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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1966-07/0005
eher Roheit preußische Truppen während der 48er Revolution
sich in Baden aufgespielt hatten. Es kann nicht
wohl anders bezeichnet werden denn als geschmacklos,
aus einer solchen Situation heraus aus Liebedienerei gegen
Preußen einem Johann Peter Hebel sein eigenständiges
Urteil über geschichtliche Vorgänge vorzuhalten.
Zur offiziellen Liebedienerei vor Preußen im Großherzogtum
Baden während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
gehörte nun aber auch zwangsläufig die Ablehnung
Frankreichs, — vor allem nachdem Preußen im
Zuge des deutsch-französischen Krieges die Oberherrschaft
über die deutschen Staaten hatte an sich reißen
können und seine Politik von Blut und Eisen von keinem
Deutschen mehr bekrittelt werden durfte. Folgerichtig
mußte man auch alle Äußerungen Hebels tadeln,
die Frankreich, den Franzosen und Napoleon aus der
Sicht eines oberrheinischen aufrechten Mannes in den
Jahren um 1800 auch nur Gerechtigkeit widerfahren lassen
wollten! Und vor allem mußte man Hebel selbst
tadeln, um die eigene nationale Zuverlässigkeit der späten
Lobredner der deutschen Einigung ins rechte Licht
zu rücken. Und manche glauben auch heute noch, Hebel
deswegen tadeln zu müssen. Hätten sie alles gelesen,
was Hebel über Krieg und Frieden und Staat, über
Frankreich und die Deutschen geschrieben hat, würden
sie sein gerechtes und durchaus nicht einseitiges Urteil
bewundern müssen. Sie müßten auch anerkennen, daß
Hebel seine Haltung der Politik und der Zeitgeschichte
gegenüber nicht von Opportunität bestimmt sein läßt,
sondern von seiner Uberzeugung. Sie müßten Hebels
Objektivität zugeben und bewundern. Bevor wir Hebels
Äußerungen durchmustern, um dies zu erhärten, werfe
man jedoch einen Blick auf die politische Situation jener
Jahre am Oberrhein. Man tue es besonders auch deswegen
, weil Hebels Haltung dieser Situation gegenüber
eigentlich umso höher gewertet werden müßte. Wie also
sah es in Baden zu Hebels und Napoleons Zeiten aus?

Leser: Seit dem Pariser Frieden von 1796 mindestens
hatte Baden gute Beziehungen zu Frankreich gesucht;
das Baden des Jahres 1803 war praktisch eine Schöpfung
Napoleons, konnte als Rheinbundstaat keine eigene politische
Linie einhalten und mußte sich Napoleons Gunst
zu erhalten suchen; und schließlich war Großherzog Karl,
der von 1811 bis 1818 regierte, mit Stefanie Beauharnais
vermählt...

Sprecher: Dies die Situation. Und wo finden sich Hebels
hier interessierende Urteile, Berichte und Äußerungen?
Einmal im Rheinländischen Hausfreund, den er von 1806
bis 1814 und noch einmal 1819 schrieb und redigierte,
und dort sowohl in den Erzählungen wie in den Glossen
über die Zeitgeschichte, den Weltbegebenheiten. Zweitens
in den Alemannischen Gedichten und Liedern. Drittens
in den Briefen. Und viertens in dem vielzitierten
und selten verstandenen politischen Mahnwort an den
Vetter. Befragen wir alle diese Zeugnisse aus Hebels
Hand, zunächst nach seinem Verhältnis zu Frankreich
und allem Französischen:

Leser: Hier fällt auf, daß Hebel nur individuell-ethische
Wertungen kennt, keine politischen. Daß ihm nie politische
Schlagworte oder Ressentiments den Blick für
das elementar Menschliche verstellen. Seine gelassene
Menschlichkeit faßte das Französische auf als etwas ganz
anderes wie das Wesen des eigenen Volkes, aber ebenso
Wertvolles, — als etwas Fremdes, aber doch durch die
geographische Nähe dem alemannischen Volkstum als

