http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1967-01/0014
v „Däs neue Werk ist ausgezeichnet durch Stärke,
eine, Leuchte deutscher mathematischer Wissenschaft
, eine Zierde, ein. Stolz des Landes, aber
kein Damm gegen Überschwemmung — Zuge-
mäch eines großen gefährlichen Rheinarmes,
aber keine Sicherheit für Felder".
Mit Fachkenntnis schildert nun das Schreiben
aus der reichen Erfahrung der Stadt dieser
„Leuchte deutscher Wissenschaft" auf was es in
Wirklichkeit für die Stadt ankommt:
„Es hemmt den Sturz der nahen Rheinhälfte
und zwingt sie, ihr Geschieb allmählich liegen
zu lassen; die Schluchten, die jetzt von Wasser
fließen mit Kies, Sand und Schlamm auszufüllen
und sie zu verlanden. Wenn der Bau seinen
Zweck vollkommen nach unserer Erwartung erfüllt
, so legt er neue Kies- und Sandbänke an,
die sich inner 20—30 Jahren mit Holz bewachsen
, der Rheinbau-Kasse ebenso sehr, als der
Stadt zu Nutzen stehen.
Diese Verlandung ist aber nicht reiner Gewinn
. Der Rhein fordert seinen Raum und sein
Opfer nieder anderswo, nur durch fortgehend
gerade Richtung wird sein Fraß gehemmt".
Was Neuenbürg hier als notwendiges Verfahren
anregt, ist nichts anderes, als was Tulla später
in seinem großen Werk der Rheinkorrektion
durchführt. Ausführlich entwickelt Neuenburg
seine Ansicht und zeigt seine eigenen Maßnahmen
:
„Der untere Ausgang des Rheinarmes ist verschlossen
, wenigstens verengt, aber der über eine
Stunde Wegs entfernte obere Rachen desselben
muß offen bleiben und führt seiner Natur und
seinem Zweck nach die Überschwemmung herbei
, die umso viel größer für Felder und Früchte
wird, je bälder die Verlandung erfolgen soll.
Deswegen mußte Neuenburg ohne fremde Bey-
hilfe auf eigene Kosten einen Damm von 3600
Schuh längs am oberen Ende ihrer Gemarkung
aufführen und jährlich erhalten und muß dieses
auf eine doppelte Strecke bis hinunter ah die
Stadt fortführen, weil die Wirkung eines jeden
Zugemächs anfänglich Überschwemmung ist und
erst* in der Folge wohltätig, also gerade das Gegenteil
von Verdammung seyn muß. Der Zweck
des Rhembaues ist Verlandung — der der Verdammung
Sicherung der Felder. Wenn also das
Gesetz zwischen Rheinbau und Verdammung einen
Unterschied macht und die Kosten des erste-
ren ganz und die des letzteren zur Hälfte der
Wasser- und Straßenbaukasse zuweiset, so kann
dieser gesetzliche Unterschied zu Neuenbürgs
Untergang nicht wohl aufgehoben und der Kostenbetrag
der unterstützten Gemeinde nicht über
einmal gefordert werden".
Und nun zieht sie das Resümee des ganzen
Schreibens:
„Die Stadt Neuenburg verkennt die sehr
große Wohltat dieses Rheinbaues nicht, durch
den die Stadt vor Anbruch geschützt, seine Einwohner
zur theuren Zeit ernährt, der Fleiß und
der Unternehmungsgeist ermuntert worden ist;
jeder Einwohner erkennt vielmehr die große
• Gnade des Höchsten Landesfürsten, die des Hoch-
preislichen Ministeriums.
Die Weisheit der Wasserbau-Ordnung und
dessen verehrten Direktion erkennen dieselben
mit dem tiefsten Gefühl der Dankbarkeit an.
Die Stadt Neuenburg ist sich's aber auch bewußt
, daß auch sie ein Glied des Staates ist, und
daß die gemeinsamen Staatsabsichten wohltätig
und erhaltend, nicht untergrabend und verderbend
auf sie würken sollen — daß die Straßen-
und Wasserbauten den Orten nach wechseln, die
Steuern den Zeiten nach beständig sind — daß
ihre Einwohner Arbeiten und Gefahren übernommen
, die der Nachbarschaft wie ihnen öffentlich
angeboten, aber verworfen wurden und die,
wenn sie auch angenommen worden wären, nicht
mit dem Fleiße, Eifer und Schnelligkeit zur Förderung
des Werkes vollführet werden konnten;
sie also nur; wohlverdienten Lohn empfangen
haben — daß sie auf hohen Befehl all ihr Inselholz
, selbst den nötigsten Bedarf für die 4 nächsten
Jahre zum Rheinbau hergegeben, aber auch
fest und vertrauensvollst auf die Wohltat des
Gesetzes, auf das heilige Wort ihres Höchsten
Landesfürsten, auf die Zusicherung hoher und
höchster Behörden Gebauet haben. Sie hofft deswegen
unwandelbar und bittet unterthänigst, daß
ihre Stumpfgeld-Forderungen von 19 319 fl, wie
bisher in allen Rescripten geschehen, nach gerechtestem
Ermessen als richtig anerkannt und
zur baldigsten Bezahlung gnädigst angewiesen
werden, damit sie einmal im Stande sich befinde,
die endliche, zu lange verschobene Schulhaus-
Baute zu beginnen und ihren weiteren vielfachen
Bedürfnissen abzuhelfen".
Wahrlich ein Meisterwerk behördlicher Schriftstellerkunst
.
Und der Erfolg? Das Ministerium des Iiliiern
übergibt das Schreiben mit dem Begleitsatz:
„Dem Großherzoglichen Ministerium der Finanzen
mit dem Bemerken zu übersenden die
Ehre, daß die von der Stadt Neuenburg gemachten
Einwendungen hierorts nicht so ganz ungegründet
erschienen".
Das Finanzministerium stellt sich auf den
Standpunkt, daß nach dieser Erklärung von der
Stadt Neuenburg „nichts billiges zu hoffen" sei.
Man werde aber, um sich schadlos zu halten, nun
auch seinerseits von dem gesetzlichen Recht Gebrauch
machen, „nämlich alle Gießen und Rhein-
ärme, welche durch die ausgeführten und späterhin
mit geringen Kosten noch ausgeführt werdende
Flußbau Operationen in festes Land übergehen
, in Beschlag nehmen."
Das Ministerium hofft, daß dieser Tiefschlag
die Stadt in die Knie zwingen und zu einer Aufgabe
ihres Trotzes veranlassen werde.
Bevor das Ministerium des Innern diesen abgefeimten
Anschlag Neuenburg zur Kenntnis
bringt, frägt es vorsichtig beim Direktorium des
Dreisamkreises an, wieviel Land Neuenburg bis
jetzt durch die ausgeführten Flußbau-Operatio-
hen gewonnen habe, wieviel dieses etwa wert sei
und wie die Stadt es angebaut habe.
Die Antwort ist für die Absichten des Finanzministeriums
wenig gewinnversprechend: es ist
„gehorsamst zu berichten, daß die Stadt Neuenburg
durch die ausgeführte Flußbau-Operation
12
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/markgrafschaft-1967-01/0014