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keiten über die Stimmung im Elsaß anno 1816 nach! Be\
alledem ist dennoch nicht zu verkennen ein leises Bedauern
Hebels darüber, daß er die französische Sprache
nicht oder nicht gut spricht. Nicht nur diese Briefstellen,
sondern manche seiner Kalendergeschichten, die von
sprachlichen Mißverständnissen zwischen Franzosen und
Deutschen erzählen, berichten dies, zum Teil mit einer
gewissen Selbstironie. Die französische Hauptstadt ist
als Ort genannt, an dem Kultur und Zivilisation zu
Hause sind. Die Geschichte „Ein Wort gibt das andere"
beginnt so:
Hebel: Ein reicher Herr im Schwabenland schickte seinen
Sohn nach Paris, daß er solle Französisch lernen
und ein wenig gute Sitten ...
Sprecher: Und wollte man solche Kalenderäußerungen
als vom badischen Hof befohlen, oder als „litterature
engagee" ansehen, so würden dem wiederum unverfängliche
Briefstellen entgegenstehen, in denen sich Ähnliches
ausspricht. So bezeugt Hebel die gleiche, etwas
schmunzelnde Hochachtung vor Paris in einem Brief an
Gustave Fecht vom 20. Juli 1812, wo er begeistert von
Baden-Baden berichtet:
Hebel: Am Abend war ich am Ball, nur um das neue
Conversationshaus und die Einrichtung dort zu sehen.
Das ist alles, will nicht sagen fürstlich, aber pariserisch.
Sprecher: Und im gleichen Brief heißt es wenig später:
Hebel: Alle Erfrischungen werden von Parisern bereitet.
Deswegen versuche ich fast alle ...
Sprecher: Eines jedoch verachtete er an den Franzosen
aus innerster Seele: Die Greuel und die Unordnung der
französischen Revolution. Die wichtigste Aufgabe eines
Staates schien Hebel, daß er die Ordnung hüte, und als
wichtigste Aufgabe des Bürgers kam es ihm zeitlebens
vor, der gottgesetzten Obrigkeit zu gehorchen, — eine
immer wieder ausgesprochene Auffassung, die sich einerseits
auf lutherische Lehre gründet, andererseits aber
auch von Hebels geringer Herkunft mitverursacht ist.
Jedenfalls hält Hebel allen zerstörerischen Neuerungen
die überkommenen ständischen und staatlichen Ordnungsgrößen
entgegen. Noch nach der Zurückführung
des Königtums in Frankreich schreibt er in der Vorrede
zum Kalender für 1815 im Andenken an den Krieg und
die Not, die im Gefolge der Revolution über Europa
gekommen waren:
Hebel: Um das hätten die Franzosen nicht nötig gehabt,
einst vor allen Gemeindehäusern Freiheitsbäume und
Guillotinen aufzuschlagen ...
Sprecher: Überträgt sich die Abneigung gegen die französische
Revolution auch auf die Ausgeburt dieser
Revolution: auf Napoleon? Lange Zeit hat man es angenommen
und eine Stelle in einer launigen Versepistel
an Gysser anno 1802 in dieser Richtung interpretiert.
Die Stelle:
Hebel: ... ehnen am breite Rhi, wo iez der Premie Con-
sul d'Schatzig b'leit, und 's Volch regiert mit bluetige
Hände.
Sprecher: Giehne, ungenau wie immer, erblickte in dieser
Stelle eine Anspielung auf den Mord an Herzog von
Enghien. Indessen ist sie 1802 geschrieben und der Herzog
von Enghien wurde erst 1804 erschossen. Und 1802
konnte nicht Napoleon, wohl aber das französische Volk
„mit bluetige Hände" genannt werden. In der Tat müssen
die zwei Zeilen von der Grammatik her anders verstanden
werden. Das Subjekt zu „regiert" ist nicht der
Premie Consul, sondern das Volch mit bluetige Hände;
es handelt sich um zwei zusammengezogene Relativsätze
mit zwei handelnden Subjekten, nämlich Premie Consul
und Volch. Die Tätigkeit des Premie Consul ist, daß er
d'Schatzig b'leit, — die Tätigkeit des Volkes ist — im
Vergleich zu der früher in Frankreich bestehenden
Monarchie —, daß es regiert, wenn auch cUirch die drei
Konsuln. Würde man nach „und" ein zweites* „wo" einfügen
, wäre die Stelle klarer. Die Meinung Hebels über
Napoleon ist im übrigen recht eindeutig. Er sah in dem
Korsen den Mann, der die Französische Revolution überwunden
hatte. So apostrophiert er den Kaiser in einer
Erzählung derart:
Hebel: Napoleon stellt in seinem unglücklich gewordenen
Vaterlande die Ruhe und Ordnung wieder her und
wird französischer Kaiser ...
Sprecher: Weil Hebel die feste staatliche Ordnung über
alles schätzte, verehrte er den Franzosenkaiser. Erik
Wolf faßt dies einmal knapp zusammen:
Leser: Hebel verehrte im Kaiser den Sieger über die
Revolution...
Sprecher: Und hatte er nicht recht mit einer solchen
Auffassung? Kein Zweifel. Kein Zweifel auch, daß er
es mit seiner Bewunderung ehrlich meinte. Denn er
äußerte sie auch noch, als Napoleon schon gestürzt war.
Oder haben dem Karlsruher Professor etwa nicht Hochachtung
und Sympathie — zusammen mit tiefer historischer
Einsicht — die Feder geführt, als er in der Vorrede
zum Kalender von 1815 über den nach Elba verbannten
Kaiser schrieb:
Hebel: Dieses Landgütlein, man kann's so nennen, und
das inwendige Vermögen, seinem Schicksal mit dem Leben
zu trotzen, ließ das Jahr 1814 einem Manne übrig,
der so manches Jahr die Kaiserkrone von Frankreich
auf dem Haupte und die Königskrone vpn Neapel, von
Westfalen, von Holland und von Spanien in den Händen
getragen hatte ... Es ist ein Beispiel, bei dem man
Gedanken haben kann . . .
Sprecher: Achtung vor dem Neuordner Napoleon, den
die Ereignisse beiseite geschoben haben, spricht auch
aus einem anderen Satz der gleichen Vorrede:
Hebel: Der Hausfreund hat fast ein wenig wollen erschrecken
, daß der Zeiger der großen Weltenuhr wieder
so auf einmal auf das Jahr 1789 zurückschnellte...
Sprecher: Spricht so ein opportunistisch Denkender?
Gewiß nicht. In der gleichen Vorrede zum Kalender
für 1815 sieht sich Hebel weiterhin, abgestoßen von dem
überlauten Getue der Verbündeten, zu einer Sympathiekundgebung
für die besiegten Franzosen veranlaßt und
zeigt dadurch sehr wohl eine eigene Meinung, die man
ihm deutscherseits hätte ankreiden können. Er sagt:
Hebel: Der Franzose ist stolz auf seinen Namen und
eifersüchtig auf die Ehre seiner Nation, und nie mehr,
als wenn es den andern vorkommt, daß er's am wenigsten
Ursache habe. Das Unglück beugt ihn nicht, es
macht ihn watz. Er ist gleich einem Bergbach, dem man
den Lauf verbauen will. Desto brausender überlauft er
oder bohrt sich ein anderes Rinnsal, ja wie ein Feuerstein
: je besser man ihn trifft, je besser sprühen die
Funken ...
Sprecher: Er verteidigt auch durchaus das Recht der
eigenen Meinung. An gleicher Stelle sagt er im Anschluß
an die Schlacht bei Leipzig:
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