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Dr. Robert Feger, Freiburg:
jözv unbekannte f>ebel
Belchismus oder das All im Oberland
(Fortsetzung.)
Erzähler: Daß einer auf dem Belchen gewesen ist, empfiehlt
ihn also den Freunden. Zu dem unverständlichen
Wort „Buseröri" befrägt man am besten Hebels Briefe,
in denen es häufig vorkommt, zunächst aber das „Wörterbuch
des Belchismus". Hier liest man zu besagtem
Wort die Bedeutung ab: Blume. Etwas wenig zur Erklärung
, wo es doch später, in einem Brief an Hitzig vom
20. Februar 1805, wo von der. neuen Flora Badensis die
Rede ist, genauer heißt:
Hebel: . . . ich habe in der Vorrede den Verfasser vermocht
, eine neue Species von Gnaphalium (Buseröri), die
der Altar trägt, mit dem Namen Gnaphalium Protei in
der Botanik einzuführen...
Sprecher: Das Pflänzchen, dem Hebel gern den Namen
des Proteus beigeschmuggelt hätte, heißt offiziejl Gnaphalium
dioicum, zu deutsch Katzenpfötchen, weiß oder
rotes Mausöhrlein, — aber auch Belchenröslein, immerhin.
Erzähler: Daß ihm der Belchen als Berg und Symbol
über alles geht, verschweigt Hebel auch im Brief gespräch
mit Freunden nicht, die nicht zum Proteuserbund gehören
. An die Freundin Gustave Fecht schreibt Hebel zu
Weihnachten 1795:
Hebel: ... Ist es wahr, daß die erste Station von der
Erde zum Himmel auf dem Belchen ist und die zweite
tim Mond und die dritte auf dem Morgenstern und daß
dort alle acht Tage ein Komet als Postwagen ankommt
und die angelangten Fremdlinge von aller Welt Ende ins
himmlische Jerusalem zur ewigen Heimat fährt? ...
Erzähler: Der Belchen als Ruhepunkt auf der Wanderung
der Seele nach Haus in den Himmel? So launig der
Brief geschrieben ist, er offenbart in diesem Vergleich
doch zweierlei: Die Tiefe von Hebels Heimweh nach dem
Oberland — und seinen ebenfalls aus dem Gefühl der
Heimatlosigkeit entsprungenen Wunsch nach Heimkehr
ins kosmische All, als dessen Bild und Gleichnis er längst
Belchen und Proteus verwendet, — wenngleich er der
Freundin gegenüber die naive Sprache der Kindheitsfrömmigkeit
beibehält, an die er die Freundin noch
gewöhnt weiß.
Sprecher: Halb zwischen Proteuser-Geheimsprache und
neutralem, allgemeinverständlichem Vergleich steht, was
Hebel anno 1805, im April, an Freund Hitzig ins Oberland
schreibt. Er berichtet von einer Fahrt nach Straßburg
mit einer Besteigung des dortigen Münsterturms
mit diesen Worten:
Hebel: So war ich denn auf dem Belchen aller Kirchtürme
und hatte fast immer von einem wunderlichen
Sehnen angezogen das Auge im Süden. Aber der wahre
Belchen oder das Straßburger Münster aller Berge war
in proteische Dünste verhüllt... ,
Sprecher: Freund Hitzig mußte sofort verstehen, was
gemeint war: Der Belchen stand so erhaben über den
anderen Heimatbergen wie das Straßburger Münster
über den anderen Kirchen der Landschaft. Natur -
schöpfung und Kunstschöpfung hielten sich hier die
A/Vaage.
Erzähler: Solche Andeutungen mögen anzeigen, wie sehr
der Belchen dem Bewußtsein und der Denkweise Hebels
latent gegenwärtig war. Gelegentlich bricht denn auch
das Unterschwellige zur Oberfläche durch. So in einem
langen Brief vom September 1804 an Hitzig. Dieser Brief
berichtet Neues aus Theologenkreisen der Residenz, diskutiert
exegetische Fragen und formt sich schließlich zur
gereimten «Epistel, in der die dreizehn Jahre zurückliegenden
Erinnerungen an den Belchen und an das
Proteuserwesen ausblühen in einer Klage über das
Stagnieren des Briefwechsels und in einer Beschwörung
der ekstatischen Beichenwanderungen des Jahres 1791.
Bezeichnend, daß Hebel diesen gereimten Teil des Brie-
ies noch einmal mit einer Anrede des Freundes beginnt,
die den proteusischen Ordensnamen Hitzigs» verwendet:
Hebel:
O Zenoides!
Sag, sind wir denn beide so völlig verrostet,
und haben doch hybläischen Honig gekostet,
laufen in Prosa zu Fuß durch die Zeiten,
und könnten auf Jamben und Sechsfüßen reiten,
saufen des Wassers mit andern Millionen,
und lassen verschimmeln des Punsches Citronen?
In Steinebrunners Gestalten gewoben
haben uns des Proteus Engel umschwoben?
Wie? Sind wir auf dem Belchen gewesen,
und haben im großen Psalter gelesen?
Und als die Seustel den Augen entschwanden,
haben wir das Hallelujah verstanden,
das krachende Eichen und stürzende Tannen
dem Niegesehenen zu singen begannen?
Und schlagen noch knechtisch das Ruder und schwitzen,
statt im aetherischen Luftball zu sitzen
und unter des Himmels vergoldeten Nägeln
* im lieblichen Schwanken des Reimes zu segeln...
Erzähler: Hebel versucht — wenngleich zum Ende die
Selbstironie stark und ehrlich durchbricht — in dieser
Versepistel das Belchenerlebnis der Freunde ins Gedächtnis
zurückzurufen, sich sowohl wie dem Freund. Was
liegt näher, als daß er die Geheimworte des Proteüser-
bundes einschließen läßt? Und schließlich in dem proteusischen
Segenswunsch endet:
Hebel:
Lebe wohl, o Proteuser! Der Urgeist umgeb dich!
Das Lispeln der heiligen Buchen umschweb dich!
Die Reinheit des Aethers vom Belchen durchbeb dich!...
Erzähler: Proteusersegen und Prbteuserworte, unterzeichnet
mit dem Zeichen des Proteus, jenem griechischen
Pi bzw. P, dessen zwei Abstriche jedoch zu drei
Strichen erweitert sind. Ist der Segenswunsch verständlich
, so bedürfen einige Geheimworte der Deutung. Nicht
etwa, das Wort: Hybläischer Honig, den es rührt einfach
aus dem Vertrautsein mit der altl^lassischen Literatur
her; dort ist —
Sprecher: — Hybla, ein Berg auf Sizilien, ein von Honigbienen
besonders bevorzugter Ort, bevorzugt wegen
der würzigen Kräuter, die dort wachsen. Möglich, daß
der Belchen mit jenem Berg Hybla verglichen werden
soll, den die Dichter besangen?
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