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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1966-03/0007
Ja, und mit der Danae — die kaffeeverschwo-
renen, höchst eifervoll mit den Stricknadeln
klappernden, wissensdurstigen, durchweg würdevollen
„besseren Damen" von Altenhausen sprachen
von der Akrisiostochter nicht etwa von der
„Danä", sondern, wie es sich gehört, von der
Danae — hatte es auch sein nicht alltägliches
Bewenden. Genau allerdings war selbst der Herr
Lehrer nicht unterrichtet. Was er erzählte, hörte
sich mehr als unglaubhaft an. Zeus, der Götter
höchster Gebieter, soll sich in goldene Regentropfen
verflüchtigt und dergestalt die entzük-
kende Danae in einem Kerkerverließ besucht
haben, in dem der eigene Vater sie gefangen
hielt, um vor einem Enkel verschont zu bleiben,
der, einem Orakelspruch zufolge, bestimmt sein
sollte, ihr Mörder zu werden. Daß Danae dem
Regent auf dem Olymp wirklich ein Knäblein
gebar, das dann später nach einem verzwickt verlaufenen
Leben den Großvater, freilich ohne es
zu wollen, tötete, das hörte sich, wie gesagt, nicht
nur höchst unvorstellbar an, sondern entflammte
auf den damals noch ungeschminkten Wangen
der Altenhauser Honoratiorinnen auch die Röte
verlegener Scham— man flüsterte sich die delikate
, amouröse Geschichte vom gesegneten goldenen
Regen nur ganz leise zu...

Der überreichen, phantasiebeschwingten Erfindungslust
, die den Figuren der klassischen
Mythologie, denen die Doktorsgäule ihre schönen
Namen verdankten, so viel bestrickenden Zauber
verlieh, blieb die behende Fabulierlust der ehrsamen
Landstädterinnen nichts schuldig. Zwar
nahm man gebührenden Anstoß an den moralisch
so wenig einwandfreien Liebesaffären der
griechischen Götter — aber die Zwielichtigkeit
der Sagen um Danae und Daphne, nach denen
der Arzt seine Füchse benannte, minderte nicht
im geringsten die Empfindungen der Dankbarkeit
und Verehrung, die sie ihm entgegenbrachten
. Hatte er sich doch hingebend bemüht, ihnen
und ihren Kindern den Eintritt ins Leben zu
erleichtern. Mochte der Medizinalrat vom Liebesgott
vielleicht genarrt worden sein, wer weiß,
gar eine fragwürdige Vergangenheit hinter sich
haben — es hätte in den ersten zwanzig Jahren
seiner Tätigkeit im Städtlein wohl kaum eine
begehrenswerte Altenhauserin gegeben, die Waldemar
Waldbauer als Freier einen Korb gegeben
haben würde. Zum uneingeschränkten Vertrauen
in seine ärztliche Kunst gesellte sich eh und je
auch die Bewunderung für sein nobles Menschentum
. Wie oft bekam ein Ehemann zu hören
, er könne sich vom Kavaliertum des Herrn
Medizinalrats allerlei abschneiden . . .

Die vom zunehmenden Alter scheinbar unangreifbare
Rüstigkeit des Arztes und Geburts-
helfeirs Dr. Waldemar Waldbauer hielt unvermindert
auch ins reifere Alter hinein durch. Sie
schien selbst um die Achtzig ungebrochen. Eines
Tages aber entschloß sich der Medizinalrat, einen
jungen Medicus sich zu attachieren. Sie fuhren
selbander zu den Patienten — die Zügel allerdings
gab der alte Hetrr nicht aus den Händen.
Die Füchse vor der altmodischen Kutsche des
mehr und mehr einem Patriarchen mit noch vollem
, welligem, silberfarbigem Haupthaar gleichenden
Medizinalrats befanden sich erst kurze
Zeit in seinem Besitz, waren also noch flotte
Traber. Der ärztliche Gehilfe schaute bisweilen
aus recht angstvollen Augen, wenn die weitausholenden
Pferde eine Kurve, zumal auf schmalem
Landsträßlein draußen vor dem Städtlein,
in kühnem Schwung nahmen. Als der im allgemeinen
nicht gesprächige Jungarzt einmal die
Sorgfalt zu rühmen begann, mit der vom' Medizinalrat
die in Schweiß geratenen Füchse abgerieben
und, obwohl es sich nur um einen nicht
sehr langen Aufenthalt in einem Bauernhof handelte
, ausgespannt und in der Scheune eingestellt
wurden, vernahm er aus dem Munde des
Belobten, es handele sich bei diesen Verrichtungen
„wirklich und wahrhaftig nur um eine bare
Selbstverständlichkeit".

Der 80. Geburtstag Waldemar Waldbauers, von
ihm selbst wie ein Geheimnis gehütet, rückte
heran. Da erschien an einem Abend, als der
Medizinalrat eben heimgekehrt war von seinen
Krankenbesuchen, der Bürgermeister, um den
„allverehrten Herrn Jubilar" zu einer Feier ins
Rathaus einzuladen, die seinem Festtag gelten
solle. Waldemar Waldbauer fuhr sich mit beiden
Händen über die Haare, die sich aufrichten zu
wollen schienen, und sagte: „Wenn ich meine
letzten Füchse noch hätte, die vor kurzem erst
von zwei neuen abgelöst wurden, die hätten verdient
, mit hohen Ehren bedacht zu werden — sie
haben fast ein Vierteljahrhundert mein Kütsch-
lein und mich alten Äskulapdiener herumgefahren
— aber die sind schon im Roßhimmel —
nehmen Sie's nicht übel, aber der Waldbauer
hat kein Talent, sich feiern zu lassen". Diese
kurze Rede ließ keinen Zweifel daran aufkommen
, daß jeder Einwand gegen die zwair in höflichem
Ton vorgebrachte, aber bestimmt lautende
originelle Ablehnung nutzlos gewesen wäre.

Dann freilich geschah etwas noch beträchtlich
Eigenartigeres. Einen Tag vor der Vollendung
des achtzigsten Geburtstages fand die Magd
Apollonia ihren Herrn tot in seinem Bett — ein
friedlicher, fast heiterer Zug verklärte das
gebräunte Antlitz, über das wie eine sanft gebauschte
Welle das weiße Haar hereinfiel. Waldemar
Waldbauer hatte am Abend, nach einem
ländlichen Vesper, wie es ihm die alte Magd zu
Dank aufwartete, zwei, drei Kelche von einem
goldgelben Markgräfler — man trank den Gutedel
zu jener Zeit erst etwa im fünften Jahr,
nachdem er gelesen und getrottet war — getrunken
, dann der Apollonia in die Küche wie allabendlich
„Gutnacht, treue Seel'!" zugerufen und
sich niedergelegt, um nicht mehr aufzustehen.

Die Trauer ob dem bestürzend unerwarteten
Tod des Medizinalrats legte sich wie eine tiefblauschwarze
, geheimnisvolle Wolke über das
Städtlein. Wer auf seine Beine sich noch verlassen
konnte, erschien zum Begräbnis des „gefällten
Riesen", als der vielen der so plötzlich Abgerufene
erscheinen wollte. Die gute Apollonia
hatte dem Totengräber, der in Altenhausen
auch die Leichenzüge zu betreuen pflegte, den
Vorschlag gemacht, die Doktorsgäule vor den

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