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Kriegspropaganda, spricht sich selbst moralisch von seinen
Zänkereien los und zeigt so deutlich und eindeutig
jene Unduldsamkeit des politischen Denkens, jene absolute
Intoleranz, die der politisch militante Nord- und
Ostdeutsche dem deutschen Süden gegenüber immer gezeigt
hat und die ihren logischen Gipfelpunkt in der
Blut- und Eisenpolitik eines altmärkischen Junkers
namens Bismarck fand. Zu der von Wilhelm angezogenen
Stelle aus dem Hausfreund ist zu bemerken: Sie
steht im Anschluß an den Bericht vom Moskauer Brand
und vom Rückzug, wo Hebel mit Bedauern von der
Entwicklung spricht. Man erinnert sich: Der letzte Abschnitt
dort beginnt so:
Hebel: Wer Moskau angezündet hat, hat viel zu verantworten
. Ist ein anderer Mensch schuld daran, daß die
siegreiche Armee des französischen Kaisers sich mitten
im Winter und in der fürchterlichsten Kälte aus Mangel
an Aufenthalt und Lebensmitteln und mit namhaftem
Verlust zurückziehen mußte, zuerst aus Rußland, hernach
aus Polen, hernach aus Preußen, bis nach Deutschland
, bis an die Elbe? Die Pferde kamen vor Mangel
und Kälte um. Die Artillerie und das Gepäck mußte
zurückgelassen und den nachschwärmenden Kosaken
preisgegeben werden. Viele tausend tapfere Krieger kamen
um. Denn gegen den Winter ist mit Bajonett und
Sturmmarsch nicht viel auszurichten, und ein warmer
Pelz und ein Kalbsschlegel leisten* da ganz andere
Dienste als eine Brust voll Heldenmut. Aber der letzte
hat noch nicht geschossen...
Sprecher: So Hebel im Hausfreund für 1814. Die leise
Ironie des Vergleichs zwischen Kalbsschlegel und Heldenmut
richtet sich — wenn sie überhaupt vorliegt —
gegen niemand, sondern geht nüchtern von der Lage
eines hungernden und frierenden Soldaten aus. Wilhelm
Grimm aber fürchtet, das Volk könnte sich aus den Worten
das Recht herleiten, Pelz und Kalbsschlegel im Winter
und im Soldatenrock steckend für wichtiger halten
als Heldenmut. Kanonen statt Butter, man kennt das ja.
Aber zur Sache! Das heißt zu Hebels „Patriotischem
Mahnwort" selbst. Das bisher Gesagte war nötig, um
Hebels Einstellung zur Politik während der Entstehungszeit
des „Mahnworts" einigermaßen klarzustellen. Nun
möge die Schrift selbst sprechen. Der Text lautet:
Hebel: An den Vetter! Patriotisches Mahnwort. — Als
wir, Vetter,, das letztemal miteinander sprachen, sprachen
wir noch von allerlei, wie der Tag und die Laune
es brachten, von den herzigen Kindlein, wie sie wachsen
und brav werden, von dem Feldbau und Gewerbe, von
dem unglücklichen Sachsenland und von den deutschen
Siegen. Jetzt, Vetter, gilt ein anderes Wort: Nicht bloß
Weib und Kind versorgen und Gut und Nahrung bessern,
sondern auch als Mann und Held beschützen; nicht mehr
an den Grenzen stehn und hinüberschauen mit Hoffnung
und Furcht, sondern das Vaterhaus helfen verteidigen
wie einen heiligen Boden, wie ein gelobtes Land, das
Gott uns und unseren Vorfahren anvertraut hat, und
zwar ohne Furcht; nicht mehr uns erzählen lassen, was
andere deutsche Männer zum Heil der Völker wagen
und ausführen, sondern selber etwas zu loben und zu
preisen geben den Bekannten und Freunden, allen Menschen
, welche Mut und Tugend zu schätzen wissen, und
der dankbaren Nachwelt . . .
