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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1966-10/0011
reu leitenden Männern der Goethetradition die
Errichtung und Leitung eines Straßburger Goethe
-Institutes mit Bibliothek und Museum zu
übernehmen. Zahlreiche elsässische Landsleute,
die sich durch das rein goetheanische, d. h. impolitische
Arbeitsprogramm angezogen fühlten,
traten der Gesellschaft bei und besuchten ihre
Veranstaltungen.

Das Kriegsende brachte die Auflösung des
Straßburger Goethe-Instituts und das Ende der
amtlichen Tätigkeit von F. A. Schmitt. Den bis-r
her berührten Aufgaben stand er als Erbe mütterlicher
Frömmigkeit und väterlicher Tüchtigkeit
gegenüber. Wenden wir uns seinem Mit-Ich
zu, dem Dichter Morand Claden, so kompliziert
sich die Lebensrechnung. Der Beamte kennt seine
Pflichten, die er laut Anstellungsvertrag zu
erfüllen hat. Den Poeten belehrt über die geforderte
Leistung keine äußere Autorität; ihm obliegt
es, seine Ziele und die Wege zu den Zielen
selbst zu setzen. Unserem Poeten bestätigte der
Verfassername, den er wählte, Wege und Ziele
seines Schaffens. Morand Claden, ein Vorfahr,
auf einem sundgauischen Hofe ansässig, als dessen
Erbe der Poet die Reichtümer und Konflikte
seines Lebens fruchtbar zu machen entschlossen
war.

Im Jahre 1930 brachte der Verlag P. Heitz in
Straßburg den Roman Desire Dannacker heraus,
mit dem Morand Claden seinen Platz in der deutschen
Literatur belegte. Der Roman spielt in den
Jahren 1918/19, der tragische Held ist ein Heimkehrer
von der Ostfront; als Mulus ist er ausgerückt
, seine Aufgabe wäre, das in langen Semestern
Versäumte einzuholen. Seine Aufgabe wäre,
sich gegen die eingerissene Unordnung der Welt
zu verschließen, um als Träger künftiger, neuer
Ordnimg reif zu werden. Sein Bruder ist auf
französischer Seite gefallen. Er müßte sich desto
mehr bemühen, schon um der darbenden Mutter
willen, seine Stellung im bürgerlichen Leben
bald zu sichern. Er versucht es auch, aber er muß
versagen, denn sein Tat- und , Willensleben ist
zerrüttet. Die Verständigen, die ihm mit Rat, ja
mit Befehlen und Drohungen auf den Weg helfen
wollen, wissen im Grunde noch weniger als er
über sein Vermögen oder Unvermögen. Er läßt
sich in die Bahn setzen, um bei der Mutter eine
Zeit der Erholung, des inneren Ausgleichs zu verbringen
. Sein Dämon führt ihn nicht zum Hause
der Mutter, sondern zu einem Massengrab in den
Vogesen, wo er sich den Tod gibt — in der Meinung
, den Tod seines Bruders zu sühnen, in
Wirklichkeit, weil er seine Gedanken nicht zu
führen vermag, weil die Verwirrung der Gedanken
, die er von der Ostfront mitgebracht hat, in
einen Zustand nahe der Verrücktheit übergegangen
ist.

Ciadens Roman bildet ein großartiges und
umfassendes Gemälde derjenigen menschlichen
Verwirrungen, die der erste Weltkrieg über Europa
, im besonderen über das Elsaß gebracht hat.
Das Buch machte Aufsehen, es ist heute aktueller
als je — möchte das eingesehen werden! Damals
traf als frühes Echo ein Brief aus Günsbach beim
Verfasser ein:

„Lieber Herr Claden! Als erstes der hier auf
midi wartenden Bücher las ich heute ,D6sire
Dannacker4. Es hat mich tief ergriffen — kaum
irgendwo ist mir die Stimmung jener furchtbaren
Monate so entgegengetreten wie hier. Es
ist alles so unsagbar wahr und schlicht in Ihrer
Darstellung. Tausend Dank! Herzlichst Ihr ergebener
Albert Schweitzer."

Und Rene Schickele in der Frankfurter Zeitung
: „Desire Dannacker ist das beste elsässische
Buch der Nachkriegszeit. Wer da drüben schreibt
noch Deutsch wie Morand Claden?"

Es ist für die Einsicht in das Wesen Morand
Ciadens wichtig, zu bedenken, daß solche Stimmen
, die ähnlich, aus dem Elsaß und aus der
Bundesrepublik, reichlich kamen, manchen andern
Autor veranlaßt hätten, sich in dem Dannacker-
Stil mit allerlei Varianten zu wiederholen. Claden
verzichtete. Er schrieb, wenn es ihn zwang
zu schreiben, und dann von Fall zu Fall in dem
Stil, den die Sache forderte. Zur Veröffentlichimg
genügten ihm vorerst die Möglichkeiten, die sich
in Zeitschriften, gelegentlich auch in einer Kleinbuchreihe
ergaben. So erwuchs ihm bei aller Zurückhaltung
doch ein unverkennbares Relief als
Erzähler und Lyriker.

Im Jahre 1944 brachte dann der Verlag Wilhelm
Heyne in Dresden sein Geschichtenbuch
„Knabenspiele" heraus. Abgesehen davon, daß
die Handlung jeweils im Elsaß spielt, sind es
von Titel zu Titel epische Gebilde wechselnden
Charakters.

Knabenspiele! Mit einer Wundergeschichte
fängt es an: Thomas will Blumen pflücken, und
weil er den Vater nicht in der gewünschten Eile
zum Mitgehen auf Blumensuche bewegen kann,
stellt er Unerhörtes und mehrfach Lebensgefährliches
an. Es endet mit einem Wunder, das Thomas
am intensivsten erlebt: das Abenteuer endet
nicht so, wie Thomas es seinem Gewissen nach
erwarten muß, sondern mit einem Kuß und allem
Lob dafür, daß er seine lebensgefährlichen Veranstaltungen
heil überstanden hat.

Die zweite Geschichte sprengt den Rahmen
des Haupttitels. „Die silbernen Glocken vom
Ilienkopf", ein herbes Stück Bergromantik: Münstertäler
Bauern im Kampf und endlichen Sieg,
den die Revolution ermöglicht, über die Pariser
königliche Privilegieriwirtschaft. — „Die schwarze
Hand": ein lächelnder Bericht über das Dunkel
des Geschehens, im Ablauf dessen dem Dichter
Epitalbra, nicht zuletzt durch die überweibliche
Geduld seiner Gattin, sein erstes, wirkliches Gedicht
beschert wird.

Zwei Geschichten geben ironische Einblicke
in das redaktionell gesteuerte Geistesleben einer
Kleinstadt vom Rande der Vogesen. — Zuletzt
die Titelgeschichte: „Knabenspiele". Das ist die
kostbare Geschichte einer Knabenliebe, die gespeist
und getragen ist vom Zauber einer idyllischen
Landschaft (bei Colmar), von der Verflechtung
des hellen Tages mit Sagen und Mythen,
die dort noch geistern, von der Abenteuerlust
eines kleinen Bubenhaufens, der in die Wälder
zieht, um seine Waffen vom Bumerang bis zum

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