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Konstantin Schäfer:
Von TTaffcciv unfc^ufdjtoücttyen
Es ist in Weinbaugebieten ein altes Recht der
Winzer, ihre eigenen Weine selbst zum Ausschank
zu bringen. Da wird neben der Tür ein
Strohwisch ausgehängt und schon verwandeln
sich die Wohnstube, der Hausgarten oder ein
Stück der Gasse vor dem Haus in eine Buschwirtschaft
voller Sang und Klang. Allerdings enden
diese meist in Gegröle, dem Ohr der Sänger
gar' lieblich, der nüchternen Nachbarschaft ein
Greuel. Ein Greuel aber auch den konzessionierten
Wirten, den „Taffernwürthen", dene^ dieses
Getöne nicht nur in die Ohren sticht, sondern
viel schlimmer noch, in den Beutel und damit in
den Sitz ihres Rechtsgefühls.
Wenn nun diese Taffernwirte im „gesetzgebenden
" Magistrat sitzen, beginnt das Quirlwerk
irdischer Gerechtigkeit sich zu drehen. Es
verrührt das Recht des Individuums mit dem
Recht der Gemeinschaft zu einem gut gemengten
Teig, dem der Mischer des Rechts noch - einige
Löffel moralischen Öles beifügt, um ihm die
richtige Geschmeidigkeit zu verleihen. Dabei ergibt
sich noch die besondere Delikatesse, daß
jede Seite heimlich beide Arten in die Rührschüssel
gibt, denn unter der Hand verkehrt sich
doch das Recht des Individuums zum Recht einer
Gemeinschaft. Verteidigt nicht der grasseste Einzelgänger
im Kampf für seine Schrankenlosigkeit
gleichzeitig den Anspruch aller seiner Artgenossen
? Im Feuer der Behörde backt sich diese
köstliche Pastete zu großer Zartheit und Dauerhaftigkeit
.
An und für sich wäre man angesichts des
nervösen Zückens unserer Zeit versucht, das
dünne Aktenbündel mit dem Titel „Wirtschaften"
zur Seite zu legen. Ist dieser ganze Weinstreit
für uns nicht völlig belanglös, nicht wert, öich
mit ihm zu beschäftigen? Er stellt doch nur* die
zuchtlosen Zustände, welche infolge des Spanischen
Krieges in dem Städtchen herrschten, zum
xten Male unter Beweis. Alber da vernehmen wir
das Laufen des Quirlwerks. Es faßt uns die Neugier
und das Verlangen, dem großen Pastetenbäcker
bei seinem Werke zuzusehen..
Es kommt zuerst die Partei des Magistrats,
alias der Taffernwirte. Sie hat auf ihrer Seite
die Polizeiordnung, und sie weiß sie gut zu gebrauchen
, denn sie ist die Ordnung, durch welche1
das widerspenstige Individuum wirkungsvoll in
die Gesellschaft eingegliedert wird.
So schreibt der rechts- wie seelenkundige
Stadtschreiber Klein an die Regierung nach Freiburg
: „Das sowohl wider das Polliceyweeßen
laufende bis in die spätheste nacht andauernde,
als auch denen Taffern Berechtigten eben darumb
nachtheilige wein ausschenckhen deren Pusch-
würthen hat uns bewogen schon unterem 24ten
Novembris 1761 für je- und allezeit zu statuiren,
daß keinem unßerer Bürgeren das Puschwürthen
mehr änderst erlaubet werden wolle, als in solang
ein oder anderer seinen eigenen weinwachß
very/ürthen könne, bey welchem Municipalschluß
wir auch bißhero vest beharret".
Klein schreibt diesen Satz am 6. November
176*7. Sechs Jahre waren seit dem Verbot verflossen
, ohne daß eine der beiden Parteien das
Quirlwerk in Bewegung gesetzt hätte. Zwar war
der Magistrat Neuenbürgs keineswegs so tolerant
in seinen Lebensäußerungen, um nicht jedes
Aufmucken sofort nach Freiburg zu berichten;
die Gegenseite nicht von so geduldiger Folgsamkeit
, als daß nicht beim geringsten Luftzug die
helle Empörung aufgeflackert wäre. Den Grund
für dieses merkwürdig lange Stillhalten werden
wir im Antwortschreiben der Empörer kennen
lernen. Das auslösende Moment des schließlich
doch noch entfachten Streites zeigt uns der Magistrat
in seinem Klageschreiben selbst an. Er
setzt den langen Satz mit dem Geständnis fort,
von seinem festen Beharren in diesem Jahre insoweit
abgewichen zu sein, als sie dem „Burger
Ignaz Leyle, des nunmehrigen Schultheißen Johann
Michael Leyle Sohn", die Erlaubnis gege-
bei) hatten, außer seinem Eigengewächs „auch
den von dem ehemals geführten beeder Handel
bezogenen Schuldenwein, weilen solcher nadi
seinem angeben En gros nicht zu verkaufen ware,x
En detail zu verwürthen"»
Nachdem dieser Ignaz Leyle Blut d.h. Geld
geschmeckt hatte, versuchte er diesen erfreulichen
Genuß nach Möglichkeit zu verlängern: „So ist
ihme der weithere Lust, eintweders des Pusch-
oder Taffern würthens angekommen". Sein Gesuch
, ihm den weiteren Ausschank zu genehmigen
, wurde abgelehnt. Er legte bei der Regierung
Beschwerde ein. Leider ist dieses Schreiben nicht,
ausfindig zu machen; es wäre reizvoll zu sehen,
was er dem sich zu drehen beginnenden Quirl
in den Griff schob. Er wartete nicht ab, bis die
Pastete gebacken \ war. Er hatte „ ... seithero .,.
während und vor ausgemachten Streith newer-
dingen frischen Wein eingelegt". Gleichzeitig
fügte er dem Teig ein wirkungsvolles Gewürze
bei. Er mußte fürchten die Masse der Buschwirte
gegen sich zu bekommen, denn der Verdacht lag
nahe, daß man um seines Vaters, des Schultheißen
, willen, mit ihm eine Aufnahme gemacht
hatte.
Er ladet die möglichen Gegner zu verbotenen
nächtlichen Zusammenkünften in seine Schenke.
Er brauchte nur sein eigenes Herz zu erforschen,
um zu wissen, wie dieses heimliche Kerzen-
flämmlein des Verbotenen sie anlocken würde.
Mit dem diskriminierten Wein wird er wohl
nicht gespart haben. Schon steht er für die kurzsichtige
Menge als bewunderungswürdiger Vorkämpfer
bürgerlicher Freiheit da. Heftiger beginnt
das Quirlwerk zu schnurren.
Als weitere Steigerung kommt hinzu, daß
selbst die Repräsentanten und die bürgerlichen
Ausschüsse sich aufrührerischerweise zu versammeln
beginnen.
Bei dieser gefährlichen Lage kann nur ein
ungeheurer Satz der Aufgabe gerecht werden, in
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