Sprecher; Soll man erstaunt sein, daß Hebel auch so
schreiben kann? Einen kriegerischen Aufruf? Man wird
erstaunt sein, zunächst. Aber weiterlesen und weiterprüfen
. Und wird sich erinnlern, daß der Gedanke der
Verteidigung des Vaterlandes — worin Hebel mit seinen
Zeitgenossen sein engstes badisches Heimatland versteht
— Hebel immer vertraut gewesen ist. Man wird
sich erinnern, mit welcher Hochachtung er anno 1796,
also vor 18 Jahren schon, von den schweizerischen Kontingenten
geschrieben hatte, die bei Basel an der Grenze
standen, das Ubergreifen des Krieges auf Schweizer Gebiet
verhinderten und manchem Flüchtling aus dem
Oberland, auch dem Urlauber Hebel in Lörrach, Schutz
gewährten. Damals hatte Gmelin zu lesen bekommen:
Hebel: Frei und groß und wachsam standen die schweizerischen
Kontingente vor Basel und Solothurn und Bern
am Ausgang des Tals auf ihren Grenzen, um ihr Vaterland
und was zu ihnen geflüchtet war, gegen alle
Anfechtungen von beiden Seiten im Fall der Not zu
schützen ...
Sprecher: Die Verteidigung der engsten Heimat ist Hebel
also ein vertrauter Gedanke. Doch hören wir, was
Hebel weiter zum Vetter sagt:
Hebel: Du hast den Ruf zum großen deutschen Werk
vernommen. Deutschlands erlauchte Retter sind da?
Alexander, der Beherrscher einer halben Welt,, Franz,
der deutsche Mann und Kaiser, Friedrich Wilhelm, der
König einer Nation von Helden, jeder ein Retter und
Schutzengel der Bedrängten . . .
Sprecher: Man liest dergleichen mit Erstaunen. Plötzlich
ist viel, zu viel von Deutsch die Rede bei Hebel. Fast
soviel wie bei Schenkendorf von Blut. Etwas stimmt da
nicht, beginnt man zu ahnen. Im Weiterlesen wird dann
dieses Gefühl bestätigt und die Schrift als eine — genau
gesagt — bestellte, d.h. von der Obrigkeit befohlene
Arbeit ausgewiesen. Man höre:
Hebel: Hat nicht im glücklichen Einverständnis mit
ihnen und allen deutschen Fürsten und ständen der
Landesherr den Ausspruch getan, daß alle badischen
Jünglinge und Männer, wer sie sind ünd wie sie heißen,
sich waffnen sollen und aufstehn, wenn das Zeichen- gegeben
wird, ein furchtbarer Landsturm, eine eherne
Mauer zum Schutze des Vaterlandes und seines Rechtes,
das von Gott ist? Vetter, es ist ein Wort, das Respekt
hat, und dein frommer Sinn versteht es, wenn ich sage:
der Landesherr hat es ausgesprochen! Jedermann sei
Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, denn
alle Obrigkeit ist von Gott verordnet. Item: Seid Untertan
aller menschlicher Ordnung um des Herrn willen,
es sei dem König als dem Kaiser, oder den Hauptleuten
als den Gesandten von ihnen zur Rache über die Übeltäter
und zum Lobe der Frommen . . .
Sprecher: Mit diesen zwei Kernsätzen hat Hebel sein'
staatsbürgerliches Bekenntnis ausgesprochen, an dem er
auch sonst, ohne Zusammenhang mit der Tagespolitik,
festhält: Nach lutherischer Lehre hat der Bürger seiner
Obrigkeit zu gehorchen — und: die wichtigste Aufgabe
für Landesherr wie für den Staatsbürger ist es, Ordnung
im Staate, zu halten. Diese Grundsätze will Hebel nun
auch auf die Verpflichtung zum Landsturm ausdehnen
bzw. anwenden; er fährt fort:
Hebel: Sieh nicht krumm dazu, Kind des Friedens}
Wisse, was du sollst, und-erkenne in deinem Inwendigen
die Pflicht dazu! Nicht ausrücken in das entscheidende
Schlachtfeld für fremde Siege, Rechte und Anmaßungen,
auch für deine eigenen Rechte und Vorteile; nicht auf
fremdem Boden, nicht vor fremden Festungen; das tun
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