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Dr. Robert Feger, Freiburg:
jbtn unbekannte Lfybel
Belchismus oder das All im Oberland
(Fortsetzung.)
Erzähler: Der Öffentlichkeit ist der Hymnus Ekstase
erst zugänglich seit 1940. Damals hat ihn Hans Gerhard
Oeftering publiziert. Noch Längin hatte ihn bei der Sich-r
tung der Hebelhandschriften unter „Wertloses" abgelegt.
Es scheint nützlich, diese erste Dichtung Hebels selbst
sprechen zu lassen. Wer einen Einblick in das Proteuser-
tum und in das Wörterbuch des Belchismus genommen
hat, wird die meisten der Verschlüsselungen ohne weiteres
aufzulösen vermögen. Der Hymnus beginnt mit
akustischen und elementaren Wahrnehmungen:
Hebel: Ekstase.
Es säuselt und säuselt, — was säuselt so mild?
Es sauset und brauset, — was tobet so wild?
Wie wehender Morgenhauch flüstert
in Frühlings blumigem Haar,
wie steigendes Flämmchen erknistert
auf Proteus' goldnem Altar,
so flüstert's, so knistert's . . .
Und wie in schwarzer Wetternacht
von Pol zu Pol der Donner rast,
und in die Elementen-Schlacht
der wilde Sturm zum Angriff blast,
mit Blitz und Flammen spielt er,
im Feuermeere wühlt er,
der Ozean wogt um ihn her,
die Erde bebt und ächzet schwer,
so saust es, so braust es
von allen Seiten umher.
Horch, horch!
Wie's jetzt Wispelt! Wie's jetzt brauset
und wie's sauset! Und wie's lispelt
von allen Seiten umher!
Das Sausen immer ferner,
das Säuseln immer näh'r.
Immer näher, — immer süßer, — immer leiser —
fast unhörbar, — jetzt verloren
in heiliges Schweigen . . .
Erzähler: Nun hat der Dichter sich seherisch eingestimmt
in die Natur. Aus dem leisen Atem der Welt ist er weggeführt
in die heilige, schweigende Stille des Nichts, in
Zustand und Zeit vor Erschaffung der Welt:
Hebel:
So war's, als aus des Geinets Schooß
aufgärend die Materie floß,
als kein Atom den andern rieb,
kein Wassertropfen den andern trieb
in seinem allgemeinen Schooß ...
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Erzähler: Geinet ist der Geist, der Urgeist, Proteus. Der
Dichter fühlt sich ihm jetzt nahe:
Hebel:
Ha, er ist es! — er umschwebt mich.
Belchisches Gefühl belebt mich . . .
Erzähler: In der Mitte der nächsten Zeile .steht nur das
Zeichen für Proteus, jenes auch in Hebels Briefen an
Hitzig oft wiederkehrende griechische Pi mit drei senkrechten
Strichen statt mit zwei. Die Nähe des großen
Geistes wirkt sich alsbald aus:
Hebel:
Schein des Tages, wo fliehst du hin?
Zur Mittagsstunde, Wohin? Wohin?
Wie bleichet und weichet dein freundlicher Blick?
Fühlst du den Nahen?
Bebst du dem Großen?
Weichst du dem Starken
in ferne nächtliche Hallen zurück?
Wie von des Todes proteischem Hauch
schön Mädchen rot erbleichet, —
wie leichter, luftiger, wehender Rauch
dem stürmenden Nordwinde weichet,
so bleichst du und weichst du
in deine Hallen zurück.
Ha! Wie's düstert, — und wie's dämmert,
und wie's dunkelt, — und wie's finstert
vor meinem erbebenden Blick . . .
Erzähler: Noch einmal vergleicht der Dichter den durch
des Proteus Nahen herbeigeführten Zustand mit dem
Zustand vor der Welterschaffung. Wie im ersten Gedankengang
— man kann auch von Strophe sprechen —
jedes Geräusch aus der Welt schwand, so im zweiten
Gedankengang jedes Licht. Der Begriff des Nichts wird
so auch vom Optischen her mythisch vorgestellt:
Hebel:
So war's, als aus des Geinets Schooß
aufdämmernd sich das Licht' ergoß,
kein Äthertropfen den andern trieb,
kein Lichtstrahl sich am andern rieb
in seinem allgemeinen Schooß.
Erzähler: Noch einmal wirkt sich die Nähe des Urgeistes
aus, diesmal noch stärker als das erste Mal:
Hebel:
Ha! Er ist es! Er umschwebt mich!
Seiner Nähe Schauer durchbebt mich.
Proteus!
Fall ich? Steh ich? Leb ich?
Ha, wie wankt es,
furchtbar schwankt es.
Fall ich? Steh ich? Schweb ich?
Mir unterm Fuße bricht's.
O weh! Die Erde sinkt hinab, —
mir unterm Fuß hinab — hinab:
Ich häng im ewigen Nichts!
Erzähler: Der Dichter hat in seinem Schauen des Kosmos
den eigenen t festen Standort verloren. Er hat die
Schöpfung der vier Urelemente Erde und Wasser, Luft
und Licht, retrospektiv miterlebt, aber nun hat sein
Fuß jeden Halt verloren. Oeftering hat diesen Zustand
verglichen mit jenem in den Schlußstrophen von Goethes
Ganymed beschriebenen. Fühlt sich Ganymed emporgezogen
, so Hebel in der Verlorenheit des All-Raumes
von Proteus gehalten:
Hebel:
Ha, er ist es! Er umschwebt mich!
Seine starke Rechte hebt mich!
Erzähler: Nun folgt ein stammelnder Preis des Urgeistes.
In das Preislied verwoben sind Rejektionen über das
Nichts, d.h. über das Wesen des Proteus:
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