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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1966-07/0004
Dr. Robert Feger, Freiburg:

Äer unbekannte f>ebel III:

Johann #etec f)ebel unb feine Meinung ju floüfiF unb ?eftgefdjetjen

Sprecher: Johann Peter Hebel und die Politik, ist das
ein Thema, über das gesprochen werden muß? Gibt es
Unklarheiten in dieser Hinsicht? Es gibt sie — und es
gibt mehr Unklarheiten in diesem Punkt als nötig wäre.
Und es gibt nicht nur Unklarheiten, sondern schlimme
Unrichtigkeiten in den Urteilen über Johann Peter Hebel
und seine Einstellung zur Politik und zu dem historischen
Geschehen seiner Epoche. Es ist dabei noch nicht
einmal das schlimmste Fehlurteil, wenn man ihn als
politischen Ofenhocker abtut oder ihm höchstens, wie
das Theodor Heuss getan hat, —

Leser: — die seelisch unbeteiligte Tatsachenneugier eines
Chronisten —

Sprecher: — zugesteht. Ernster zu nehmen ist, wenn ihn
v. Grolmann im Jahre 1935 als Patrioten im Sinne jener
Hebelzeitgenössischen Publizisten zu retten sucht, die
Hebel selbst präzis genug und an nicht zu verdächtigender
Briefstelle als —

Hebel:

Maul- und Federdeutsche —

Sprecher: — bezeichnet hat. Von Grolmann meint, das
Vaterländische, das Politische liege bei Hebel versteckt,
mehr in Zwischentönen angedeutet. Und weshalb dies?
Angeblich aus purem Utilitarismus, der sich nicht mit
Napoleon anlegen wollte. Das einzelstehende —

Hebel: Patriotische Mahnwort; an den Vetter —

Sprecher: — wird denn auch als Hebels großartigstes
Bekenntnis angesehen und damit völlig verkannt. Und
zu einem ganz apodiktischen, im Sprachgebrauch des
Dritten Reiches formulierten Urteil kam im Jahre 1937
Andreas Heusler in seiner Freiburger Hebelrede; Heus-
ler charakterisierte dort die souveräne, unbeeinflußbare
Haltung von Goethe und Hebel in politischen Fragen
wegwerfend so:

Leser: Beiden fehlt das völkische Ehrgefühl — oder
erwacht erst spät, als die Masse sie mitreißt . . .

Sprecher: — und glaubt zur Entschuldigung beifügen zu
müssen:

Leser: Das erklärt sich aus den Zeitläuften, mehr noch
aus dem Dichtergemüt.

Sprecher: Dergleichen Meinungen kann man auch heute
noch antreffen. Und sie resultieren nicht einmal aus dem
Dritten Reich, sondern gemeinsam mit dessen Ideologie
aus dem preußischen Imperialismus bzw. dem Alldeutschtum
der vorwilhelminischen Epoche und vor
allem des wilhelminischen Kaiserreichs. Stößt man nämlich
über den Hebelbiographen Georg Längin — sein
Lebensbild Hebels erschien anno 1875, also zu einer Zeit,
als die nationalistischen Wogen besonders hochgingen
und Deutschland — nach einem Wort des Historikers
von Srbik „in Preußen untergegangen war" —, stößt
man also über Längins sonst sehr schönes Lebensbild
Hebels weiter zurück, so trifft man auf Friedrich Giehne,
der zuvor schon geschrieben hatte:

Leser: Es wäre vergebliche Mühe, die politische Schwäche
des Hausfreunds übertünchen zu wollen; man kann nur
sagen, daß er nicht besser war als seine Zeit. Unterwürfige
Hingebung an das Ausland, erbschleichendes
Buhlen um Vergrößerung auf Kosten der Mitstände,

Achselträgerei und Charakterlosigkeit aller Art hatten
sich schon als Errungenschaften des Dreißigjährigen Krieges
festgestellt. Auch die schlimmste Folgezeit tat nichts
anderes, als daß sie auf der abschüssigen Bahn weiterschritt
... Inmitten dieser Strömung stand Hebel, und
er war nicht stark genug, ihr zu widerstehen...

Sprecher So Giehne im Jahre 1858. Und nach ihm noch
viele andere greifen Hebel in ähnlicher Weise als völkisch
und national unzuverlässig und ehrvergessen an.
Oder glauben ihn entschuldigen zu müssen. Hebel, der
vernünftigste, maßvollste, ehrlichste Geist am Oberrhein
in seinem Zeitalter, wird aus verengtem Blick zensiert,
gerügt, entschuldigt! Welche Geschmacklosigkeit in politischer
und welche Fehlleistung in historischer Hinsicht!
Und welche Unkenntnis Hebels und seiner Schriften insgesamt
! Lassen wir das Letztere einstweilen auf sich
beruhen: Es wird noch Gelegenheit sein, Hebels wahres
Bild von Politik und Geschichte aus seinen Äußerungen
selbst zu gewinnen. Schwer wiegt die historiographische
Fehlleistung, der solche Beurteilung Hebels entspringt.
Sie verstößt gegen das oberste Gesetz historischen Denkens
, das lautet, ein historisches Ereignis sei aus der
Situation seiner eigenen Zeit zu erklären und dürfe
nicht von einem späteren, viel späteren Standpunkt aus
beurteilt werden. Für diesen späteren Standpunkt, genommen
in der hurraschreienden Herzmitte des Reiches
der Wilhelme, ist bezeichnend, was man Hebel vorwirft.
Auf zwei Nenner gebracht ist es dies: Daß er einmal
in Napoleon nicht unbedingt den erklärten Erbfeind
Deutschlands sehen wollte und konnte, — und daß er
zum zweiten im Preußentum nicht das Ideal des Deutschen
und in der alles überdeckenden preußischen Pickelhaube
nicht das erstrebenswerte'Lebensziel für die deutschen
Staaten erblickte. Längin gibt hinsichtlich des
letzten Punktes auch ganz offen zu:

Leser: Eine für unser heutiges Gefühl —

Sprecher: — d. h. für das Gefühl eines preußenhörigen
Badeners vom Jahre 1875 —

Leser: — eine für unser heutiges Gefühl anstößige Tendenz
verfolgen eine Anzahl Erzählungen (Hebels), in die
sich eine starke Abneigung gegen Preußen ausspricht.
Nicht bloß, daß Hebel in der Beschreibung der Weltbegebenheiten
, z. B. des preußischen Krieges von 1806,
die Auffassung gibt, wie sie wohl im Süden herrschend
war, welche Preußen als die Ursache und den Anstifter
des Krieges darstellte, sondern er schildert die Preußen
selbst durchschnittlich als Spitzbuben und Barbaren,
während die Franzosen, die Österreicher und die Rheinbundtruppen
von Edelmut und Großsinnigkeit überfließen
...

Sprecher: Abgesehen davon, daß das unrichtig ist, denn
Hebel rühmt in der Erzählung „König Friedrich und sein
Nachbar" auch ein Preußenkönig —, konnte ein Badener
des Jahres 1875 desgleichen natürlich nicht ungerügt
zulassen, denn das Großherzogtum ist damals politisch
völlig im Schlepptau Preußens, die Großherzogin ist eine
preußische Prinzessin, der Großherzog als der Schwiegersohn
Preußens hatte in Versailles das erste Hoch auf
Wilhelm von Preußen ausbringen müssen, und kein
Mensch durfte mehr offiziell davon sprechen, mit wel-

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