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Dr. Robert Feger, Freiburg:
Äer unbekannte f>ebel IV:
jöaö patriotifdje Watjntüoct an 6en Detter
(Schluß.)
Sprecher: Es ist klar: Hebel hat Augenblicke lang an
die Notwendigkeit des gemeinsamen Handelns Frankreich
gegenüber geglaubt gehabt. Geglaubt gehabt auch
an das Sinnvolle dieses Handelns. Daß er Frankreich als
bluttriefende, „vollgefressene Feindin" Europas bezeichnet
— und dies an nicht zu verdächtigender Briefstelle
und bei aller sonstiger Hochachtung vor Frankreich —,
läßt auf die Tiefe seiner Emotion schließen. Umso
schlimmer aber, daß er gleichzeitig immer mehr erkennen
mußte, daß die deutschtümelnde Propaganda und
das Blutopfer der abertausend Freiwilligen aus allen
Gauen Deutschlands nur dazu diente, dem legalistischen
und dynastischen Prinzip den notwendigen Rückhalt zu
geben. Gerade für Hebel, der sich schwer zu einer gesamtdeutschen
Haltung entschlossen hatte, mußte es
äußerst bitter sein zu sehen, wie die den deutschen
Stämmen insgesamt zugemutet wurde, ihre beste Kraft,
ihren bereitesten Heldenmut, ihre Überzeugung gar, dem
nackten Interesse der reaktiven Kräfte, d. h. dem Adel
und den Fürsten ohne Anerkennung hinzugeben. Hebel
war nie in politischen Igelschlaf verfallen gewesen, aber
er hatte einen Augenblick an die nationale, von Preußen
gesteuerte Propaganda geglaubt, — und sollte bitter enttäuscht
werden, auch über das nachfolgende Wirken der
Reaktion im badischen Land. Und weil er nicht in den
genannten politischen Igelschlaf verfallen war, ahnte er
den künftigen Lauf der Dinge und setzte selbst in einem
offenbar befohlenen Propagandaschreiben die Akzente
vorsichtig. So vorsichtig, daß man im Hauptquartier davon
absah, Hebels Mahnwort zu verbreiten, d. h. drucken
zu lassen. Man sah, das Mahnwort hätte nicht zu blinder
fürstenhöriger Begeisterung entflammt, sondern die
Leute zum Denken veranlaßt. Und daß die Untertanen
denken, ist nie der Wunsch totalitärer Bewegungen. —
Unter diesem Aspekt der Enttäuschung, der Vergeblichkeit
jedes Idealismus im Zusammenhang mit den deutschen
Staaten steht das Mahnwort. Das Aufrufende darin
ist die Phrase und ohne rechte Überzeugung; nur wo die
Bibel beigezogen werden kann, ist es beweiskräftig, —■
daß sie aber beigezogen werden muß, ist für die Auffassung
des ganzen Anliegens durch Hebel sehr bezeichnend
. Hier versucht ein bereits bitter Enttäuschter gegen
bessere Ahnung noch überzeugt und überzeugend zu
sprechen. Man ist versucht, bei diesem Mahnwort Hebels
an den anderen unverstandenen und ungehörten Mann
der Epoche zu denken, an den vielleicht größten Mann
des Zeitalters, an den ersten Europäer: Christian von.
Massenbach. Doch geht es hier nicht um preußische, sondern
um badische Meinungen. Hören wir also das Mahnwort
weiter, — und man wird es mit Erstaunen hören:
Hebel: Sieh, Vetter, so steht auf und ist schon aufgestanden
, ja bewaffnet ganz Deutschland vom Meer bis
ans Gebirge. Alle edlen Stämme deutschen Bluts, der
Preuße, der Sachse, die Hessen, die Franken, die Bayern,
die Schwaben, was am langen Rhein und an der weitentfernten
Donau deutsch spricht und ist, alles ist Ein
Mann, Ein Mut, Ein Bund und Ein Schwur: Deutschland
soll frei sein von der Fremden Joch und Schimpf. Denn
die deutsche Nation, in ihren Fürsten und Häuptern vereinigt
, steht unter Gott allein, sonst unter niemand, und
unsere Fürsten sind von Gottes Gnaden und nicht von
eines Menschen Gnaden. Es kann einem Land und einem
Volk kein größeres Unglück und keine tiefere Schmach
und Schande widerfahren, als wrenn seine Fürsten und
Väter von eines Menschen Gnade sein müssen...