Aufgabe gesetztes Nachbarliches, — als eine andere
Spielart der Menschennatur, der aber ebenso menschlich
entgegenzutreten war wie jener des eigenen Volkstums.
Er ist loyal dem französischen Staat und seinen Bürgern
gegenüber, ohne jedoch sich und dem eigenen deutschen
Volksgefühl etwas zu vergeben. Dies tritt ganz rein hervor
in seinen Briefen an die Straßburger Freunde, wo
er Vergleiche zwischen der französischen und der deutschen
Sprache anstellt. So schreibt er im März 1804 —
man beachte das Datum; Napoleon greift eben nach der
Kaiserkrone — an Haufe nach Straßburg:

Hebel: Ich antwortete Ihnen in der Sprache, in welcher
Ihr Mutwillige mir geschrieben habt, wenn mir die
Muttersprache nicht geläufiger wäre und ehrlicher aussähe
. Das Letztere sage ich nicht aus Eingenommenheit
gegen die französische Sprache — wie undelikat wäre
dies, indem ich nach Frankreich und an französische
Bürger schreibe —, sondern w^il es nur mir etwas
Fremdes ist, zuverlässige und wohlwollende Gesinnungen
ausgedrückt zu sehen und wieder mitzuteilen. Ich
kenne sie als Mittel des freundschaftlichen Gedankenwechsels
nur aus Briefen, die in Zeitungen etc. gedruckt
zu lesen sind, und aus Reden und Gegenreden an öffentlichen
Orten, zwischen Personen, die fremd oder weitgereist
oder vornehm sind oder scheinen wollen, und da
ist es mir denn nicht zu verargen, wenn ich meine, es
lasse sich im Französischen nicht so gut wie im Deutr-
sehen unterscheiden, was von Herzen geht und was ein
Kompliment ist. Allein ich weiß gar wohl, daß ich Unrecht
habe. Es ist im Deutschen auch so. Man merkt's
den Worten nicht an, sondern man muß den Menschen
und seinen Charakter kennen ...

Sprecher: Soll man dergleichen mit Giehne „unterwürfige
Hingebung an das Ausland" nennen? Es wäre kaum
zu rechtfertigen. Noch weniger angesichts einer anderen
Stelle in einem Brief vom Frühjahr 1805 an Schneegans
nach Straßburg; Hebel zieht darin sein Alemannisch
samt dem zugrundeliegenden Volkstum der französischen
Sprache und dem sie tragenden Volkstum vor. Er
schreibt:

Hebel: Für Ihre Kinder... will ich eine gute Fürbitte
einlegen. Lehren Sie zuerst die angeborene Muttersprache
, und am liebsten im häuslichen und heimischen
Dialekt sprechen; mit der fremden ist's noch lange Zeit.
Der Charakter jedes Volkes, wie gediegen und körnig
oder wie abgeschliffen er sein mag, und sein Geist, wie
ruhig oder wie windig er sei, drückt sich lebendig in
seiner Sprache aus, die sich nach ihm gebildet hat, und
teilt sich unfehlbar in ihr mit. Wollen Sie Ihre Söhne
zu Franzosen machen, so ist nichts daran auszusetzen,
daß Sie sie im ersten Jahr des Lebens schon durch die
Sprache der Franzosen dazu einweihen. Sollen sie aber
an Herz und Sinn wie Vater und Mutter werden, so ist
das Französische nichts nutz dazu. Nichts für ungut,
wenn ich für jemand zu viel gesagt habe...

Sprecher: Hebel zeigt hier nicht nur auf die Verschiedenheit
zwischen französischem und alemannischem Wesens
, sondern er wertet auch sein eigenes Volkstum höher.
Aber es ist keine Rede davon, die Wertung nationalistisch
auszuschlachten; er nimmt am Ende des Briefes
die Rücksichtnahme auf das fremde Nationalempfinden
wieder auf. Eine solche Rücksichtnahme war den
Straßburgern gegenüber damals wohl angebracht, denn
die Straßburger der Hebelzeit fühlten sich als Franzosen
; man lese nur in Varnhagen von Enses Denkwürdig-

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