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Tuto oder Toto mit dem Kloster St. Gallen. Dieser
Tuto1 muß ein freier Bauer gewesen sein, der
um den Schernberg herum reich begütert und
in Wittnau ansässig war. Die uralte Ortschaft
Wittnau war schon im 8. Jahrhundert Mittelpunkt
eines größeren St. Gallischen Verwaltungsbezirkes
, wohl hervorgegangen aus einer ehemaligen
Mark. Als kirchlichen Mittelpunkt besitzt
Wittnau nach einer Urkunde vom Jahre 861 eine
„basilica", auch ist von „neliquiae S. Galli" die
Rede — doch wohl nur in übertragenem Sinne.
Vom Jahre 786 ab wurden in Wittnau mehrere
Urkunden ausgestellt, wie es nur in Ortschaften
mit St. Gallischen Besitzungen vorkam.
Eine erste St. Gallische Urkunde vor 786 ist nicht
vorhanden. Von einem Beweggrund oder einem
äußeren Anlaß (Neugründung, Bau, Platz für
Erweiterung o. ä.) findet sich aber in der Urkunde
keine Andeutung.
Tuto tauscht aus seinem Besitztum mehrere
Äcker und Rebstücke in Wittnau und Au gegen
alles gerodete Land am Möhlinbache, alles übrige
an Weiden, Marken, Flußläufen und dem Weg
könne der Abt behalten. Wohl kommt der Ausdruck
„cella" vor, doch nichts deutet darauf hin,
daß es sich um die St. Gallische Klostersiedelung
handelt, cella ist hier mehr in landschaftlichem
Sinne gebraucht. Jedenfalls geht aber aus der
Urkunde hervor, daß das Tal schon besiedelt war,
sonst könnte sie nicht von Neurodungen reden.
Nirgends wird jedoch auf die Bezeichnung „Vil-
marszelle" näher eingegangen, man begnügt sich
mit der Feststellung, daß sie „höchstwahrscheinlich
" eine St. Gallische Stiftung war. Hauviller,
Nothhelfer und Hugard nehmen ohne weiteres
an, daß Tuto die Cella gegründet habe und daß
sie später auf Vilimaris überging. Ein Grund zu
dieser Annahme geht aus der Urkunde nicht hervor
. Obwohl jede Kenntnis von dem Bauern Tuto
fehlt, ist es doch naheliegend, daß er als freier
Mann mit den Mönchen von St. Gallen — Pfarrer
in Wittnau? — und den Verwaltungsbeamten
verkehrte und von ihnen die Anregung dazu erhielt
. Vielleicht war auch die Erinnerung an den
Arboner Presbyter Willimar noch wach, so daß
er noch lebendige Beziehungen angetroffen hatte.
Aus der Tatsache, daß das Möhlintal schon besiedelt
war, kann nicht ohne weiteres geschlossen
werden, daß die Siedler und Roder dieser
klösterlichen Cella angehörten, obwohl nutzbares
Land Voraussetzung und Lebensnotwendigkeit
der Cella gewesen wären. Die Funktion dieses
Tuto bei der Cella ist deswegen ganz unklar;
eine Mittätigkeit bei der Gründung, eher vielleicht
Erweiterung, nicht jedoch bei der Erstgründung
muß ihm jedoch allenfalls zugestanden
werden. Demnach ist auch Willimar kein späterer
Besitzer oder Vorsteher der Cella, sondern der
Presbyter Willirr\ar von Arbon, der der Cella
den Namen gegeben hat. Da keinerlei Urkunden
vorhanden sind, können nur Vermutungen ausgesprochen
werden, die allerdings den geschichtlichen
Tatsachen ziemlich nahe kommen dürften.
Die engen Beziehungen zwischen Willimar —
Arbon, dem Gründer der Cella im Steinachtale,
Gallus, und der Cella im Möhlintale als St. Gallischer
Besitz lassen diesen Schluß aber mit ziemlicher
Sicherheit zu. Die Möglichkeit einer weiteren
Aufhellung hätte sich noch aus einem Eintrag
des Tuto im St. Gallischen Verbrüderungsbuche
ergeben, der vielleicht mit einer Wallfahrt
nach St. Gallen verbunden gewesen wäre, zumal
da sich mehrere Breisgauer Pilger (Krozingen,
Endingen, Rotweil, Freiburg) nachweisen lassen.
Obwohl ursprünglich nur Mönche befreundeter
Klöster in das St. Galler Verbrüderungsbuch *(be-
gonnen etwa 820) eingeschrieben wurden, fanden
später auch hochstehende Laien Aufnahme; sie
wurden gelegentlich auf leeren Stellen des Buches
, aber ohne nähere Angaben, eingeschrieben,
so daß es schwierig, ja fast unmöglich ist, sie
zu deuten.
Weiteres von der Wilmarszelle erfahren wir
erst wieder bei der Übersiedelung des clunia-
zensischen Klosters des hl. Ulrich von Grüningen
ins Möhlintal nach einer Urkunde vom Jahre
1087. Die Zelle war 1008 durch eine Schenkung
Heinrichs II. an Adalbero, Bischof von Basel, gelängt
. Mit dem Bischof von Basel, Burkard von
Hasenburg, schloß nun Ulrich am 5. Juni 1087
diesen Vertrag, nach dem zwei Grundstücke,
die dem Prior Ulrich gehörten, gegen die
Cella umgetauscht wurden. Auffallend bei
den unterschriebenen Zeugen ist es, daß sich
zwei Zähringer darunter befinden: Herzog
Berthold und Markgraf Hermann. St. Gallens
Einfluß auf die Cella war demnach verschwunden
, da ja etwa vom Jahre 1080 ab die Zähringer
fast alle St. Gallischen Güter sich angeeignet und
die Machtbefugnisse St. Gallens "Vollständig ausgeschaltet
hatten. Ulrich richtete nach 1087 seine
Cella neu ein, bzw. baute sie wieder auf. Daß
sie „verlassen" war, dürfte ebenfalls mit der
Besitznahme durch die Zähringer zusammenhängen
, da sie politisch immer noch zu ihnen
gehörte. Man schob vielleicht die paar wenigen
Mönche ab, oder das Kloster holte sie zurück.
Doch nur so kann das „verlassen" gedeutet wer*
den, wenn man bedenkt, daß ringsum alle Besitzungen
der St. Galler bis auf Ebringen und
Norsingen verloren gingen; selbst das St. Gallische
„Bezirksamt" Wittnau verschwand und ver-^
sank tax einem unbedeutenden Bauerndorf. Trotz
ihrer Abgeschiedenheit erhielt die neue Gründung
bald Zulauf. Gemäß seinem cluniazensi-
schen Auftrag besuchte Ulrich die näheren und
weiteren Klöster im Breisgau und suchte sie für
seine Reform zu gewinnen. Nebenbei wirkte er
in den nahegelegenen Ortschaften als Seelsorger,
bis er ums Jahr 1090 schließlich erblindete. Offiziell
erhielt das Kloster den Namen Peterzell,
wie alle neuen cluniazensischen Niederlassungen
die Apostel Petrus und Paulus als Patrone führen.
Trotzdem hielt sich der Name Willmarszell noch
mehrere Jahrhunderte lang. Noch in einer Urkunde
des Heilig-Geist-Spitals zu Freiburg vom
Jahre 1365 und in einer weiteren von 1373 wird
der „Convent des Gotteshauses von St. Ulrich ze
Vilmarszelle" erwähnt. Hier handelt es sich jedoch
lediglich um einen landschaftlichen Begriff.
Mit der zunehmenden Verehrung des hl. Ulrich
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