Sprecher: Um mit Hebel zu sprechen: Es mag sich das
Federlein diesmal krausen, wie es will — das sind Worte
aus Hebels Mund und Feder. Man kann nicht verstehen,
daß sie es sind. Als der gemeinte eine Mann, nämlich
Napoleon, das kleine Baden-Durlach durch überreichen
Gebietszuschlag, durch Raub an Kirchengut und kleinen
Herrschaften unverhältnismäßig vergrößerte und den
badischen Markgrafen zum Kurfürsten und zum Großherzog
erhob, da war der eine Mann recht gewesen. Und
das durch Napoleons Gnade Erworbene und von ihr
Erbettelte und durch Heirat Erkaufte gedachte der badische
Fürst auch keineswegs mehr herauszugeben. Nun
aber, da man es erlangt, konnte der eine Mann, dem
man es verdankte, abtreten. So und nicht anders ist die
Haltung, die hinter dem Mahnwort steht. Ein Glück,
daß wir im Kalender und in den Briefen weitere Äußerungen
Hebels haben, die besonnener und würdiger zu
dem ganzen Fragenkomplex Stellung nehmen. Im Mahnwort
— es kann nicht anders als befohlen sein — gehen
indessen die nationalen Tiraden in einem Stile weiter,
daß man sich an Schenkendorf und Fouque und Kleist
und ähnliche literarische Kammerdiener des Preußenkönigtums
erinnert fühlt:
Hebel: Vetter, zuckt es dir nicht im starken deutschen
Arm? Steigt es dir nicht hoch hinauf im stolzen deutschen
Herzen? Hast du noch nicht das Gewehr in der
Hand und die furchtbare Streitaxt zur Seite?
Sprecher: Hier ist der Höhepunkt der. Aneiferung erreicht
. Selbst dem Schreiber — es ist ja der sonst so
nüchtern denkende Hebel — wird zuviel, was er sagt.
So holt er sich denn vorsichtig auf den Boden der Tatsachen
zurück und bringt vernünftige Gegenargumente,
die schon längst sein Unbewußtes bedrängen. Freilich
legt er sie dem angesprochenen Vetter in den Mund.
Dennoch sind es die seinen, sind es Hebels Argumente:
Hebel: Ich lese etwas auf deiner Stirne: Du sagst: Unsre
Kräfte sind erschöpft, unser Wohlstand ist zugrunde gerichtet
. Gleichwohl hat uns der Feind in zehn Jahren
nicht so hart angemutet und nicht so arm gemacht, als
der Freund in zwei Monaten — und jetzt noch ein
Landsturm!
Sprecher: Sogleich versucht sich Hebel mit diesem aus
dem eigenen Herzen und aus dem eigenen Wissen gekommenen
Einwand auseinanderzusetzen:
Hebel: Welchem teilnehmenderen Freunde als mir kannst
du diese Leiden klagen? Wem hat mehr das Herz geblutet
, und noch, wenn ich an euch denke! Aber so fallen
die Würfel des Schicksals ...
Sprecher: Und was nun folgt, ist aufschlußreich für die
ganze Mahnwortsache überhaupt. Was nun folgt, zeigt,
wie sich Hebel solidarisch fühlt mit der Nation, nur weil
sie leidet. Er läßt dahingestellt, warum sie leidet, — läßt
dahingestellt, daß der Egoismus der deutschen Fürsten
sie leiden macht; genug, die deutsche Nation leidet Also
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