soweit sie nicht ganz gottverlassene
Scherenschleifer" seien, mit wem sie es
zu tun hätten unter den Menschen. Ein Nachbar,
Kleinbauer und Tagelöhner, säuberte dem Medizinalrat
den Stall und striegelte auch die getreuen
Behuften, starkknochige, indessen nicht
sehr hochgewachsene Tiere — das Füttern aber
und Tränken besorgte der hohe Siebziger, der
Waldbauer war, selbst. Selten auch nur ließ er
sich's nehmen, seine Füchse ein- und auszuspannen
, im Stall zu holen und wieder in ihn zurückzubringen
. Doktor Waldemar Waldbauer, praktischer
Arzt und Geburtshelfer, wohl schon an
die dreißig Jahre Großherzoglicher Medizinalrat,
war über ein halbes Jahrhundert in Altenhausen
und seiner Landschaft tätig. Zwei, wenn nicht
gar drei Generationen hatte er zum Leben ver-
holfen und war am Totenbett einer langen Reihe
von Jahrgängen gestanden. An den Stammtischen
im „Rebstock" wie im „Goldenen Lamm" bildete
der „alte Doktor mit seinen Füchsen" einen beliebten
Unterhaltungsstoff. Vor allem stellte man
gern Berechnungen darüber an, wie oft der Medizinalrat
in den fünf, sechs Jahrzehnten alte
Pferde gegen junge eingetauscht hatte. Es war
etwas Seltsames darum, wie lange seine Gäule
aushielten, wohl fast immer an die achtzehn,
wenn nicht zwanzig Jahre, und daß er immer
wieder Füchse, wußte der Himmel woher, mitbrachte
, die ihren Vorgängern zum Verwechseln
glichen. Wohin er die Veteranen, von denen er
sich trennte, brachte, war nie zu erkunden gewesen
. Er fuhr mit dem ausgedienten Paar im
gemachen Trab zum Städtlein hinaus, blieb während
seiner Abwesenheit durch einen jungen
Anfänger im hippokratischen Bereich vertreten,
einige Tage fort und kam, mit einem neuen Gespann
in seiner ratternden Kutsche zurück. Nur
die flottere Gangart der Pfe/rde ließ gewahr werden
, daß es junge Hufe waren, die auf dem
holprigen Pflaster der Hauptstraße fröhlich
klapperten.

Apollonia, die grauhaarige Magd des Hagestolzen
, der, mancherlei Umwarbensein gewissermaßen
zum Trotz, der Arzt und Geburtshelfer
geblieben war, pflegte pfiffig zu lachen, wenn
sie gefragt wurde, wie ihr Herr es anfange, daß
er immer Pferde auftreibe, die den ausgedienten
ganz und gar ähnlich waren. Der „Meister",
kicherte sie, lasse die altgewordenen x „Rösser"
nur aufpolieren, es seien immer die nämlichen.
Dann schaute die „Doktors Apollone" noch listiger
drein und sagte, der „Meister" stehe mit
allen Tausendsassas in den Allerweltsstädten auf
vertrautestem Fuß. Er kenne auch die Altweibermühle
, in der die Haut geglättet und steife Knochen
wieder geschmeidig gemacht würden —
aber er weigere sich, sie in diese Verjüngungsanstalt
mitzunehmen — sie scheine ihm eben
mit ihren Runzeln besser zu gefallen.. .

Den Medizinalrat einfach zu fragen, wie es
sich erkläre, daß er von seinen Fahrten in die
große Stadt mit sozusagen verjüngten Pferden
zurückkomme, getraute sich niemand — überhaupt
umgab den wortkargen Galan des Städtleins
eine Art von Sperrkreis, der zwar nicht
etwa schroff abweisend, aber doch unverletzbaren
Respekt erheischend wirkte.

Viel Gemunkel umspann die Namen der Doktorsgäule
, die immer von Paar zu Paar die gleichen
blieben: Danae und Daphne. Man hätte
diese Namen nicht erfahren, wären sie nicht auf
kleinen, kunstvoll geschnitzten und geschriebenen
Schildern über den Krippen zu lesen gewesen
. Laut sprach sie niemand aus — Handwerker
, die im blitzsauberen Stall des Arztes zu tun
hatten, lasen sie mit Scheu und sprachen nur
flüsternd von ihnen.

Es handle sich um Frauengestalten aus der
Sagenwelt der vorchristlichen Zeit, hatte vor
Jahren einmal einer der Herren Lehrer, nach
den „gespäßigen" Namen gefragt, gewichtig erklärt
. Mit dieser Weisheit mußte man sich zufrieden
geben. Nur die voir allem nicht mehr
heurige Weiblichkeit unterhielt sich in den ehedem
so beliebten Kaffeekränzchen über „Danae"
und „Daphne", Spekulationen darüber anstellend,
ob sich hinter den so merkwürdigen, sonst völlig
ungebräuchlichen Pferdenamen vielleicht Erinnerungen
an Erlebnisse des jungen Herrn Doktors
verbergen könnten. Wenn schon für den Medizinalrat
das „andere Geschlecht" nur als Gegenstand
seiner ärztlichen Tätigkeit eine Rolle
spielte — wer mochte sagen, ob nicht Enttäuschungen
aus der Studien- und Assistentenzeit
zur Wahl dieser doch höchst seltsamen Taufbezeichnungen
geführt haben mochten? Eben auf
jenen Lehrer, der den Schleier über diese Namensgebung
, die ja von Paar zu Paar Füchse
immer die gleiche blieb, ein wenig zu lüften vermocht
hatte, gingen auch Andeutungen über die
„heidnischen" Figuren zurück, die Waldemar
Waldbauer doch offenbar irgendwie etwas bedeuteten
.

Daphne, so hatte der Schulmann behauptet,
sei eine der sogenannten Nymphen — bisweilen
nicht gerade tugendhaften Jungfrauen — gewesen
, die sich, selbst freilich sittsam, den wenig
anständigen Nachstellungen des Gottes Apollo zu
entziehen getrachtet habe und auf ihr Flehen
in einen Lorbeerbaum verwandelt worden sei.
Daphne heiße botanisch, so war von dem Herrn
Magister noch zu erfahren, auch der Seidelbast,
der ganz früh, wenn es dem Lenz zugehe, noch
vor der Belaubung die Knospen öffne und dessen
kleine rötlich-violetten Blütchen betäubend
dufteten.

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