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Bürgerschaft aus, wenn sie auch ihre Eingabe,
unterschrieben: „unterthänig gehorsamste die
vier Zunftmeistere der Stadt Neüenburg Nahmens
der gesamten Burgerschaft allda". Pie
Waffe der Demokratie wird am elegantesten in
den undemokratischsten Kreuzzügen geführt.
Wie wohl steht es an, sich von vornherein
auf den Boden des Rechtes zu stellen. So lautet
der erste Satz der Eingabe dieser „gesamten Burgerschaft
": „Vermöge der uralten und forthin in
Übung gebliebenen Stadt Neüenburgischen Poli-
ceyordnung ist ein jeder dortiger Burger berechtiget
, nach seiner freyen Willkür und gefallen
den Puschweinschanckh zu treiben". Von diesem
festen Boden aus läßt sich dann die Gegenklage
erheben: „In ao 1761 hingegen hat sich Magistrats
angemaßet, zu abbruch dieser Ordnung, ohne
anfrag und geringstes mit-wißen der gesamten
Burgerschaft allen wein-Schanck denen Taffern-
wirthen alleinig einzuräumen, und denen übrigen
Burgern solchen leediglich zu entziehen". So
stünde Gewalt gegen Recht.
In einer guten Disposition hat nunmehr die
abscheuliche Gewalt entlarvt zu werden, wobei
man bei aller Kühnheit nicht der Vorsicht ent-
raten darf, um nicht bei dieser Gelegenheit die
eigene Maske zu lüften: „Die Ursache, welche
diesen ohngereimten Schluß veranlaßet, wäre die
Eigenschaft deren damahligen Raths - gliederen,
als welche größten Theils wirthe und zwarn solche
gewesen, welche zwey Taffern gerechtsam-
men besaßen, benantlichen der Herr Burgermeister
, dann der damahlige Schultheiß Weiß, der
Deputations-Rath Boll, und der Raths-Freünd
Die angeführten Männer waren schon lange
nicht mehr im Amt. Johann Jakob Weiß hatte
1761 sein an dem Neuenburger Teil der Menschheit
verzweifelndes Abschiedsgesuch eingereicht,
dem man endlich 1763 stattgegeben hatte. Auch
die andern damaligen Ratsmitglieder waren in
jenen Jahren abgelöst worden. Warum sechs
Jahre lang nichts vonseiten der Buschwirte unternommen
worden war, findet in dem Schreiben
seine einfache Deutung: dem Verbot des
Magistrats war eine Reihe von schlechten Weinjahren
gefolgt, wie dies im Weinbau immer wieder
vorkommt. Die Weinpreise stiegen so sehr,
daß die „bekanterdings arme Burgerschaft" sich
nicht in der Lage sah, sich mit Wein zu beschlagen
, und mit deßen außschenckhung Handel zu
treiben".
Dem Recht der Buschwirte liegt der Gedanke
zugrunde, vor dem Herbst die noch vollen Fässer
für den neuen Segen zu leeren oder den Uberfluß
, den sie nicht zu fassen vermögen, loszuschlagen
, wenn die Taffernwirte die Menge nicht
aufnehmen konnten. Hier wird offen zugegeben,
daß es sich um aufgekauften fremden Wein handelt
. Es kam ihnen überhaupt nicht der geringste
Gedanke, daß sie sich völlig im Unrecht befanden
. Um jene Zeit waren „allermaßen im Neüenburgischen
Bahnn kaum anderthalb Jauchert
Reeben vorzufinden... und mithin schier Niemand
ein eigenthumbliches Weingewächs hat".
Die Buschwirte wollten also von einem Recht
Gebrauch machen, dessen Voraussetzung für sie
nie zutraf. Was für eine Verquirlung der Rechtsauffassung
ist hier schon erreicht! Die Buschwirte
vertraten die schrankenlose Freiheit des
Individuums: Erlaubt ist, was gefällt! Sie nannten
diese Zuchtlosigkeit: Freiheit des Bürgers.
Doch wieviel Kreuzzüge hat man schon für die
Freiheit geführt und meinte doch im Grunde nur
Kattun.
Die Bürgerschaft verlangt von der Regierung,
anstatt „der sonst gewöhnlichen Berichts- oder
Verantworthungs-abforderung, von dem Neüenburgischen
Stadt-Rath einzig und allein die ori-
ginal-Einschickung der dortig-Städtischen Poli-
cey-ordnung in gnaden abzuverlangen, und hei-
nach alldahin anzubefehlen, daß die Burgerschaft
bey ihrer Befugsame.. ein für allemahl belaßen
werden solle".
Die Frage ist nicht zu klären, ob die Buschwirte
von dem Vorhandensein einer solchen Polizeiordnung
überzeugt waren, oder ob sie wußten
, daß durch diese Forderung der Magistrat in
einige Verlegenheit versetzt würde, weil die Gemeinde
in Wirklichkeit überhaupt keine niedergeschriebene
Polizeiordnung besaß.
Was tut die Behörde? Sie schreibt an den
Stadtrat zu Neuenburg: „Magistratus hätte einsweilen
sowohl die alte, als neue Policey-Ordnung
de ao 1761 zu diesseitiger Einsicht einzusänden".
Nachdem der Magistratus zuvor in so feierlicher
Form die geheiligte Polizeiordnung beschworen
hatte, sieht er sich nun in der peinlichen
Lage, eingestehen zu müssen, daß eine
solche überhaupt nicht besteht: „Gleichwie aber
weder eine alte, noch newe förmliche Policey-
ordnung allhier vorhanden ist".
Bewunderungswürdig ist die Geistesgegenwart
Kleins, der anstelle dieser Polizeiordnung das
Eidbuch von 1616 setzt und der Regierung einen
Auszug aus der Ordnung der Wirte einreicht, in
dem allerdings vom Buschwirten nicht die Rede
ist. Er legt einen Auszug aus dem Ratsprotokoll
von 1761 bei, in dem es heißt: „Endlichen werde
pro norma beschloßen, in Zukunft zu auswei-
chung aller Unordnungen kein Puschwürth aufzustellen
, sondern nur allein denen jenigen den
Weinschanckh zu gestatten, welche ihr aigenes
Gewächß ausschenckhen wollen".
Die Schlußfolgerungen, die Stadtschreiber
Klein zieht, sind berechtigt: „ .. wo wür in dem
Verbott des Puschwürthens und anderen Muni-
cipal - Verordnungen nicht gehandhabet werden
solten, der an sich schon in Zügen ligende Bürgerliche
Gehorsam, und Magistratische autoritaet
bald gar erlöschen und der animose Schultheiß
heyle mit denen Bürgerlichen Repraesentanten
alle Rathschlüß umstoßen, und alles nach seinem
willen einleithen würde".
Die Regierung eignet sich diese Auffassung
voll an und bestätigt ihre erste Entscheidung. In
keinen Akten wird das Buschwirten fernerhin
mehr erwähnt.
Friede und Ordnung waren auf jeden Fall
nicht eingekehrt, das beweisen uns die Ereignisse
der folgenden Jahre, der große Streit und die
Neuenburger Revolution. Der Quirl hatte gründliche
Arbeit geleistet.
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