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Rudolf Alexander Schröder Wir harren
Wir harren, Christ, in dunkler Zeit;
Gib deinen Stern uns zum Geleit
Auf winterlichem Feld.
Du kämest sonst doch Jahr um Jahr;
Nimm heut auch unsre Armut wahr
In der verworrnen Welt.
Es geht uns nicht um bunten Traum
Von Kinderlust und Lichterbaum;
Wir bitten, blick uns an
Und laß uns schauen dein Angesicht,
Drin jedermann, was ihm gebricht,
Gar leicht verschmerzen kann.
Es darf nicht immer Friede sein;
Wer's recht begriff, der gibt sich drein.
Hat jedes seine Zeit.
Nur deinen Frieden, lieber Herr,
Begehren wir je mehr und mehr,
Je mehr die Welt voll Streit.
Dr. Robert Feger:
Dm dtjciftfinb am 3afeenbet:g
Allenthalben wird geklagt über den Rückgang
der alemannischen Mundart, allenthalben über
das Fehlen größerer alemannischer Dichtung in
unserer Zeit. Man erwartet das Heil von Zusammenschlüssen
und Förderung, von Purifizierung
und Kodifizierung. Nichts gegen solche Bestrebungen
. Doch während man in ihnen einen Ausweg
sucht, geht da einer hin und schreibt ganz
für sich, ganz ohne Zusammenhang mit irgendwelchen
gemeinsamen Bestrebungen, und schreibt
eine große alemannische Dichtung. Eine alemannische
Dichtung nach Vorwurf und literarischer
Tradition, nach Sprache und Form — eine große
Dichtung nach Umfang, Vorwurf und Bewälti->
gung des Stoffes, — eine echte Dichtung, was die
literarische Gestalt angeht, — eine einfühlsame,
blutwarme, aber subtil geformte Dichtung.
Wer nicht glauben will, daß es dergleichen
heute noch gibt, der höre sich die Calig-Schall-
platte Nr. 30 502 an, auf der Anton Zink sein
alemannisches Krippenspiel darbietet unter dem
Titel: „'s Schpiel vum hailige Chind". Es ist ein
als Hörspiel konzipiertes, aber auch auf der
Bühne denkbares Kindheit-Jesu-Spiel, — einer
literarischen Gattung also angehörig, die im alemannischen
Sprachbereich in früheren Jahrhunderten
verbreitet war und die Anton Zink hier
mit gekonntem und glücklichem Griff wiedererweckt
. Die Grundform ist die Zeile aus vier-
füßigen Jamben; so ist ein natürlicher Sprachfluß
verbürgt. Je zwei Zeilen sind gereimt, im
Knittelvers also; die Bevorzugung des härteren,
männlichen (einsilbigen) Reimes vor dem weicheren
, weiblichen (zweisilbigen) entspricht der reinen
Jambenform. Die Reime sind ungesucht und
stellen sich dem Dichter mühelos in Fülle ein.
Die Zeilen wollen jede für sich gehört sein, das
Herüberziehen der einen in die nächste (Enjambement
) wird vermieden; das kommt der
Einzelzeile zugute, die auf diese Weise stets eine
ansprechende schlichte Kantigkeit erhält.
Mit diesen formalen Einzelheiten sind ausgezeichnete
Voraussetzungen für die Verwendung
der alemannischen Mundart gegeben. Zink spricht
und schreibt das Alemannisch der Landschaft
zwischen Schönberg und Batzenberg; beigemischt
sind Freiburger Eigenheiten. Solche Mischformen
mögen einen sterilen Purismus stören; sie
beweisen aber im Grunde nur, daß hier eine
lebendige Sprachform vorliegt, die sich aus gewachsenen
landschaftlichen Bezügen speist, aber
neben die überkommenen Formen neue stellt
und in dieser Ausprägung in Freiburg und südlich
davon auch tatsächlich heute lebendig ist.
Das Alemannische als genau festgelegte Sprache
gibt es nur in der Konstruktion; die Wirklichkeit
kennt von Dorf zu Dorf sehr beachtliche
Unterschiede. Lebendig und unbekümmert echt
wie die Sprachform Zinks ist auch sein Wortschatz
. Zink arbeitet mit gegenwärtigem Wortgut
. Man findet niemals gekünstelte Archaismen,
dafür' £ber kann einem in jeder Zeile eine Prägung
oder Wendung oder Vorstellung von entschiedener
Aktualität begegnen. Eine solche
Sprache, die so mühelos und selbstverständlich
und ungekünstelt daherkommt, gewährleistet zusammen
mit der beherrschten Form eine Dichtung
von Rang, zumal wenn dem Dichter wie
hier die nahtlose Verschmelzung von Sprachform
und Inhalt zum Dichtwerk gelingt.
Zink erweist sich in diesem letztgenannten
Betracht als wirklicher Dichter. So sehr, daß man
vor der lebendigen Gestalt seiner Dichtung kaum
von ihrem Inhalt allein sprechen möchte. Und
doch muß das getan werden, um von Zinks Werk
eine Vorstellung zu vermitteln. Das Spiel baut
sich in acht Szenen auf, die zusammen den
Umkreis der Kindheit Christi ausschreiten: Die
erste Szene (Wohnstube in Nazareth) bietet die
Exposition und zeigt die bevorstehende Reise
nach Bethlehem, gesehen aus dem Blickwinkel
Marias, Josephs und eines Nachbarn. Die zweite
Szene zeigt das Heilige Paar „Unterwegs nach
Bethlehem". Die Herbergssuche und die Vorgänge
in Bethlehem werden in der dritten Szene
(Wirtsstube in Bethlehem) geschildert. Sie leitet
bereits über zur vierten (Die Verkündigung an
die Hirten); sie zeigt die Wiederspiegelung der
Verkündigung in den schlichten Gemütern zweier
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