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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1966-06/0005
Hebel:

Sieh, freudiges Entzücken wallt

durchs Geistermeer! Der Umkreis schallt:

Zenoides! Zenoides! ...

Wir kennen ihn, auserlesen

hast du ihn Geinet im Erdenland,

heiß glühet durch sein Wesen

der unauslöschlichen Weihe Brand.

Wir lieben in Herzensreinheit

den Unsrigen im fernen Land,

uns knüpft in Geisteseinheit

der unauflöslichen Weihe Band.

Wir ehren den Hochgeprüften,

den Oberproteuser im fernen Land,

stolz rauscht um seine Hüften

urelementarisches Priestergewand.

Zur Heimat der Protäer

aus dem Exil des Erdenlichts

Führst du ihn einst uns näher,

Geist niegesehenen Angesichts,

zu deinem ewigen Freudenmahl.

Erzähler: Nun dröhnt wieder wie zu Beginn des Cose-
felicet die große Stimme. Diesmal ruft sie zur Beendigung
der Feier, und sogleich beginnt sich der ekstatische
Zustand des Dichters zu lösen; wie er zu Beginn des
Hymnus ins Nichts entrückt wurde, so kehrt er nun aus
den Tiefen oder Höhen des Raumes in die Erdenwirklichkeit
zurück:

Hebel:

Es drängt mich, es hängt sich, was drängt mich so sehr?

Was lastet mein geistiges Me on so schwer?

Wie in des Himmels lasurener Höh

sich's mählig zu Wolken verdichtet,

wie tief im Schooße der flutenden See

sich steigend ein Flötzgebirg schichtet —

hoch hebt sich sein kalchigter Kücken heran —

so dichtet und schichtet
sich's furchtbar meinem Me on an.
Es stockt sich zur Masse, es strecken sich Glieder,
o weh mir, ich fasse und greife mich wieder!
Nun schlinget sich Fiber an Fiber an,
allmählich abwärts wall ich
und immer schneller fall ich,
als sollt ich stürzende Blitze fahn.
Matt schwankt des zischenden Pfeiles Gang,
in einem blitzenden Augenblick
leg ich 6000 Nächte zurück
das nimmer endende Nichts entlang . . .

Erzähler: Noch ist die stürzende Fahrt nicht zu Ende;
noch stürzt der Visionär jenseits der Sterne erdenwärts
auf diese zu:

Hebel:

Weh mir, die himmlischen Lichter nahn,

Es wallet mir stinkender Äther empor,

der stinkende Äther umwallet mich,

er stöhnet und dröhnet mir fürchterlich

wie schlagender Donner auf Donner ins Ohr.

Ich fall ihm entgegen. Mir bebet der Mut,

ich rücke ins Chaos der Wesen hinein.

Der Milchstraße äußerstes Tröpfelein

strömt über und dehnt sich zur wallenden Flut,

rasch gleit ich schon an den Pleiaden hinab,

rasch an des Orions umgürtetem Degen,

durchs Luftmeer mit flammenden Inseln besät

fern an den umgebenden Ufern weht

mir mancher Proteuser den Willkomm entgegen.

Erzähler: Es läßt sich an der ganzen Anlage des Gedichts
, aber an dieser Stelle besonders, nicht übersehen,
daß sich in Gedankengang und Formulierung Anklänge
finden an frühe Gedichte Friedrich Schillers. Etwa und
vor allem an „Die Größe der Welt", 1781 geschrieben,—
an „Die Herrlichkeit der Schöpfung", geschrieben wohl
1780, und an Stellen an anderen Gedichten. Hat Hebel
diese Gedichte gekannt? Vielleicht. Wenn ja, hat er die
Anregungen doch selbständig verarbeitet/ Wenn nein,
ist einmal mehr gezeigt, daß Hebel mit seinen Proteuser-
schwärmereien sich nicht allzuweit von den mystischen
und kosmologischen Gedankenbahnen seines Zeitalters
entfernt. — Doch verfolgen wir die Rückkehr des Dichters
aus der mystischen Schau in die Wirklichkeit bis zu
ihrem Ende weiter. Eben war die Rede, daß die Fahrt
an proteusischen Geistern vorübergeht. Einer wird hier
benannt:

Hebel:

Ein unerkannter Proteuser
— der Mann im Mond — haut Reiser;
t doch strömet mir sein Segen . . .

Erzähler: Vom Mond ab ist es nicht mehr weit zum
Belchen und nach Lörrach, das als „Proteusstadt" bezeichnet
wird. Dorthin, wo der Freund ist, treibt es den
Dichter, aber —:

Hebel:

v Hoch wall ich über des Belchen Haupt,
Fern schau ich die ^eilige Proteusstadt.
Doch wehe, ein mächtiger Südwind schnaubt
mich nordwärts wie ein Espenblatt.
Ich strecke sehnend die Arme hin
nach dir o lieber Zenoides;
ich stemme mich mächtig. Umsonst. Ich bin '
gelandet und küsse — den Pylades.

Erzähler: Nordwärts vom Belchen endet tler Flug. In
Karlsruhe also, und der Dichter ist allein. Der Kuß an
Pylades, den Freund, ist als BriefscMuß gedacht. Mit
ihm ist der Hymnus erst zu Ende, denn für den Freund
als Freund und als Symbol des heimatlichen Oberlandes
wurde er geschrieben. Als Gruß zurück nach dem Oberland
und in die dort verbrachte Zeit hinein, — als Gruß
an das Lörracher freundschaftliche Schwärmen,* — als
verschleierter und mit Ironismen durchsetzter Bericht
von ganz unorthodoxen, konfessionell gesehen abseitigen,
antik-heidnischen und aufklärerisch-logenhaften kosmologischen
Vorstellungen. Gerade das Letztere ist es, was
zu beachten notwendig ist. Denn eine solche Mythisie-
rung der Naturkräfte, wie sie der Hymnus „Ekstase"
allenthalben offenbart, wird später, in den nächsten
zehn Jahren, die entstehenden Alemannischen Gedichte
ungleich deutlicher und* stärker durchziehen.,, In den
Alemannischen Gedichten, die genau zehn Jahre nach
der Niederschrift des Hymnus in Karlsruhe als Buch
erscheinen, wird Hebels dichterische Sprachkraft größer
als im Hymnus sein, seine Fähigkeit zur Darstellung des
Gemeinten ungleich stärker. Er wird dort auf das visionäre
Schauen verzichten und das Zu-Sagende sagen, inr
dem er an schlichte Dinge der Heimatwelt anknüpft und
das eigentlich Gemeinte hinter Bildern verbirgt. Ganz
anders als im Hymnus, wo er noch jugendlich-stürmisch
in direkter Aussage logistisch das Unsagbare beschwören
wollte. In den Alemannischen Gedichten wird Hebel
aber auch alles Proteusisch - Schwärmende abgelegt ha-

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